25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
28.07.17 / Römische Augenwischerei / Kleine Münzen, große Statuen, schwerer Stein – Römermuseum in Haltern am See bietet Faktencheck zu archäologischen Funden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-17 vom 28. Juli 2017

Römische Augenwischerei
Kleine Münzen, große Statuen, schwerer Stein – Römermuseum in Haltern am See bietet Faktencheck zu archäologischen Funden
Helga Schnehagen

„Fake News“ kannten schon die Römer. Sie verstanden es, die Wahrheit zu verdrehen und feierten einen „Triumph ohne Sieg“. Mit einer historischen Rück­schau und einer musealen Fiktion wirft Westfalen jetzt einen Blick auf Roms Ende in Germanien.

Das LWL-Römermuseum in Haltern am See mit seinen gerade einmal 38000 Einwohnern macht es sich zur Aufgabe, Gedenktage und Jubiläen historischer Daten zu würdigen. Ein probates Mittel, um sich in der langen Liste von Römermuseen in Deutschland, darunter solchen Schwergewichten wie das Rheinische Landesmuseum in Trier oder das Römisch-Germanische Museum in Köln, Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Mit dem Gedenken an 2000 Jahre Varusschlacht war Haltern dies vor acht Jahren eindrücklich gelungen. Als größte Archäologie-Ausstellung, die je in Deutschland zu sehen war, wurde das historische Geschehen an den Originalschauplätzen unter verschiedenen Aspekten beleuchtet. Haltern widmete sich dem „Imperium“, Kalkriese dem „Konflikt“ und Detmold dem „Mythos“. Allesamt Magneten, von denen Haltern 2009 alleine 165000 Besucher zählte.

Die bekannte Niederlage der Römer am Teutoburger Wald war nicht Roms Ende in Germanien. Noch jahrelang führte Feldherr Germanicus Krieg um die abtrünnige Provinz. Im Winter 16/17 

n. Chr., kurz vor dessen Rückgewinnung, befahl Kaiser Tiberius je­doch, das Unternehmen aufzugeben. Fortan bildete der Rhein wieder die Grenze zum freien Germanien. 

Der sang- und klanglose Abzug des Germanicus wurde in Rom am 26. Mai des Jahres 17 n. Chr. mit einem grandiosen Triumphzug gefeiert. Warum der Rückzug? Waren die eigenen Verluste in den 30 Jahren Krieg in Germanien zu hoch geworden? Standen sie in keinem Verhältnis mehr zum wirtschaftlichen Gewinn für das Imperium Romanum, das rechts des Rheins weder Bodenschätze vorfand noch Strukturen, denen es sein Verwaltungssystem überstülpen konnte? Oder hätte ein siegreicher Germanicus Tiberius Stellung als Princeps in Rom gefährdet? Warum ein Triumphzug ohne Sieg?

Sieg und Ruhm waren in Rom Staatsdoktrin. Das Volk bejubelte fraglos jeden ihm präsentierten Sieger. Heute weiß man es besser, letzte Antworten bleiben trotzdem Spekulation. Umso aufwendiger ist jetzt die historische Wiederbelebung in der einstigen Provinz: Bis zum 5. November wird der Triumphzug des Germanicus in Haltern noch einmal zum Leben erweckt – bis zur rituellen Tötung der Opferstiere vor dem Jupiter-Tempel auf dem Kapitol.

In historisierender Kulisse be­gibt sich der neuzeitliche Besucher auf die Via Triumphalis mit ihrem ganzen Siegeskult: Siegesmonumente, Siegesreliefs, Siegesdenkmale, Siegesgöttin, Siegessymbolik – bis auf die Backform. Über 250 Artefakte von 40 Leihgebern aus Italien, Kroatien, der Schweiz, Slowenien, Ungarn und der Vatikanstadt lassen jede Nie­derlage Roms vergessen. Selbst Kenner dürften das eine oder andere Stück bestaunen.

Vom Vatikan stammt das sogenannte Bautenrelief vom Mausoleum einer römischen Baumeisterfamilie, auf dem sich ein Triumphbogen an den anderen reiht. Aus dem Be­reich des Marcello-Theaters in Rom stammt ein 1700 Kilo schweres Baufragment, das möglicherweise vom Germanicus-Bogen am Circus Flaminius stammt. Aus den Kapitolinischen Museen kommt ein Marmorfragment des unter Septimus Severus angefertigten Stadtplans von Rom mit einem am Circus Flaminius eingeritzten Bogen. Sind es Hinweise auf einen für Germanicus erbauten Ehrenbogen?

Ganz anderer Natur ist die Figurengruppe aus Herculaneum aus dem Archäologischen Nationalmuseum von Neapel. Ihr auffallend guter Zustand ist der Getty Foundation zu verdanken, welche die vier Bronzestatuetten, die einst die Außenseite eines Triumphwagens schmückten, vor ein paar Jahren restaurierte. 

Ebenfalls von der Getty Foundation restauriert wurde ab 2012 die gleichsam aus Herculaneum stammende 2,46 Meter große Bronzestatue des Tiberius, die zuvor im Depot des Archäologischen Nationalmuseums von Neapel vor sich hingedämmert hatte. Nun verhilft das um 37 n. Chr. gegossene Mo­numentalwerk Haltern zu besonderem Glanz. Genauso wie die 2,08 Meter große Bronzestatue des Germanicus, Ti­berius’ Adoptivsohn und gefürchteter Rivale, aus der Zeit um 15 n. Chr. aus dem Archäologischen Nationalmuseum von Parma.

Nicht mit Größe, sondern mit Ge­wicht punktet das schwerste Exponat der Ausstellung: das 1935 Kilo wiegende Grabmal des Pompeianius Silvinus mit einer Weinverkauf-Szene aus dem Rö­mischen Muse­um in Augsburg. In seiner Art erstaunlich ist auch das Relief aus dem Rheinischen Landesmuseum Trier mit einer von einem Maultier bewegten Mähmaschine. Exponate aus dem römischen Alltag, die zusammen mit anderen Kostbarkeiten am Ende der Ausstellung kontrafaktisch die Ge­schichte fortschreiben und sich damit befassen, was aus Haltern eine römische Stadt hätte werden können, wenn Rom in Germanien gesiegt hätte. 

Dabei ist noch nicht einmal geklärt, ob das Römerlager Aliso mit dem heutigen Haltern identisch ist. Sicher ist nur, dass hier ein Militärlager bestand, von dessen Hauptlager man das Westtor samt einem Stück Holz-Erde-Mauer hinter dem Museum rekonstruiert hat. „Zwei Thesen halten wir mittlerweile für sehr wahrscheinlich“, so Museumsleiter Rudolf Aßkamp, „das antike Aliso ist mit dem heutigen Haltern am See identisch. Und der Fundort im Osnabrücker Land bei Kalkriese ist nicht der Ort der Varusschlacht, sondern geht auf die Ereignisse des Jahres 15 n. Chr. rund um Germanicus zurück.“

Aliso oder nicht, Haltern ist der am besten erforschte Militärkomplex aus der Zeit des Augustus nördlich der Alpen. Eine Be­sonderheit ist die Gräberstraße. Von den rund 100 aufgefundenen Gräbern enthielten 30 Reste von aufwendig gestalteten Totenbetten, auf denen der Verstorbene verbrannt wurde. Die antiken Bettsofas waren mit reichen Knochenschnitzereien verziert. Die mehreren tausend Bruchstücke aus Haltern erlaubten erstmals weltweit die komplette Rekonstruktion einer solchen Luxusliege. Mithilfe innovativer Techniken wiedererstanden, bildet der Nachbau den krönenden Ab­schluss der Ausstellung: Aliso hatte Potenzial!


Die Ausstellung „Triumph ohne Sieg – Roms Ende in Germanien“ läuft bis 5. November im LWL Rö­mermuseum, We­seler Straße 100, 45721 Haltern am See, geöffnet Dienstag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 19 Uhr, Sonnabend und Sonntag 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 8 Euro. Telefon (02364) 93760. Der Begleitband kostet im Museumsshop 29,95 Euro, sonst 39,95 Euro. Internet: www.lwl. org/triumph-ausstellung