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28.07.17 / Private, billige Lückenfüller im Streckennetz / Vor 125 Jahren trat das preußische Kleinbahngesetz in Kraft – Die Folgen reichen von Selfkant im Westen bis Lyck im Osten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-17 vom 28. Juli 2017

Private, billige Lückenfüller im Streckennetz
Vor 125 Jahren trat das preußische Kleinbahngesetz in Kraft – Die Folgen reichen von Selfkant im Westen bis Lyck im Osten
Kreisgemeinschaft Lyck

Public-Private-Partnership (öffentlich-private Partnerschaft) ist in aller Munde. Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist bemüht, private Investoren für den Bau von Autobahnen zu gewinnen. Vor 125 Jahren versuchte Preußen mit dem Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlussbahnen ebenfalls, private Investoren für eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zu gewinnen. Damals ging es allerdings nicht um Straßen, sondern um Eisenbahnlinien.

Sinn und Zweck des am 28. Juli 1892 erlassenen sogenannten preußischen Kleinbahngesetzes war es, Gebiete des Königreiches, für deren Erschließung durch die Preußischen Staatseisenbahnen die finanziellen Mittel fehlten, durch private oder kommunale Kleinbahnen zu erschließen. Was in diesem Zusammenhang unter Kleinbahnen verstanden wurde, besagte das Gesetz: 

„Kleinbahnen sind die dem öffentlichen Verkehre dienenden Eisenbahnen, welche wegen ihrer geringen Bedeutung für den allgemeinen Eisenbahnverkehr dem Gesetze über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 … nicht unterliegen. Insbesondere sind Kleinbahnen der Regel nach solche Bahnen, welche hauptsächlich dem örtlichen Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benachbarter Gemeindebezirke vermitteln, sowie Bahnen, welche nicht mit Lokomotiven betrieben werden.“ 

Dass die Kleinbahnen nicht dem Gesetze über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 unterlagen, verbilligte ihren Bau und Betrieb. So genügte es beispielsweise, die Gleise statt in Schotter in Kies zu betten. 

Das Gesetz löste eine Welle von Bahnneubauten aus. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs waren über 300 Kleinbahnstrecken mit einer Gesamtlänge von mehr als 10000 Kilometern fertiggestellt. Das Ziel, privates Kapital zu mobilisieren, wurde erreicht. So stieg der Anteil privater Eisenbahnen am Schienennetz von 1892 bis 1914 von sechs auf 26 Prozent.

Die Privatwirtschaft erkannte ihre Chance. Ganze zwei Tage nach dem Erlass des preußischen Kleinbahngesetzes gründete der 1846 in Pflugrade, Landkreis Naugard geborene Pommer Friedrich Lenz in der pommerschen Wirtschaftsmetropole Stettin das Eisenbahnbau- und -betriebsunternehmen Lenz & Co. Rasch wuchs das Unternehmen mit seinen Tochterunternehmen zum bedeutendsten Neben- und Kleinbahnkonzern in Deutsch­land heran. An dem Kleinbahnbau bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges war Lenz & Co. mit um die 100 Bahnen zu etwa einem Drittel beteiligt. Dazu gehörte auch im tiefen Westen Preußens die meterspurige Geilenkirchener Kreisbahn. Auf 5,5 der einst fast 38 Kilometer fährt heute eine Museumseisenbahn. Benannt ist sie nach der westlichsten Gemeinde Preußens und Deutschlands, nach Selfkant.

Dieses Wochenende vom 29. und 30. Juli nimmt das Rheinische Kleinbahnmuseum Selfkantbahn die 125. Jahrestage der Verkündung des preußischen Kleinbahngesetzes und der Gründung von Lenz & Co. zum Anlass für ein Themen­wochen­ende „Bahnen für das platte Land“ in und um den Bahnhof Gangelt-Schierwaldenrath, Am Bahnhof 13a, 52538 Gangelt. Für die Schirmherrschaft konnte mit Hedda Lenz eine Ururenkelin des Firmengründers Friedrich Lenz gewonnen werden. Nähere Informationen sind über die Internetseite www.selfkantbahn.de/fahrplaene-angebote/veranstaltungen/bahnen-fuer-das-platte-land, die Telefonnummern (0241) 82369, (0241) 82369 und (02454) 6699, die Faxnummern (0241) 83491 und (02454) 7245 sowie die E-Mail-Adresse info@selfkantbahn.de erhältlich.

Wie im tiefen Westen an der Grenze zu den Niederlanden mit der Geilenkirchener Kreisbahn baute Lenz & Co. auch in Preußens östlichster Provinz an der Grenze zu Russland eine bemerkenswerte Tertiärbahn, die Lycker Kleinbahn. In Ostpreußen gab es hinsichtlich der Eisenbahninfrastruktur eine Sondersituation. Anders als im übrigen Preußen begann dort deren Aufbau erst recht spät. Die ersten Arbeiten galten der sogenannten Ostbahn, deren Strecke über Bromberg und Dirschau Berlin mit Königsberg verband. Die Arbeiten begannen 1848 und wurden 1853 abgeschlossen. Bis 1858 wurde die Strecke nach Eydtkuhnen verlängert. Für den Bau der Eisenbahnlinie, welche die ostpreußischen Städte im Süden miteinander verband, wurde die Ostpreußische Südbahn-Gesellschaft gegründet. Die Kredite für den Bau dieser Bahn stammten von englischen Banken. Davon zeugen die Zusammensetzung des Aufsichtsrats sowie die Angabe des Gründungskapitals in Pfund Sterling. Im Jahre 1866 wurde die Teilstrecke von Königsberg nach Bartenstein eröffnet, dann folgte im Jahre 1867 die Verbindung nach Rastenburg, und im Dezember 1868 nach Lyck. Dank der Bemühungen von Landrat Eugen Drewello, der seit 1870 den Kreis Lyck im Preußischen Landtag vertrat, wurde ein weiteres Teilstück der Bahn bis Prostken gebaut und von dort bis Bialystok weitergeführt, wo die Bahn Anschluss an die Strecke Berlin–Warschau–Moskau fand. Im Jahre 1879 erhielt Lyck eine Bahnverbindung mit Insterburg, die dann 1885 über Johannisburg bis nach Allenstein verlängert wurde, wo die Bezirksregierung ihren Sitz hatte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde auf einer Länge von 36,8 Kilometern der westliche Teil des Kreises Lyck mit der Eisenbahnlinie von Lyck nach Arys verbunden. 

Zur Erschließung durch die Bahn blieb noch der östliche und südöstliche Teil des Kreises Lyck. Diesem Zweck sollte nun der Bau einer Kleinbahn dienen. Am 21. Dezember 1910 wurde dem Lycker Kreistag per Vorlage eine Kleinbahn von Lyck nach Thurowen mit einer Abzweigung von Brodowen nach Sawadden und einer Streckenlänge von insgesamt 48 Kilometern vorgeschlagen. Die Entscheidung über den Bau der Kleinbahn traf der Kreistag am 9. Januar 1911. Am 11. Februar 1911 berichtete die „Deutsche Straßen- und Kleinbahnzeitung“ dazu: „Der Kreistag hat, wie man uns mitteilt, den Bau einer meterspurigen Kleinbahn von Lyck über Brodowen, Borszymmen und Kallinowen nach Thurowen beschlossen.“ 

Für den Bau der Kleinbahn wurde am 31. August 1912 die Lycker Kleinbahn-Aktiengesellschaft gegründet. Hierzu hieß es in der „Deutschen Straßen- und Kleinbahnzeitung“ am 26. Oktober 1912: „In das Handelsregister des dortigen Amtsgerichts ist am 16. September d. J. unter Nr. 12 die Lycker Kleinbahn-A.G. mit dem Sitz in Lyck, Ostpreußen, eingetragen worden. Der Gesellschaftsvertrag ist am 31. August 1912 festgestellt. – Gegenstand des Unternehmens ist der Bau und Betrieb der Kleinbahnlinie von Lyck über Brodowen nach Thurowen mit Abzweigung von Brodowen nach Sawadden, nach Maßgabe der von den zuständigen Behörden auszustellenden Genehmigungs­ur­kun­den und der landespolizeilich festzustellenden Baupläne … – Die Gründer der Gesellschaft, welche sämtliche Aktien übernommen haben, sind der preußische Staatsfis­kus, der Provinzialverband der Provinz Ostpreußen, der Kreis­kom­mu­nal­ver­band Lyck, Lenz & Co., Gesellschaft mit beschr. Haftung in Berlin und der Kreisausschusssekretär Adolf Henseleit aus Lyck. – Die Mitglieder des Vorstandes sind der Justizrat Paul Siebert und der Rentier Eugen Gerlach, beide aus Lyck ... Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind: der Landratsamtsverwalter Reg.-Assessor Dr. Max Peters aus Lyck, der Reg.-Assessor Hugo von Batocki zu Allenstein, der Gutsbesitzer Herm. Reck aus Malleczewen; der Direktor Paul Lenz zu Berlin, der Landeshauptmann Geh. Regierungsrat Friedr. von Berg, der Reg.- und Baurat Adalb. Michaelis und der Kgl. Baurat Franz Stahl, sämtlich aus Königsberg i. Pr.“ 

Das Aktienkapital der zu gründenden Gesellschaft wurde auf 2,59 Millionen Mark festgesetzt. Laut dem Bericht für das erste Geschäftsjahr (31. August 1912 bis 30. Juni 1913) entfielen davon 1,05 Millionen Mark auf den Preußischen Staat, 525000 Mark auf den Kreis Lyck und 490000 Mark auf die Firma Lenz & Co., der auch die Bauarbeiten übertragen wurden. 

Diese wurden am 2. September 1912 begonnen. Am 23. Oktober 1913 und damit gut zwei Jahrzehnte nach dem Inkrafttreten des preußischen Kleinbahngesetzes, fand die feierliche Eröffnung der Kleinbahnlinie von Lyck über Klein Lasken nach Borszymmen und der Abzweigung von Klein Las­ken nach Sawadden statt. Unter dem Namen „Elcka Kolej Waskotorowa“ ist sie noch heute in Betrieb. Wenigstens im Sommer wird vornehmlich für Touristen ein regelmäßiger Verkehr zwischen Lyck und Sypittken angeboten.