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04.08.17 / »America First« erwischt die EU eiskalt / Russland-Sanktionen der USA schaden europäischen Firmen – Erste Insolvenzen in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-17 vom 04. August 2017

»America First« erwischt die EU eiskalt
Russland-Sanktionen der USA schaden europäischen Firmen – Erste Insolvenzen in Deutschland
Manuela Rosenthal-Kappi

Der neue Gesetzesentwurf der USA über verschärfte Sanktionen gegen Russland verfolgt unverhohlen das Ziel, amerikanischen Gasexport zulasten der Europäer zu fördern. Erstmals regt sich in der EU Widerstand gegen den amerikanischen Alleingang. 

Was das Repräsentantenhaus und der Kongress in Washington letzte Woche beschlossen haben, traf die EU in Brüssel wie ein Paukenschlag. Ohne Rücksprache mit den Partnern jenseits des großen Teichs und im Grunde gegen den Willen ihres Präsidenten beschlossen die Abgeordneten, die Sanktionen auf russische Energieunternehmen und alle Firmen auszuweiten, die mit ihnen Handel treiben, wie zum Beispiel Gazprom. Erstmals scheint es den EU-Politikern wie Schuppen von den Augen zu fallen, dass die auf Russland, den Iran und Nordkorea zielenden Sanktionen in Wirklichkeit die Europäer treffen. 

Die neuen Sanktionen sind nämlich in erster Linie gegen das Pipelineprojekt Nord Stream 2 gerichtet (siehe PAZ Nr. 30, Seite 6), Die zirka 1200 Kilometer lange Pipeline soll 2019 fertiggestellt sein. Sie würde unter Umgehung der Ukraine und Polen russisches Gas direkt nach Deutschland liefern. Bei einer Blockade von Nord Stream 2 würden neben BASF, E.on, Wintershall und Shell auch die österreichische OMV Milliarden verlieren. 

Was die USA bezwecken, ist ziemlich durchsichtig und wenig verwunderlich. Als Energielieferant konkurrieren sie mit Russland.  Auch der Iran drängt nach dem Wegfall der westlichen Sanktionen mit aller Macht auf den Ölmarkt zurück. Um zu Hause Arbeitsplätze zu schaffen, scheint Washington jedes Mittel recht, sein mit der  Fracking-Methode gewonnenes Schiefergas auf dem europäischen Markt zu platzieren. 

Überraschend hingegen ist die Reaktion darauf von Brüssel bis Berlin. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker empörte sich: „America First kann nicht bedeuten, dass die europäischen Interessen als letztes kommen,“ und drohte Gegenmaßnahmen an. Welche das sein könnten, sagte er nicht. 

Regelrecht aufgeschreckt zeigten sich deutsche Politiker. Außenminister Sigmar Gabriel polterte: „Europas Energieversorgung ist immer noch eine europäische Angelegenheit und nicht eine der Vereinigten Staaten.“ Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) ging noch weiter und sprach von einem Handelskrieg der USA gegen die EU. Sie kritisierte den Alleingang der USA, die mit ihrem Gesetzespaket den gemeinsamen Weg im Umgang mit Russland verlassen habe. „Es gibt die Möglichkeit von Gegensanktionen, das sieht die Welthandelsorganisation so vor“, sagte sie. 

Die deutsche Wirtschaft ist alarmiert und fordert Gegenmaßnahmen der EU. Für Wirtschaftsvertreter ist es ganz eindeutig, dass politische Gründe von den USA nur vorgeschoben werden. In Wirklichkeit gehe es um Hilfe für die US-Fracking-Industrie. Die Schaffung von Arbeitsplätzen stehe auch ganz offen als Begründung in dem Gesetzesentwurf. 

Europa hat in den vergangenen 25 Jahren die Erfahrung gemacht, dass man sich auf Russland als zuverlässigen Lieferanten von relativ günstigen Energieträgern verlassen kann. Klaus Schäfer, Chef des  Energieunternehmens Uniper, beklagt: „Eine Umsetzung der geplanten Sanktionen würde die Versorgung Europas mit günstiger Energie erschweren und unweigerlich zu höheren Preisen führen.“

Jürgen Hardt, Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, bezeichnet Sanktionen mit einer solchen exterritorialen Wirkung für völkerrechtswidrig. Betroffen sind neben russischen nämlich auch internationale Firmen, die am Ausbau, der Modernisierung und dem Erhalt russischer Energie-Leitungen beteiligt sind. Können deutsche Firmen sich wegen der Sanktionen nicht mehr an der Wartung und dem Erhalt russischer Leitungen beteiligen, ist die europäische Energiesicherheit bedroht. Selbst die Russische Staatsbahn, deren wichtigster ausländischer Partner Siemens ist, wurde als Sanktionsziel genannt. 

Mittelständische deutsche Un-ternehmen, die bereits von den bisherigen Sanktionen existenziell bedroht sind, fordern seit Langem die Politiker auf, etwas dagegen zu tun. Wie der Dresdner Unternehmer Thomas Streil. Der Spezialist für Umweltmesstechnik wandte sich bereits vor zwei Jahren an Bundeskanzlerin Merkel mit dem Appell, „als Ostdeutsche die Ostdeutschen“ nicht zu vergessen.  Russland ist ein wichtiger Handelspartner für den Anlagenbauer. Seit den Sanktionen verlor Streil  Aufträge in Höhe von acht Millionen Euro.

So wie ihm geht es vielen Unternehmen in Mitteldeutschland. Gerade solche, die traditionell eng mit Russland verflochten waren. sind existenzgefährdet. Aktuell hat es die  Leipziger Stahlbaufirma Industriemontagen Leipzig (IMO) getroffen, die vergangene Woche Insolvenz anmelden musste. Als Gründe nannte der Unternehmenssprecher rückläufige Aufträge im Kraftwerksbau sowie die gegen Russland verhängten Sanktionen. Die IMO Leipzig GmbH blickt auf eine 120-jährige Firmengeschichte zurück, beschäftigt 320 Mitarbeiter und unterhält eine Niederlassung in St. Petersburg. Aus Russland kamen bislang Aufträge aus den Bereichen Stahlhochbau, Brückenbau und Kraftwerksanlagen. Besonders stolz ist das Unternehmen auf den Bau des Berliner Fernsehturms.

In Sachsen sind vor allem Hersteller von Werkzeugmaschinen und Landwirtschaftstechnik sowie Autozulieferer von den Sank-tionen betroffen. Laut IHK Sachsen ist in den vergangenen drei Jahren der Handel mit Russland um 670 Millionen Euro eingebrochen. Auch Brandenburg ist überdurchschnittlich von Umsatzeinbußen betroffen. Laut IHK-Angaben haben allein in Westbrandenburg 200 Firmen Beziehungen mit Russland. Hauptexportbranchen sind Gummi- und Kunststoffwaren, Nahrungs- und Futtermittel, Maschinen, Pharmazeutika und Kfz-Teile. Auch Spediteure verzeichnen Umsatzeinbußen.

Existenzängste werden zudem durch chinesische Firmen gefördert, die in die Lücken preschen. Neue Absatzmärkte sind für die deutschen Unternehmer dagegen schwer zu erschließen. Exporte nach China, Indien oder in die USA sind zwar möglich, aber in der Regel dauert es zwei bis vier Jahre, eine Handelsbeziehung aufzubauen. Besonders in die USA zu exportieren ist wegen der Abschottungspolitik fast unmöglich. 

Bislang fühlten die kleineren und mittleren Unternehmer sich von der deutschen Politik alleingelassen. Offenbar mussten erst große wie BASF, E.on oder Shell bedroht werden, damit Politiker von der Problematik Notiz nehmen.