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04.08.17 / Die beiden Noldes / Zwischen Wahrheit und Fiktion – Der Maler Emil Nolde und sein literarisches Pendant

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-17 vom 04. August 2017

Die beiden Noldes
Zwischen Wahrheit und Fiktion – Der Maler Emil Nolde und sein literarisches Pendant
M. Stolzenau/H. Tews

In Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“ war Emil Nolde leuchtendes Vorbild für den wi­derspenstigen Maler Max Ludwig Nansen. Doch zwischen dem Ro­manhelden und dem vor 150 Jahren geborenen echten Nolde klaffen gewaltige Unterschiede.

Gegenwärtig begehen viele Museen im Norden der Republik den runden Geburtstag von Emil Nolde mit repräsentativen Ausstellungen. Das reicht vom Haus der „Nolde-Stiftung“ in Seebüll und dem Kunstmuseum in Tondern über das Schleswiger Landesmuseum Schloss Gottorf, der Kunsthalle in Kiel sowie der Stadtgalerie in Wolfsburg bis zum „Museum Behnhaus Drägerhaus“ in Lübeck und dem Kunstmuseum im Ostseebad Ahrenshoop. In Mitteldeutschland sorgte das Leipziger Bilder-Museum bis Juni 2017 für einen Nolde-Höhepunkt. Dazu gibt es in einigen anderen Kunstmuseen mit einem Nolde- Bestand Sonderhängungen und in vielen Medien umfangreiche Beiträge, die auf das Jubiläum des bedeutenden deutschen Expressionisten hinweisen.

Das alles zeigt: Der Expressionist Nolde ist in aller Munde. Und das liegt auch an dem ostpreußischen Schriftsteller Siegfried Lenz, der dem Maler in seinem bekanntesten Buch, der 1968 erschienenen „Deutschstunde“, ein literarisches Denkmal setzte. Vieles stimmt mit dem fiktiven Maler Nansen und dem realen Vorbild Nolde überein, vieles andere aber auch nicht.

Die biografischen Eckdaten, seine nordfriesische Herkunft und sein Berufsverbot während der NS-Zeit passen mit der Ro­manfigur überein. Nicht aber ein heikles Detail: Bei Lenz wird der Maler, der ein vom Dorfpolizisten kontrolliertes Malverbot unterläuft, zur Widerstandsfigur ikonisiert. Tatsächlich war er Anhänger der NSDAP und Antisemit.

Nolde stammte aus dem deutsch-dänischen Grenzland an der nordfriesischen Küste, entwickelte sich zu einer herausragenden Künstler-Ikone des 

20. Jahrhunderts und beeindruckt bis heute durch seine ausdrucksstarke Farbwahl. Darüber sagte er: „Ich liebe die Musik der Farben ... Die Farben sind meine Noten, mit denen ich zu- und gegeneinander Klänge und Akkorde bilde.“ 

Der wortkarge Einzelgänger, der die Einsamkeit suchte und sich mit seinen Bildern artikulierte, wurde im Dritten Reich trotz versuchter Anlehnung als „entartet“ verdammt. Sein „Leben 

Christi“ stand in der Propaganda-Ausstellung über „Entartete Kunst“ 1937 im Mittelpunkt des ersten Ausstellungssaals. Aber Goebbels schätze ihn dennoch und besaß sogar Werke des NSDAP-Mitglieds Nolde. Doch die Fürsprache des Propagandaministers half nichts. Hitler setzte sich durch. 1056 Nolde-Werke verschwanden da­nach aus den Museen. Die offizielle Anerkennung seiner Kunst kam sehr spät. 

Der Künstler wurde am 7. Au­gust 1867 in Nolde bei Tondern als Hans Emil Hansen geboren. Sein Vater war Landwirt. Nach der Ausbildung zum Schnitzer und Holzbildhauer in einer Mö­belfabrik wollte er eigentlich in Flensburg Museumsdirektor werden. Aber daraus wurde nichts. 

Zunächst führten seine Wanderjahre ihn nach Berlin, Karlsruhe sowie München, ehe er ab 1892 für sechs Jahre als Zeichenlehrer in St. Gallen tätig war und auch Hans Fehr aus Jena unterrichtete, einen späteren Mäzen. In dieser Zeit schuf er vor allem Bergpostkarten, die seine Neigung zum Fantastischen offenbarten und durch eine hohe Auflage seine zeitweilige finanzielle Un­abhängigkeit begründeten. So konnte er die Malschulen von München und Dachau absolvieren und 1900 im Pariser Louvre die alten Meister studieren.

1901 ließ sich der malende Bauernsohn im Fischerdorf Lild Strand auf Nordjütland nieder und malte vorrangig Meeresstimmungen. Nach der Annahme des Namens Emil Nolde – nach seinem Heimatdorf – und seiner Heirat mit Ada Vilstrup aus Ko­penhagen wohnte das Paar ab 1903 auf der Insel Alsen, wo er zum „Farbenstürmer“ gedieh. Es folgten Aufenthalte in Italien, Berlin sowie Thüringen, seine Aufnahme in die Künstlergruppe „Brücke“ sowie in die Berliner Secession, erste Ausstellungen und das neunteilige Hauptwerk „Das Leben Christi“, das er 1912 in Berlin beendete.

Nach einer Südseereise, dem Wohnortwechsel nach Utenwarf nahe Tondern und weiteren Reisen nach Spanien sowie Italien ließ er sich 1927 auf der Suche nach Zurück­gezogenheit sein Wohn- und Atelierhaus Seebüll an der deutsch-dänischen Grenze bauen, das auf einer hohen Warft wie eine Burg in die Landschaft ragt. Parallel erlebte er zum 

60. Geburtstag in Dresden eine große Jubiläums-Ausstellung. 

Aber Noldes Versuch, durch Eintritt in eine NS-Gemeinschaft seine Lebensumstände nach der Machtübernahme Adolf Hitlers zu bewahren, schlug fehl. Im August 1941 wurde er aus der „Reichskunstkammer“ ausgeschlossen und ihm wurde untersagt, „sich auf jedem Gebiet der bildenden Künste beruflich sowie nebenberuflich zu betätigen“. Doch dieses Berufsverbot wurde  durch ein Schreiben vom 20. No­vember 1941 abgemildert, in dem Nolde an seine Pflicht erinnert wurde, künftig seine Werke der Kammer vorzulegen, bevor er sie „der Öffentlichkeit übermittelt“. Nach Noldes juristischem Beistand Hans Fehr bedeutete dies die Aufhebung des „Malverbots“. 

Da Nolde aber weder Aussicht hatte, seine Bilder der Öffentlichkeit zu präsentieren, noch An­spruch auf immer knapper werdendes Malmaterial, schuf er mit Aquarellen kleinformatige „Ungemalte Bilder“, die er nach 1945 in Ölbilder umwandelte. Die Emigration lehnte er ab. Nolde verbrachte die NS-Zeit in Seebüll, verlor bei einem Luftangriff auf seine Berliner Wohnung 3000 Werke sowie Bilder von Paul Klee, Kandinsky und Kokoschka. Zwei Jahre später verlor er seine erste Frau. In der bedeutend jüngeren Pianistin Jolanthe Erdmann fand er eine zweite Gefährtin. 

Im August 1946 entlastete ein Kieler Entnazifizierungsausschuss Nolde trotz Parteimitgliedschaft und interpretierte dabei die NS-Ablehnung von Noldes Kunst als „Absage ge­gen das Regime“. In der jungen Bundesrepublik erlebte sein Werk eine wahre Auferstehung. Dies war eine späte Genugtuung für Nolde, der 1946 per Testament die Errichtung der „Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde“ verfügte.

Nach seinem Tod am 13. April 1956 in Seebüll wurde sein Refugium zum Museum, das zudem seinen Nachlass bewahrt und jährlich 100000 Besucher zählt. Die dortige Nolde-Stiftung sorgte in der Vergangenheit auch dafür, dass seitdem die Schattenseiten des Meisters mit einem ansatzweisen Antisemitismus und der Ablehnung französischer Kunst offen aufgearbeitet wurden. Diese pikanten Details sparte Lenz in seinem Roman „Deutschstunde“ aus, wobei man nie vergessen darf, dass es sich bei dem Maler Nansen um eine fiktive Person handelt, die nur das literarische Fernporträt des Emil Nolde darstellt.