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04.08.17 / Ende einer Kolonialmacht / Vor 70 Jahren wurden Indien und Pakistan in die Unabhängigkeit entlassen – mit fatalen Folgen für die Weltpolitik bis heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-17 vom 04. August 2017

Ende einer Kolonialmacht
Vor 70 Jahren wurden Indien und Pakistan in die Unabhängigkeit entlassen – mit fatalen Folgen für die Weltpolitik bis heute
Wolfgang Kaufmann

Die Entlassung Indiens und Pakistans in die Unabhängigkeit gehörte zu den Schlüsselereignissen des 20. Jahrhunderts, denn damit wurde das weltweite Ende der europäischen Kolonialherrschaft eingeläutet und Großbritannien auf den Status einer zweitrangigen Macht herabgedrückt. Gleichzeitig zeigen die Umstände der Teilung des Subkontinents, wie unfähig das Empire war, angemessene politische Lösungen für Probleme in seinem Verantwortungsbereich zu finden.

Am 15. August 1947 um null Uhr schlug die Geburtsstunde zweier neuer souveräner Staaten, nämlich der Indischen Union und des Dominion of Pakistan. Hierdurch zerfiel die seit 1858 existierende britische Kronkolonie in einen hinduistisch dominierten Teil und ein islamisch geprägtes politisches Gebilde aus zwei Teilen im Osten und Westen, welche im­merhin 1500 Kilometer voneinander entfernt lagen. Die Folge dieser Aufsplitterung war die wohl größte Flüchtlingskatastrophe aller Zeiten, weil die Anhänger der beiden indischen Hauptreligionen in den jeweils „ihrigen“ Staat zogen oder dorthin vertrieben beziehungsweise deportiert wurden. Historiker schätzen die Zahl der Menschen, die ihre Heimat freiwillig oder unter Zwang verließen, auf bis zu 20 Millionen. Dabei kam es zu wechselseitigen Massakern, denen zwischen 500000 und zwei Millionen Hindus, Moslems sowie auch Sikhs zum Opfer fielen.

Die Schuld an dem Blutbad trug eindeutig Großbritannien, zu dessen traditioneller Divide-et-Impera-Politik es ab Mitte des 19. Jahrhunderts gehört hatte, Keile zwischen die wichtigsten Religionsgruppen in Indien zu treiben. In diesem Zusammenhang hofierte die Kolonialmacht die 1906 gegründete Allindische Muslimliga des moderaten Politikers Muhammad Ali Jinnah, weil diese ein Gegengewicht zum hinduistisch kontrollierten Nationalkongress von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru bildete.

Trotzdem standen die Briten während des Zweiten Weltkriegs mit dem Rücken zur Wand. Angesichts der militärischen Niederlagen des Empire in Südostasien sowie eines drohenden Zangenangriffs der Deutschen und Japaner verlangte die Kongress-Partei nun in ultimativer Weise politische Unabhängigkeit, worauf London mit scharfen Repressionsmaßnahmen antwortete. So forderte die Niederschlagung von Gandhis „Quit-India (Verlasst-Indien)“-Kampagne von 1942 etwa 1000 Tote. Zudem wanderte die gesamte Führung der Kongress-Partei ins Gefängnis.

Verantwortlich für dieses kompromisslose Vorgehen war Win­ston Churchill, der gesagt hatte, er sei nicht Premierminister geworden, um das britische Weltreich zu liquidieren. Allerdings spielte es ab Juli 1945 keine Rolle mehr, was Churchill wollte, da er sein Amt infolge der überraschenden Nie­derlage bei den ersten Unterhauswahlen nach dem Krieg an Clement Attlee von der Labour Party verlor. Und der wiederum übte sich sofort in Zugeständnissen gegenüber Jinnah, Gandhi und Nehru. Inzwischen fehlte es der am Rande des Ruins dahintaumelnden Kolonialmacht sowohl an Militär als auch an Geld, um das „Juwel der Krone“ gegen den massiven Widerstand der Einheimischen zu behalten.

Deshalb entsandte Attlee Unterhändler nach Indien, welche Autonomieverhandlungen führen sollten. Die scheiterten allerdings im Sommer 1946, weil Jinnah nun einen eigenen muslimischen Staat verlangte und seine Glaubensbrüder zu permanenten blutigen „Protestaktionen“ gegen Hindus und Sikhs aufstachelte. Daraufhin fasste der britische Premier den Entschluss, die Macht – und somit letztlich auch die Verantwortung für sämtliche Religionskonflikte auf dem Subkontinent – baldmöglichst an die Inder zu übertragen. Dabei schwebte ihm der 30. Juni 1948 als Stichtag vor.

Die hierzu erforderlichen Gespräche oblagen dem neuen Vizekönig Lord Louis Mountbatten, Viscount of Burma. Der wiederum wollte seine mittlerweile komplett zerstrittenen indischen Verhandlungspartner unter Druck setzen und verlegte den Termin für den Rückzug der Briten deshalb am 3. Juni 1947 kurzerhand auf den August desselben Jahres vor. Gleichzeitig segnete der sogenannte „Mountbatten-Plan“, welcher kurz darauf vom Parlament in London in Gestalt des Indian Independence Act bestätigt wurde, die Bildung zweier getrennter Dominions (also souveräner Herrschaftsgebiete) auf indischem Boden ab. Diese nachgerade halsbrecherische Geschwindigkeit der Dekolonisation hatte natürlich vielfältige Konsequenzen. Deren wichtigste war die vollkommen überhastete Festlegung des genauen Grenzverlaufs zwischen Indien und Pakistan (ein Akronym aus Punjab, Afghanien, Kaschmir, Indus-Sind und Belutschistan).

Auf Drängen Jinnahs übertrug man die Ziehung der Demarkationslinie einer Kommission unter dem Vorsitz des britischen Rechtsanwalts Sir Cyril Radcliffe. Der wiederum agierte zwar weitgehend unparteiisch, war aber nie zuvor in seinem Leben in Britisch-Indien gewesen und entschied ausschließlich vom Grünen Tisch aus. Dabei stand er auch unter extremem Zeitdruck: letztendlich verblieben ihm nur die wenigen Wochen zwischen dem 8. Juli und dem 12. August 1947. Gemäß den Vorgaben der Inder und Mountbattens erfolgte die Aufteilung der Kolonie zudem ohne jedwede Konsultation der betroffenen Bevölkerungsgruppen entlang der Grenzen, welche die angenommene geografische Verteilung religiöser Mehrheiten widerspiegeln sollten.

Damit nicht genug: Weil Mountbatten lieber die reichlich nebensächlichen Details der Übergabe­zeremonie planen wollte, als sich mit dem zu erwartenden Flüchtlingsproblem auseinanderzusetzen, wurden detaillierte Informationen über die Lage der Grenze erst am Tag nach den Unabhängigkeitsfeiern bekannt gegeben, woraufhin der spontane Bevölkerungsaustausch einsetzte, der vielfach in vollkommenem Chaos und blutiger Gewalt endete. Deshalb trägt das Empire auch die moralische Verantwortung für die zahllosen Opfer der Pogrome in der Zeit unmittelbar nach der Machtübergabe.

Die Entlassung der Kronkolonie Indien in die formelle Unabhängigkeit war also durch eine ganze Kette von eklatanten britischen Fehlleistungen gekennzeichnet. Diese führten später außerdem noch zu fünf kriegerischen Konflikten zwischen Indien und Pakistan sowie einem atomaren Wett­rüsten auf dem Subkontinent. Des Weiteren hatte die Kolonialmacht dem Islamismus zum Aufschwung verholfen und am Ende sogar eine erste eigene staatliche Machtbasis verschafft. So reichen die Auswirkungen der Ereignisse von vor 70 Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart.