18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.08.17 / Ibsen ohne links-grüne Schmuddelschicht / Der Mainstream hat die Klassiker gekapert und zwangsgedeutet – Günter Scholdt hat sie für uns neu gelesen – ein Interview

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-17 vom 04. August 2017

Ibsen ohne links-grüne Schmuddelschicht
Der Mainstream hat die Klassiker gekapert und zwangsgedeutet – Günter Scholdt hat sie für uns neu gelesen – ein Interview

Heinrichs Manns „Untertan“? Nun, der lässt sich auch heute noch ausmachen: Speichelleckend, intrigierend und liebdienernd fühlt sich Romanheld Diederich Heßling im Mainstream sauwohl. Er lacht viel zu laut über die platten Erika-Steinbach-Sketche in der „ZDF-Heute-show“. Er denunziert den Facebook-Freund, wenn dessen gepostete Witze ein bisschen zu entlarvend über Moslems, Feministinnen oder irgendeine andere geheiligte Gruppe ulken. Er liebt die Kanzlerin, weil es doch beinahe alle machen, und einem Wirt, der sein Lokal der AfD zur Verfügung stellt, sollte man umgehend die Schankerlaubnis entziehen.

Der Saarbrücker Germanist und Historiker Günter Scholdt (71) hat Heinrich Manns Roman und 30 andere Klassiker von der Schmuddelschicht links-grüner Deutungsmuster befreit und neu interpretiert. Sein Buch „Literarische Musterung“ holt Diederich Heßling, Michael Kohlhaas oder den Grafen von Monte Christo in die Gegenwart und zeigt, dass sie auch zu Massenimmigration, Tugendterror, Lügenpresse und Schuldkult einiges mitzuteilen haben. Ein bemerkenswertes Buch hat Scholdt verfasst. PAZ-Redakteur Frank Horns sprach mit dem Autoren.

PAZ: Von wegen, der Geist steht links. Viele der großen Schriftsteller, die Sie in ihrem Buch aufführen, scheinen wunderbar konservative Denker gewesen zu sein. Oder sind ihre Überlegungen so universell, dass man sie in kein Links-Rechts-Schema einordnen kann?

Günter Scholdt: „Links“ und „rechts“ sind heute vielfach zu eher unspezifischen Kampfbegriffen pervertiert. Man denke zum Beispiel an die albernen SPD-Abwehrreflexe in der von den Hamburger Krawallen provozierten Diskussion. Da wird dann von einem notorischen Flachdenker wie Ralf Stegner Gewalt kurioserweise als schlechthin „rechts“ definiert. Doch viel grundsätzlicher: Jede Epoche hat ihre eigenen Herausforderungen, wie man Gefahren, dem Verfall und einer ständig lauernden staatlichen Unterdrückung begegnet. Und der Feind wechselt. Klassiker schrieben keine heutigen Parteiprogramme. Aber sie bieten allgemeine Handlungsanleitungen und formulieren ein entsprechendes Ethos, das uns als geistiges Rüstzeug hilft. 

PAZ: War das ihr Antrieb, eine „Literarische Musterung“ vorzunehmen?

Scholdt: Irgendwann wurde mir bewusst, dass sich in vielen klassischen Erzähl- oder Dramentexten aktuelle politische Verhaltensmodelle verdeutlichen lassen. Kleists „Michael Kohlhaas“ etwa veranschaulicht die Zwickmühle, in die auch heute gerät, wer sich mit der schleichenden Erosion unseres Rechtsstaates nicht abfindet. Brechts „Galilei“ zeigt exemplarisch die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Orwells „1984“ antizipiert im „Wahrheitsministerium“ Maas‘ „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Platons Höhlengleichnis illustriert die gegenwärtige Abschottung vor unerwünschten Nachrichten. Bei der Fülle solcher Bezüge lag es nahe, diese gemeinsam in einem Buch zu erörtern. 

PAZ: Scherzhaft könnte man sagen, dass Sie als Ein-Mann-Befreiungskommando unterwegs waren und gekaperte literarische Meisterwerke befreit haben. Welches Werk war am schwierigsten aus der Vereinnahmung des links-grünen Mainstreams zu lösen?

Scholdt: Gewiss Heinrichs Manns „Untertan“, der seit 100 Jahren als Karikatur „rechter Mentalität“ gelesen wird, während der Typ längst im Gegenlager sein denunziatorisches Unwesen treibt. Auch „Antigone“ schien spätestens mit Hochhuths Verlagerung in die Nazizeit links okkupiert zu sein. Doch Protest gegen angemaßte Staatsmoral beschränkt sich keineswegs auf Widerstand gegen den schon hunderttausendmal publizistisch besiegten Standardfeind im braunen Gewand. Und gänzlich absurd erscheinen Zeitgeist-Inszenierungen von Sartres „Fliegen“ oder Frischs „Biedermann und die Brandstifter“. Denn im ersten Fall wird die zentral thematisierte Kollektivschuld schlechterdings wegspektakelt, im zweiten der Bezug zur Immigration derart verstellt, dass man an linksaffirmative Auftragsarbeit denken könnte.  

PAZ: Die Gegenwart scheint eine perfide Mischung aus Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“. Welchen Helden aus einem der vorgestellten Klassiker würden Sie denn dem aufrechten, klar denkenden Menschen von heute zum Vorbild empfehlen? Oder sollte es eine Mischung aus mehreren sein?

Scholdt: Meine Sympathie besitzen Romanfiguren wie Don Quijote, seines noblen Ethos wegen, und García Márquez‘ Oberst, dem ich bewusst das Schlusskapitel reserviert habe als Appell für Mut und Standhaftigkeit. Doch der Erste verwechselt sein Gesellschaftsideal mit der traurigen Realität, was auf politischer Ebene fatal ist. Und der Zweite zeigt eine Opferbereitschaft, die als heutige Handlungsanweisung manchem als Schreibtischheroismus erscheinen mag. Den Einsichtigen, aber nicht ganz so Couragierten sei die Minimalform eines – gar nicht so unwirksamen – Widerstands empfohlen: die unverbildete Ungeniertheit des Kindes in Andersens „Des Kaisers neue Kleider“. Denn dessen Ausspruch „Er hat ja gar nichts an“ gilt in nationalen Schicksalsfragen ganz gewiss für unsere politmediale „Elite“. 

PAZ: Dass Deutschlands „Kaiserin“ – zumindest unter ihren bonbonfarbenen Blazern – ziemlich nackt dasteht, scheint derzeit den wenigsten aufzufallen. Sie thront auf einem Umfragehoch. Nichts, was sie dem Land antut, scheint langfristig auf sie zurückzufallen. Welcher Klassiker kommt Ihnen angesichts dieser Person, dieses Phänomens, in den Sinn? 

Scholdt: Hinsichtlich der de-saströsen Willkommenspolitik Dürrenmatts „Romulus der Große“. Auch dieser amüsante, gegenüber seinen Landsleuten jedoch pflichtvergessene Hühnermonarch folgt einem pseudomoralischen Menschheitskonzept, dessen Scheitern schon im wirklichkeitsfremden Ansatz begründet liegt. Wie gnadenlos klingt bei ihm: „Der Kaiser zog die Hand von seinem Volke zurück“ oder „Der Kaiser ließ seine Untertanen fallen“ – Formulierungen, die unter ganz anderen Bedingungen an die Abgehobenheit heutiger „Volksvertreter“ erinnern. Man denke an das Kanzlerin-Wort: „Dann ist das nicht mein Land“. Doch vielleicht hieße das Merkel über Gebühr dämonisieren und ihre ethnokratische Vision überschätzen. Vielleicht ist sie nur ein – infolge ihrer politischen Sozialisation – besonders schwungvoll flatterndes Fähnchen im Zeitgeist. 

PAZ: Wohin der Zeitgeist wohl die Herren Weltliteraten geweht hätte? Für welche Partei würden Ibsen, Frisch oder Dürrenmatt heute eintreten?

Scholdt: Das weiß ich nicht, wenn ich ehrlich bin. Denn es hängt weniger von ihrer Einsicht als von ihrem Charakter ab. Man darf wünschen, dass sie nicht nur am Schreibtisch Persönlichkeiten waren. Doch hält auch das jeweilige kulturelle Establishment aller Zeiten zahlreiche Verführungen und Drohungen bereit, von öffentlich-einträglichen Pfründen ausgeschlossen zu werden. Und nur eine Minderheit wirkt demgegenüber souverän. So viel lässt sich allerdings sagen: Wenn die „Ritter des Geistes“ ihrem Anspruch gerecht würden, verweigerten sie zumindest den Kartellparteien, die angeblich als einzige wählbar sind, ihre Stimme.

Günter Scholdt: „Literarische Musterung – warum wir Kohlhaas, Don Quijote und andere Klassiker neu lesen müssen“, Antaios-Verlag, Schnellroda 2017, gebunden, 398 Seiten, 22 Euro.