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11.08.17 / Klavier zu acht Händen / Ungewöhnliches Schweizer Klassik-Experiment – Vier Tastenvirtuosen ersetzen ein ganzes Orchester

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-17 vom 11. August 2017

Klavier zu acht Händen
Ungewöhnliches Schweizer Klassik-Experiment – Vier Tastenvirtuosen ersetzen ein ganzes Orchester
Andreas Guballa

Was als einmalige Aktion begann, wurde zu einem einmaligen Klassik-Erfolg: Ein kammermusikalisches Quartett mit vier Klavieren. Am 16. August tritt die Schweizer Formation beim Schleswig-Holstein-Musikfestival auf.

Normalerweise versteht man unter einem Klavierquartett ein Ensemble aus Klavier, Geige, Bratsche und Cello. Eine ganz andere Art von Formation hatten allerdings vier Schweizer Pianisten im Kopf, als sie 1996 das Gershwin Piano Quartet gründeten. Vier gleichgroße Flügel sollten es sein, und widmen wollte man sich vor allem der Musik des Schöpfers der Oper „Porgy und Bess“ oder der „Rhapsodie in Blue“, George Gershwin.

„Das war eigentlich ein Zufall. Dahinter steckt keine geplante Erfolgsgeschichte oder die be­wuss­te Suche nach einer Marktlücke“, erinnert sich Stefan Wirth, der zu den Mitbegründern gehört, an die Anfänge. „Was als einmalige Aktion für ein Zürcher Musikhaus geplant war, wurde aber so ein Bombenerfolg, dass wir uns entschlossen haben, das weiter auszubauen. Kurz darauf kamen die ersten Auftritte in Brasilien und Griechenland, und der Rest ergab sich von selbst.“

Das Gershwin Piano Quartet wurde 1996 von André Desponds gegründet. Neben dem Gründer gehören ihm heute Stefan Wirth, der von Anfang an dabei war, sowie Benjamin Engeli und Mischa Cheung an, die 2007 zum Quartett kamen. Seitdem sorgt das ungewöhnliche Quartett auf der ganzen Welt für volle Konzertsäle und begeisterte das Publikum auch mit Tonträgern. 1999 erschien bei der Jecklin Edition die CD „Playing on 4 Pianos“ und 2010 im Eigenverlag die CD „Gershwin Piano Quartet“ sowie bei ZHdK Records die CD „be.four“.

Längst geht das Repertoire der Tastenakrobaten über die Musik ihres Namensgebers hinaus. Hin­zu kamen bald weitere Komponisten, die sich von Jazz, Ragtime und Blues oder von Broadway-Melodien inspirieren ließen. 

„Gershwin ist etwas wie der gemeinsame Nenner, der uns vier Pianisten verbunden hat. Einige von uns kommen eher aus dem Jazz, andere aus der Klassik 

– Gershwin hat von beidem etwas, da kann sich jeder wiederfinden“, sagt Wirth. Der Ansatz des Quartetts sei es, vieles auszuprobieren und auch Teile ganz offen zu lassen und zu improvisieren, wie es im Jazz ja vor allem üblich ist. Auch das vertrage sich mit Ger­shwins Musik sehr gut.

So setzen die Schweizer die Kompositionen ihres Namensgebers auch in einen Dialog mit Musik von Leonard Bernstein (aus der „West Side Story“), Cole Porter („Night and Day“) sowie Gershwin-Zeitgenossen wie Sergej Rachmaninow und Sergej Prokofjew. Gekonnt changieren die vier Herren zwischen Klassik, Jazz und Broadway und schicken das Publikum auf eine klangvolle Reise von Moskau nach New York, von der Alten in die Neue Welt. 

Jazzelemente finden sich auch im Werk des französischen Feingeistes Maurice Ravel, dem Komponistenschwerpunkt des diesjährigen Schleswig-Holstein-Mu­sikfestivals. Gleich drei seiner Werke hat das Quartett mit aufs Programm gesetzt, darunter „La valse“. „Dieser berühmte, orgiastische Abgesang auf die Wiener Walzerseligkeit angesichts der Katastrophe des Ersten Weltkriegs ist für mich eines der politischs­ten Stücke überhaupt“, sagt Wirth. Dieses Porträt der Alten Welt um 1914 herum sei von zeitloser Aktualität. Ihm gefällt diese absolute Geradlinigkeit, wie Ravel Populärmaterial in Einzelteile zerlegt und das Stück in einem völligen Taumel dann untergeht. „Das an vier Klavieren kompakt darzustellen macht sehr viel Spaß. Mit seinen vielen Details eignet es sich besonders gut dafür“, so Wirth, der das Stück auch arrangiert hat. 

Für das selten zu hörende Klavierquartett müssen vier gleichgroße Steinway-Flügel her. Das bedeutet eine logistische und or­ganisatorische Herausforderung, denn die Instrumente werden genau einen Tag vor dem Konzert ins Elbeforum nach Brunsbüttel geliefert. Ein Aufwand, den viele Veranstalter scheuen. „So kompliziert ist das meistens gar nicht 

– ein Anruf genügt, denn wir haben mittlerweile einen Klavierbauer gefunden, der preisgünstig die Flügel liefert. Und wenn man bedenkt, dass wir fast immer vor ausverkauftem Haus spielen, dann sind wir immer noch sehr viel günstiger als ein ganzes Orchester“, sagt Wirth lachend.

Die Schweizer haben ihre Programme mit großem Erfolg und beeindruckender medialer Resonanz bereits in ganz Europa, Südamerika, China sowie im Nahen Osten präsentiert. Immerhin weckt man mit dieser Besetzung häufig die Neugier des Publikums. „Das kommt ja nicht wegen uns oder weil wir so be­rühmt sind. Das ist vielleicht höchstens so, wenn wir in der Schweiz auftreten – in China, wo wir große Hallen füllen, kennt uns niemand –, sondern weil die Leute mal vier Flügel auf der Bühne erleben wollen.“


Gershwin Piano Quartet, 16. Au­gust, 20 Uhr: Elbeforum Brunsbüttel, 17. August, 20 Uhr: Scheune Hasselburg, Karten über die Tickethotline (0431) 237070