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11.08.17 / Zweifaches Jahrhunderträtsel / Vor 30 Jahren starb Rudolf Heß – Die Umstände seines Todes liegen ebenso im Dunkeln wie die seines England-Fluges 1941

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-17 vom 11. August 2017

Zweifaches Jahrhunderträtsel
Vor 30 Jahren starb Rudolf Heß – Die Umstände seines Todes liegen ebenso im Dunkeln wie die seines England-Fluges 1941
Wolfgang Kaufmann

Vor 30 Jahren starb der ehemalige „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, nach 46-jähriger Haft im Alliierten Militärgefängnis von Berlin-Spandau – laut offizieller Darstellung durch Selbstmord. Allerdings wurden seitdem wiederholt Zweifel an dieser Version laut.

Mit der Person von Rudolf Heß verbinden sich gleich zwei Rätsel der Zeitgeschichte: Aus welchem Grunde flog der zweite Mann im NS-Staat im Mai 1941 nach Schottland, und was war seine wahre Todesursache? Dabei kann durchaus ein Zusammenhang zwischen diesen beiden ungeklärten Fragen bestehen. So zum Beispiel, wenn die Vermutung zutrifft, dass der britische Premierminister Winston Churchill von Heß überbrachte, ernstgemeinte Friedensvorschläge Hitlers abgelehnt habe, um die Vereinigten Staaten und die UdSSR in den für Großbritannien faktisch schon verlorenen Krieg hineinzuziehen. Ein Bekanntwerden solcher Winkelzüge wäre natürlich fatal für den Ruf des Empire gewesen – 1941 genauso wie 1987.

Aber solange die britischen Akten zum Fall Heß noch gesperrt sind, bleibt das alles nur Spekulation. Angeblich sollen die Dokumente nun, drei Jahrzehnte nach dem Tod des Hitler-Stellvertreters am 17. August 1987, freigegeben werden. Möglicherweise haben die Geheimdienste Ihrer Majestät längst ganze Arbeit geleistet und „passende“ Unterlagen zusammengestellt, welche den notorischen Kriegstreiber Churchill möglichst gut aussehen lassen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass schon die bisher bekanntgewordenen Umstände von Heß’ „Selbstmord“ geeignet sind, Zweifel an der Version der Alliierten zu wecken.

Seit 1966 war Rudolf Heß der einzige Insasse des Spandauer Gefängnisses, in dem er die in Nürnberg verhängte lebenslange Haftstrafe wegen „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ und „Verschwörung gegen den Weltfrieden“ verbüßte. Dabei ließ sein Gesundheitszustand von Anfang an sehr zu wünschen übrig, insbesondere in psychischer Hinsicht. So hatten sowohl der amerikanische Gefängnispsychologe Gustave M. Gilbert als auch der leitende britische Armee-Psychiater John Rawlings Rees bei ihm Gedächtnisschwund, Verfolgungswahn und Depressionen diagnostiziert. Zu Letzterem passen die vier Selbstmordversuche von Heß zwischen 1941 und 1977. Aufgrund dieser Sachlage wurden immer wieder Rufe nach einer vorzeitigen Entlassung aus humanitären Gründen laut, darunter von Seiten des Bundespräsidenten Gustav Heinemann und der Regierung Kohl. Allerdings scheiterte die Begnadigung der Nazi-Größe stets „zuverlässig“ am Veto Moskaus, weshalb der absurd aufwändige Gefängnisbetrieb in Spandau, den die Bundesrepublik und WestBerlin mit insgesamt drei Millionen Mark pro Jahr finanzieren mussten, unaufhörlich weiterging.

In der letzten Dekade seines einsamen Lebens scheint der mentale Zustand von Heß jedoch stabiler geworden zu sein, was wohl auch an den gelockerten Haftbedingungen lag. Der „teuerste Strafgefangene der Welt“ durfte sich nun weitgehend frei im Gelände der eigentlich für 600 Insassen ausgelegten Anstalt bewegen und genoss auch sonst einige neuartige Privilegien. Zugleich begann der Häftling zunehmend unter altersbedingten körperlichen Beschwerden zu leiden. Schließlich konnte er kaum mehr ohne die Hilfe eines Pflegers, nämlich des gebürtigen Tunesiers Abdallah Melaouhi, laufen oder die Schuhe anziehen. Außerdem war der schwer herzkranke und fast blinde sowie offensichtlich schon recht demente 93-Jährige nicht imstande, seine Arme über Schulterhöhe zu heben. Trotzdem aber soll er am Nachmittag des 17. August 1987 allein im Garten des Gefängnisses unterwegs gewesen sein und sich in der dortigen Laube unbemerkt mittels eines Verlängerungskabels erhängt haben.

Kurz darauf fand ihn der Doppelposten der Sowjets, die zu diesem Zeitpunkt turnusmäßig für die Bewachung der Strafanstalt zuständig waren. Heß wurde sofort in das nahebei gelegene britische Militärhospital gebracht, wo die Ärzte ihn um 16.10 Uhr für tot erklärten. Dem folgte eine umgehende Obduktion durch den britischen Gerichtsmediziner James Cameron, welche die offizielle Selbstmordversion begründete.

Interessanterweise verschweigt der Bericht über die Leichenschau einige entscheidende Details wie die konkrete Lage, in der Heß aufgefunden wurde. Darüber hinaus förderte eine weitere Sektion am 19. August, die auf Betreiben der Familie des Toten am Institut für Rechtsmedizin der Universität München durch die renommierten Pathologen Wolfgang Spann und Wolfgang Eisenmenger vorgenommen wurde, Merkwürdiges zutage: So fanden sich plötzlich auffällige Quetschungen und Blutungen im Bereich der Kehlkopfhörner, die Cameron offensichtlich ignoriert hatte. Dabei sind solche Verletzungen atypisch für Erhängen und passen eher zu einem fremdverursachten Tod durch Erdrosseln.

Zweifel an der amtlichen Darstellung über das Sterben von Heß meldete zudem auch sein ehemaliger Arzt Hugh Thomas an. Wie die britische Tageszeitung „The Independent“ im Jahre 2013 enthüllte, gab der Mediziner im Mai 1989 gegenüber Scotland Yard zu Protokoll, er habe vertrauliche Informationen von einem Ausbilder der Spezialeinheit SAS (Special Air Service) erhalten, dass zwei von dessen Leuten im Auftrag der britischen Regierung in US-Uniform in Spandau eingedrungen seien und den Gefangenen beseitigt hätten. Dabei nannte Thomas sogar die Namen der beiden angeblichen Mörder, welche peinliche Enthüllungen über die Verhandlungen von 1941 verhindern sollten.

Hierzu passt die Aussage des Pflegers Melaouhi bezüglich der Reaktion des Häftlings auf Pressemeldungen vom April 1987, der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow sei bereit, ihn „für die letzten Tage seines Lebens“ aus Spandau zu entlassen: „Das ist mein Todesurteil“, habe Heß daraufhin tief erschrocken geäußert.

Letztendlich entfalteten aber weder die Einlassungen von Thomas noch die von Melaouhi irgendeine Wirkung, außer dass der Letztere als „rechtsextrem“ abgestempelt wurde. Sechs Monate, nachdem sich der britische Arzt gegenüber Jones offenbart hatte, stellte der Chef der Strafverfolgungsbehörde der Krone, Sir Allan Green, die zunächst wieder aufgenommenen Ermittlungen ein und teilte dem Unterhaus in London mit, es gebe keine neuen Beweise im Falle Heß.

(siehe auch Seite 8)