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25.08.17 / Gegenwind / Wer Deutscher ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-17 vom 25. August 2017

Gegenwind
Wer Deutscher ist
Florian Stumfall

Seit Russland auf Bitten der Regierung Assad in den syrischen Krieg eingegriffen hat, verliert der IS an allen Fronten an Boden. Das hat unter anderem zur Folge, dass immer mehr Syrer, die vor dem Krieg geflohen waren, in ihre Heimat zurückkehren. Die meisten von ihnen haben die Zeit der Bedrohung und Gefahr in benachbarten Regionen der Türkei zugebracht und standen nie auf der Liste derer, die der türkische Präsident Erdogan angeblich davon abhält, nach Europa weiterzuziehen. 

Niemand weiß, wie viele Immigranten sich fälschlich als Syrer ausgegeben haben, und seit der Hauptstrom übers Mittelmeer kommt, ist die Frage nach dem Herkommen ohnehin obsolet geworden. Sicher ist nur eines: Von diesen sind so gut wie alle Wirtschafts-Flüchtlinge, die eine Menge Geld haben, das sie für die Schlepper ausgeben.

Dennoch hat es sich in Europa, zumindest aber in Deutschland eingebürgert, prima vista alle, die Italien überschwemmen, um dann nach Deutschland zu gelangen, als „Asylanten“ zu betrachten, denen Schutz, Aufnahme und Bleiberecht zustehe. Ausdrücklich ist von einem „Grundrecht auf Asyl“ die Rede, und niemand wehrt sich gegen diesen unsinnigen und fatalen Begriff. Es gibt kein Grundrecht auf Asyl. Ein Grundrecht ist der Anspruch eines einzelnen an den Staat, den jeder Mensch erheben kann: den auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Glaubensfreiheit, das Recht, Eigentum zu erwerben, und dasjenige, seine Meinung zu äußern. Ein Grundrecht ist nicht einmal an die Staatsbürgerschaft gebunden.

Anders das Asylrecht. Dieses ist von Bedingungen abhängig und wird nur Einzelpersonen gewährt, ist also ein Persönlichkeitsrecht für denjenigen, der glaubhaft machen kann, dass er in seinem Heimatstaat von ungerechtfertigter Verfolgung, Folter oder Todesstrafe bedroht ist und dort auf kein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren hoffen kann. Dort, wo Asylprüfungsverfahren nach Buchstaben und Geist des Gesetzes durchgeführt werden, ist denn auch die Anerkennungsquote verschwindend gering.

Dennoch ist der bestimmende Begriff in der Debatte um die Zuwanderung derjenige der Integration. Der Gedanke, dass im Grundsatz all diejenigen, die unter Umgehung der rechtlichen Regeln nach Europa drängen, im Prinzip, so sie nicht gleich abgewiesen werden, alsbald zurückgeführt werden müssten, scheint wenig verbreitet. Dabei käme nach Lage der Dinge bei sachlicher Beurteilung der Rückführung die Dringlichkeit zu, die allgemein der Integration beigemessen wird.

Allerdings ist dieser Begriff der Integration durch starke Abnutzung schon verschlissen und nur noch wenig brauchbar. Denn zum Ersten muss klargestellt wer-den, wo hinein sich denn die Hunderttau-sende nun integrieren sollten. Wer diese Frage stellt, erfährt zunächst eines: das Gewese um Integration ist zumeist leeres Gefasel. Bemüht man sich aber gründlicher darum, so kommt auf einmal eine Größe wieder zum Vorschein, die von der politischen Korrektheit längst verdammt worden war: die Leitkultur. Um die geht es, wenn man sich dem Traum hingibt, alle, die nach Europa strömen, wollten hier artgerecht und mit tiefer Seele Wurzeln schlagen. 

Denn was sonst noch daran hängen mag, wäre nur eine Folge aus der Wirkkraft der Leitkultur: die Erfordernis, sich an die hier geltenden Gesetze zu halten, die Gebote der Höflichkeit zu achten, die Sitten zu respektieren, das Prinzip von Treu und Glauben zu ehren, in den großen Strom der europäischen Geistesgeschichte einzutauchen und abzuwehren, was immer dem allem entgegensteht, und sei es die eigene Vergangenheit.

Bei der Bewältigung der Schwierigkeit, mit ebenso verschiedenartigen wie anspruchsvollen Gegenständen umzugehen, gibt der Nationen-Begriff unverhoffte Hilfestellung. Er nämlich ist in sich dreigeteilt und auf diese Weise geeignet, Ordnung in die Vielfalt zu bringen. Da gibt es zunächst den rein formalen Begriff der Nationalität: Deutscher ist, wer einen deutschen Pass besitzt. In diesem, wie gesagt, rein materiellen Sinn ist das auch durchaus richtig. Doch diese einfache Gleichung vermag nicht, die ganze Wirklichkeit zu erklären. 

Nehmen wir beispielsweise einen Südtiroler. Er ist, was seine Staatsbürgerschaft angeht, als Besitzer eines italienischen Passes Italiener. Von Nationalität aber ist er Deutscher. Seine Muttersprache ist Deutsch, er fühlt sich dem deutschen Kulturkreis zugehörig, und er bezeichnet sich selbst als Deutschen. Das ist der Unterschied zwischen Staatsbürgerschaft und Nationalität. Das Beispiel ist erweiterbar und anzuwenden auch auf Deutsche in Namibia oder Kasachstan. Es gibt also etwas, was über den Besitz eines staatlichen Dokuments hinausgeht. Das ist die Kulturnation. Leider sind Politiker, die damit etwas anfangen können, ja, die überhaupt von der verborgenen Existenz dieses Phänomens wissen, selten wie eine kostbare Perle. Sonst könnten nicht die allermeisten von ihnen so tun, als stünde in Sachen Integration alles zum Besten, wenn sich ein Türke dazu bereitgefunden hätte, einen deutschen Pass anzunehmen, womöglich zusätzlich zu seinem türkischen. Doch damit ist überhaupt nichts geschehen, und eine Doppelstaatsbürgerschaft beweist, dass der Neubürger der Kulturnation seines Aufnahmelandes nicht angehören will. Doppelstaatsbürgerschaft – das ist so etwas wie die schriftliche Verbriefung des Rechts auf Ehebruch vor dem Traualtar. Mit Integration jedenfalls hat das nichts zu tun.

Die Nagelprobe bei dem Problem aber ergibt sich bei der dritten Form der Nationalität, die meist in sehr engem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur Kulturnation steht. Es ist dies die Bekenntnis-Nation. Ist die Kulturnation schon ein Ding, das mit definitorischer Akkuratesse weniger gut zu fassen ist als durch Beispielhaftigkeit, so ist dies bei der Bekenntnis-Nation noch mehr der Fall. Vor allem: Bei ihr ist man versucht, dem anderen in die Seele zu schauen, denn es geht um Regungen des Gemüts. Steigt die Puls-Frequenz des Adepten beim Anblick der Staats-Flagge oder nicht? Um es einfacher und weniger inquisitorisch zu machen: Im Alltag erweist sich die Zugehörigkeit zur Bekenntnis-Nation dann, wenn es ein Fußballspiel zwischen den beiden konkurrierenden Ländern gibt und der in Frage stehende Trans-Nationale selbst erkennen kann, für welche Seite er die Daumen drückt.

Tatsächlich aber geht es um mehr als Fußball. Denn im Bereich des Bekenntnisses zu einem Staat entscheidet sich die für diesen so grundlegende Frage nach der Loyalität der Bürger. Für das Ausstellen eines Passes ist der Staat zuständig. Für den Herzschlag bei patriotischen Anlässen, soweit es diese außerhalb der Sportstadien überhaupt noch gibt, ist der Staat nicht zuständig, das ist Sache des jeweils einzelnen Betroffenen. Das beweist aber auch, dass es bei ihm liegt, wie er es mit der Integration hält, soweit sie über den Pass hinausgehen soll. Die emotionale als die entscheidende Komponente des „Deutsch-Werdens“ ist ausschließlich Angelegenheit dessen, der eine Staatsbürgerschaft anstrebt. 

Daher gehen alle Politiker fehl, die der autochthonen Bevölkerung eine Pflicht zur Integration aufhalsen wollen. So etwas wäre gar nicht möglich, und wenn man es auch wollte. Wenn also Türken in Deutschland, Pakistani in England, Araber in Frankreich, Chinesen in den USA, Deutsche in Afrika oder Chile und Kurden in der Türkei seit Generationen für sich leben, so tun sie das, weil sie es so wollen.

Eine Vermischung findet da statt, wo der Zuwanderer enge kulturelle Verbindun­gen zum Aufnahmeland hat, so bei den Deutschen, die in die USA ausgewandert sind. Wo der Unterschied zu groß ist, bleibt sie aus, und das muss man dann dabei belassen, wohl oder übel.