Literaturskandale sorgten 1857 für den Durchbruch zweier Autoren. Gustave Flaubert wurde damals im Februar in einem Prozess wegen Obszönität in seinem Romanerstling „Madame Bovary“ freigesprochen. Ein halbes Jahr später ging es für einen gewissen Charles Baudelaire weniger glimpflich ab. Wegen Verstoßes gegen die guten Sitten in seinem Gedichtband „Die Blumen des Bösen“ wurde er zu einer Geldstrafe von 300 Francs verurteilt, außerdem fielen von den 101 Gedichten sechs als blasphemisch und obszön empfundene Poeme der Zensur zum Opfer.
Durch diese damals heiß diskutierten Urteile wurden zwei bis dahin unbekannte Autoren auf einen Schlag berühmt und ihre beiden dichterischen Debütwerke zu Exportschlagern der französischen Literatur bis heute. Während „Madame Bovary“ als Meisterwerk des Realismus gefeiert wird, gelten die „Blumen des Bösen“ mit ihrem vom Ekel der Großstadt und Melancholie geprägten Ton als Geburtsakt der modernen Lyrik.
Baudelaire selbst gilt als Villon des 19. Jahrhunderts, der wie sein mittelalterlicher Dichtergenosse in den Gossen von Paris gelebt hat. Nachdem er als Dandy das üppige Erbe seines Vaters durchgebracht hatte und von der Mutter entmündigt wurde, trieb sich Baudelaire als Lebenskünstler jahrelang mittellos in den Straßen von Paris herum, steckte sich mit der Syphilis an, verfiel dem Alkohol und Opium – davon erzählen seine Prosagedichte „Die künstlichen Paradiese“ von 1860 –, war nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt sowie sprechunfähig und starb 46-jährig am 31. August 1867 in einer Pariser Anstalt.
Der Pionier der Moderne war aber auch Brückenbauer nach Europa für einen Bruder im Geiste: Edgar Allan Poe. Ab 1848 übersetzte Baudelaire die Horror- und Schauererzählungen des US-Autors. Seine ab 1856 erscheinende, fünfbändige Poe-Ausgabe setzte Maßstäbe. Bei dtv erscheint sie seit 2017 in der Neuübersetzung von Andreas Nohl in einer bibliophilen Edition mit allen Kommentaren und Texten Baudelaires zu Poe. Jüngst veröffentlicht ist Band I, „Unheimliche Geschichten“ (424 Seiten, 28 Euro). Neben einer zweisprachigen Ausgabe von „Die Blumen des Bösen“ bei dtv (520 Seiten, 12,90 Euro) gibt es bei Rowohlt jetzt auch eine Neuübersetzung durch Simon Werle (528 Seiten, 38 Euro). Zu empfehlen ist auch der Essayband „Wein und Haschisch“ (Manesse, 224 Seiten, 22,95 Euro).