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25.08.17 / Sie beförderte den Sputnik in den Weltraum / Eigentlich war die sowjetische Interkontinentalrakete R-7 für die atomare Abschreckung gedacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-17 vom 25. August 2017

Sie beförderte den Sputnik in den Weltraum
Eigentlich war die sowjetische Interkontinentalrakete R-7 für die atomare Abschreckung gedacht
Wolfgang Kaufmann

Vor 60 Jahren meldete die Sowjetunion der erste erfolgreiche Test einer Interkontinentalrakete. Jedoch war das verwendete Modell R-7 militärisch nutzlos. Dahingegen erwies es sich als nachgerade ideale Raumfahrtträgerrakete, die in der Folgezeit über 1000 erfolgreiche Starts absolvierte und in modifizierter Form noch heute zum Einsatz kommt – so zum Beispiel bei den Zubringerflügen zur Internationalen Raumstation (ISS).

Ab August 1949 verfügten sowohl die Vereinigten Staaten als auch die UdSSR über Atombomben. Um diese Massenvernichtungswaffen ins Ziel zu bringen, brauchten sie Trägersysteme, ansonsten verpuffte die nukleare Abschreckung. Die USA bauten deshalb zunächst zahlreiche Langstreckenbomber zur Stationierung auf Stützpunkten rund um die Sowjetunion, während Moskau von Anfang an Interkontinentalraketen präferierte, die vom eigenen Territorium aus starten und sehr viel schwieriger abgewehrt werden konnten. Allerdings fielen die sowjetischen Kernwaffen damals noch recht plump aus, was Flugkörper nötig machte, die Sprengköpfe von mehreren Tonnen Gewicht tragen konnten.

Deshalb erging der Auftrag an das Experimental-Konstruktionsbüro OKB-1 unter der Leitung von Sergej Koroljow, eine Interkontinentalrakete namens R-6 mit drei Tonnen Nutzlast zu entwickeln. Am 12. August 1953 zündete die Sowjetunion jedoch ihre erste Wasserstoffbombe, weshalb der Kreml seine Forderung hinsichtlich der Zuladung auf 5,5 Tonnen erhöhte. Dies führte zur Weiterentwicklung der R-6 zur R-7, deren Entwurf am 20. November 1954 vom Ministerrat der UdSSR abgesegnet wurde.

Diese Rakete basierte teilweise noch auf Technologie aus dem Dritten Reich, denn Koroljow und seine Mitarbeiter hatten das Wissen verschleppter deutscher Raketenexperten wie Helmut Gröttrup oder Werner Albring abgeschöpft und von diesen unter anderem das Prinzip der Bündelung mehrerer Triebwerke zur Leistungssteigerung übernommen. Die so konfigurierte Zentralstufe der R-7 umgaben sie mit vier „Boostern“ genannten Starthilfen in Form von seitlich angebrachten R-5-Mittelstreckenraketen. Das Ergebnis war ein Monstrum von 34 Metern Länge, das voll betankt 280 Tonnen wog und seinen thermonuklearen Sprengkopf, dessen Detonationskraft angeblich bei 30 Megatonnen Trinitrotoluol (TNT) lag, bis zu 8800 Kilometer weit tragen sollte – bei einer Zielgenauigkeit von fünf- bis zehn Kilometern.

Parallel zur Entwicklung der riesigen R-7 erfolgte der Bau spezieller Startanlagen im nordrussischen Plessezk und auf dem 5. Staatlichen Zentralen Testgelände nahe der kasachischen Eisenbahnstation Tjuratam an der Strecke Moskau–Taschkent, das später zur Tarnung nach dem 320 Kilometer entfernten Dorf Baikonur benannt wurde. Dabei erwies sich die Errichtung der Rampen als extrem kostspielig. Sie verschlang rund eine Milliarde Rubel, immerhin zehn Prozent der damaligen sowjetischen Verteidigungsausgaben.

Nach der Fertigstellung des Startplatzes in Tjuratam gab eine staatliche Kommission grünes Licht für den ersten Erprobungsflug der R-7. Dieser erfolgte am 15. Mai 1957 und endete katastrophal. 98 Sekunden nach dem Abheben löste sich der Booster D, woraufhin die Rakete um 19.03 Uhr Moskauer Zeit abstürzte. Und auch der zweite und dritte Test am 11. Juni und 12. Juli 1957 scheiterten. Zuerst hob die R-7 überhaupt nicht ab, weil es Probleme mit der Treibstoffzufuhr im Booster B gab, dann wiederholte sich das Fiasko vom Mai in der 33. Sekunde des Aufstiegs aufgrund von Kurzschlüssen in der Steuerung.

Erst am 21. August 1957 konnte die R-7 tatsächlich die geplante Distanz von rund 800000 Kilometern zwischen Baikonur und dem Zielgebiet auf der Halbinsel Kamtschatka zurücklegen. Allerdings zerbarst die Verkleidung der Attrappe des Nuklearsprengkopfes beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Nichtsdestotrotz bezeichnete die sowjetische Nach­rich­ten­agentur TASS den Test am 26. August als großen Erfolg der Ingenieure im „Mutterland aller Werktätigen“.

Dem Erstflug der R-7 folgte der noch deutlich spektakulärere Einsatz als Trägerrakete für die ersten drei Erdsatelliten vom Typ „Sputnik“ am 4. Oktober und 3. November 1957 sowie 15. Mai 1958 (siehe Seite 11). Diese Missionen fanden vor allem deshalb statt, weil die Konstrukteure, die weiterhin ohne Lösung des Problems der Gestaltung des Wiedereintrittskörpers mit der Bombe dastanden, Versuchsflüge ohne jegliche Zuladung vermeiden wollten.

Insgesamt startete das Team um Koroljow 31 R-7, wobei immerhin elf der 28 militärischen Tests mit Misserfolgen endeten. Das war aber keineswegs der einzige Grund, warum die erste Interkontinentalrakete der Welt letztlich nicht als Kernwaffenträger taugte, sondern stattdessen zum Basismodell der meisten sowjetischen Raumfahrtträgerraketen avancierte. Die Triebwerke der R-7 liefen mit Kerosin und mehr als minus 183 Grad Celsius kaltem flüssigem Sauerstoff. Dies führte dazu, dass die Startvorbereitungszeit 24 Stunden betrug und der Flugkörper im Gegensatz zur später entwickelten US-amerikanischen „Titan“ und dem R-7-Nachfolgemodell R-16 nicht aus getarnten unterirdischen Silos verschossen werden konnte. Damit waren Erstschläge ohne Vorwarnung ebenso unmöglich wie die schnelle Reaktion auf einen US-Angriff. 

Trotzdem erklärte die UdSSR-Führung Koroljows 

R-7 am 20. Januar 1960 für einsatzbereit. Dem vorausgegangen waren die Stationierung mehrerer solcher Interkontinentalraketen in Plessezk und die formelle Gründung der Strategischen Raketentruppen der Sowjetunion am 17. Dezember 1959. Dass die R-7 wegen ihres unausgereiften Wiedereintrittskörpers niemals mit nuklearen Gefechtsköpfen versehen werden konnte, verschwieg Moskau eisern, um die atomare Abschreckung aufrechtzuerhalten.

Erst die im September 1960 in Dienst gestellte Version 

R-7A mit 12100 Kilometern Reichweite hätte es tatsächlich vermocht, eine abgespeckte Wasserstoffbombe von 3,3 Tonnen Gewicht ins Ziel zu tragen. Und das wäre während des Höhepunktes der Kubakrise im Oktober 1962 auch fast passiert. Damals standen vier R-7A in Plessezk bereit, um Washington, New York, Chicago und Los Angeles von der Landkarte zu tilgen. Danach kam dann freilich das sukzessive Aus für die R-7- und R-7A-Flotte. Die letzte militärische Interkontinentalrakete dieses Typs wurde 1968 ausgemustert.