16.04.2024

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25.08.17 / Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-17 vom 25. August 2017

Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

schließen wir gleich an das Ende der Folge 33 an, aber wir können leider nicht so Erfreuliches berichten, wie es den letzten Zeilen zu entnehmen war. Da schrieb ich über meinen Kollegen und ehemaligen Ostpreußenblatt-Redakteur Horst Zander und seine Frau Lydia, die ihren Familienhof in Hinterpommern wieder zurückerworben hatte und nun mit ihrem Mann dort ein Leben fern von aller Hetze in einer beschaulichen Landschaft führte, um das die beiden so manch ein Besucher – und es kamen nicht wenige, auch aus dem alten Ostpreußenkreis – beneidete. Als „idyllischen Lindenhof“ bezeichnete ich dieses von alten Bäumen umgebene Anwesen. Hat sich was mit Idylle: Heute herrscht dort das Kreischen der Baumsäge, denn der furchtbare Orkan, der Polen so vernichtend traf, hat Hinterpommern nicht verschont, auch nicht den Ort Schimmerwitz am Walde und damit den Lindenhof. Wenn man ihn noch so bezeichnen kann, denn sämtliche Linden hat der Orkan entwurzelt, und auch im Obstgarten hat er Kahlschlag gemacht. Ein einziger Apfelbaum soll übrig geblieben sein, wie mir Horst Zander am Telefon berichtete. Es ist besonders schmerzlich, weil es sich zum Teil um 100-jährige Bäume handelt. Horst Zander behauptete, in seinem Leben noch nie solch einen Orkan erlebt zu haben. Doch die Zanders packen schon wieder an, denn zum Glück blieben die Gebäude verschont. Aber ein Stromausfall, der Wochen dauern könnte, kommt nun erschwerend hinzu. Das ließ uns Horst Zander bei dem Gespräch wissen. Hoffentlich hat sich inzwischen die Lage wenigstens in dieser Hinsicht verbessert – die alten Linden, die dem Hof den Namen gaben, bringt niemand mehr zurück. Die Säge kreischt weiter …

Wer mit unserer Ostpreußischen Familie vertraut ist, wundert sich nicht, wenn auf eine in unserer Kolumne veröffentlichten Frage eine Resonanz erfolgt, welche die eigenen Erwartungen weit übertrifft. Anders ist es bei den Suchenden, die bisher die PAZ nicht kannten und sich auf Rat einer Leserin oder eines Lesers mit ihrem Anliegen an uns wenden. „Solch eine Reaktion haben wir nicht erwartet“, ist oft das Fazit. Das trifft auch für Herrn Volker Kadow aus Erfurt zu, der nach Königsbergern suchte, die ihm etwas über die Gartenstadt Westend sagen konnten, weil dort seine Mutter ihre Kindheit verbracht hatte. Er teilte mir am Telefon mit, dass er mit einem solchen Echo nicht gerechnet hätte. Es kam in Form von Briefen, Karten, Bildern, Plänen und Anrufen, die ihm in ihrer Vielseitigkeit die Kinderheimat seiner Mutter transparent machten. Wesentlich trugen dazu die Ausführungen von Herrn Professor Dr. Günter Hertel bei, die wir in Folge 30 veröffentlichten. Der von ihm erstellte Lageplan der Gartenstadt rief einen langjährigen Leser auf den Plan, der nun das oft zitierte Sahnehäubchen lieferte. Herr Herbert Roesnick aus Hamburg teilte uns mit, dass er seine ganze Kindheit in der Gartenstadt verbracht habe und deshalb authentische Auskunft geben könnte. So über die im Plan verzeichnete Haynstraße, die aber Burdastraße hieß – und da ist kein Irrtum möglich, denn in dieser Straße stand sein Elternhaus, in dem er bis zur Flucht lebte. So hat er noch viele Erinnerungen an sein Kinderparadies, das viel Freiheit und unbeschwertes Spiel bot – wie das Moddern im Wirrgraben, das eigentlich untersagt war, aber als kleiner Lorbass hält man sich nicht an solche Verbote. Auch über seine Schulzeit in Kohlhof kann er berichten, über die benachbarte Gartenstadt Charlottenburg und über Hardershof. Und damit wird er für Herrn Kadow zu einem verlässlichen Informanten für das von ihm geplante Buch über das Leben seiner Mutter. Hier zeigt sich einmal wieder die Ostpreußische Familie als Netzwerk, denn ich brachte die beiden als Telefonpartner zusammen – am besten hinterfragen lässt es sich eben im direkten Gespräch.

Und da schließe ich gleich meine schon x-mal ausgesprochene Bitte an, für die immer Wiederholungsbedarf besteht: Bei an unsere Ostpreußische Familie gerichteten Anliegen möglichst die volle Anschrift und Telefonnummer angeben, sie sind für eine intensive Bearbeitung der Suchfragen unerlässlich. Wenn eine Veröffentlichung der Telefonnummer nicht gewünscht wird, kann man vermerken: „Nur für den internen Gebrauch.“ Bei den meisten Anfragen muss recherchiert werden, denn viele Angaben sind ungenau oder fehlen gänzlich, wobei natürlich der Faktor Zeit eine Rolle spielt. Hinzu kommt, dass sich gerade die älteren Leserinnen und Leser, die als Zeitzeugen in Frage kommen, nur postalisch oder telefonisch melden können. Anschrift und Telefonnummer immer auf dem Schreiben vermerken, nur auf dem Umschlag genügt nicht. Bitte teilen Sie das auch den möglichen Fragestellern mit, die keine Bezieher unserer Zeitung sind, aber von Ihnen auf diese hingewiesen werden, denn die belassen es zumeist nur bei der E-Mail-Adresse. So, das wäre mein Zwischenruf, der hoffentlich beherzigt wird.

Auch der russische Wissenschaftler Dr. Valery Sewastianow, der heute auf einem alten Bauernhof im Samland lebt, kam zu uns auf Empfehlung seines Forstkollegen Armin Eschment, und mit diesem Namen bin ich seit alten Rossitter Zeiten vertraut, denn sein Vater war der bekannte „Nehrungsförster“ Dietrich Eschment. Aber die Suchfrage, die uns der russische Fragesteller vorlegt, gehört wohl zu den schwierigsten der letzten Zeit, und ich habe Mühe, aus der Fülle seiner in einem langen Schreiben übermittelten Informationen die wichtigsten herauszusuchen: Es handelt sich um die Identität des heute 70-Jährigen, verbunden mit der Suche nach einer vermuteten Schwester. Beider Schicksal beginnt 1947 im von den Russen okkupierten Königsberger Gebiet, in Georgenswalde an der Samlandküste. Dort hatte die Chefchirurgin und Majorin im Medizindienst Taisia Lerman mit ihrem Ehemann, dem Oberst im Medizindienst Wasili Schafran, ihren Wohnsitz, zu dem auch ein Klinikum gehörte. Zuvor war die Ärztin in einem Hospital im schlesischen Waldenburg tätig gewesen. Dort arbeitete auch ihre Tochter Galina Lerman als Krankenschwester. Diese fuhr mit ihrem Mann, dem Leutnant Dmitry Sewastianow, am 3. August 1947 zu Galinas Eltern nach Georgenswalde. Anscheinend hatten diese sie gerufen, weil sie eine Adoption vorbereiteten, denn sie holten zwei Kinder deutscher Herkunft aus einem nahen Kinderheim. Es sollte sich um Geschwister handeln, ein etwa drei- bis vierjähriges Mädchen, das den russischen Namen Ludmila erhielt, und einen erst einjährigen Jungen. Gemäß einer Verordnung sollten die Kinder älter als zwei Jahre sein – der Junge war aber erst etwa ein Jahr alt. Galina und Dmitry entschieden sich für den Jungen und fuhren mit ihm nach der Adoption, bei der Valery seinen russischen Namen erhielt, wieder nach Waldenburg zurück. Im Sommer 1948 mussten sie Schlesien verlassen und kamen nach Weißrussland. Dort, in der Stadt Baryssau beziehungsweise Borissow, wurde den Adoptiveltern eine Geburtsbescheinigung für den Sohn ausgestellt.

Und nun lassen wir Dr. Sewastianow selber erklären, wie sein Leben weiter verlief: 

„Gemäß diesem Dokument bin ich am 13. Juni 1947 in Waldenburg geboren, aber ich habe immer gewusst, dass dies nicht in mein Leben passt. Aufgrund neuer Gesetze in der UdSSR konnte mir aber niemand die Wahrheit sagen. Das war lebensgefährlich für alle. Trotzdem wusste ich immer, dass meine Geschichte so nicht passt. Jedes Jahr sind wir nach Georgenswalde gefahren, und Großmutter sorgte für meine Gesundheit (Bronchitis). Vater war immer mit Fotoapparat und jeder meiner Schritte wurde fixiert. Damals war Fotografie nicht so einfach wie jetzt. Später hat meine Mutter die Fotos meistens verbrannt. Nur einen kleinen Teil hat sie für sich behalten, und jetzt weiß ich auch, wie, wo und wann. Auf einem Foto ist ein Mädchen mit mir zusammen aufgenommen. Wir sind ähnlich wie Zwillinge. Nur sieht das Mädchen drei bis vier Jahre älter aus als ich. Wir sind Geschwister. Ich suche dieses Mädchen. Nur sie weiß meinen Namen und den von meinen richtigen Eltern. Diese Geschichte habe ich als Suchfrage im November 2016 an das Deutsche Rote Kreuz beschrieben. Ich bin sehr erstaunt, dass DRK wirklich sucht, russisches RK kann das nicht. Größte Dankbarkeit an Frau Monika Arnold. Sie sucht Unterschriften in Archiven von 1947 von Leutnant Sewastianow, Major Lerman, Oberst Schafran. Adoption soll ordnungsgemäß dokumentiert worden sein. Bis heute läuft die Suche negativ. In dieser Zeit habe ich von einer anderen Seite aus mit der Suche begonnen. Ich sah alte Fotos aus verschiedenen Archiven. Nur ich konnte das Mädchen finden und habe auch gefunden. Wenn das Mädchen im Vordergrund einen kleinen Bruder in Georgenswalde verloren hat, dann bin ich das. Darum schreibe ich diesen Brief an Sie: Kann mir jemand bei der Suche helfen?“

Was veranlasst den Wissenschaftler, der vielfach ausgezeichnet wurde – so mit der Goldenen Medaille für die beste studentische Wissenschaftsarbeit in der UdSSR im Jahr 1974 – anzunehmen, dass er überhaupt eine Schwester hat, und zu glauben, diese auf dem hier abgebildeten Foto zu erkennen? Es wurde in der Adoptivfamilie wohl darüber gesprochen, und einmal soll es auch einen konkreten Grund dafür gegeben haben: Im Jahr 1959 hat jemand in Georgenswalde nach ihm gesucht. Seine Adoptivmutter stellte ihm damals täglich die Frage: „Wenn zu dir kommt fremde Frau und sagt dir, ich bin deine Mutter, was wirst du denn machen?“ Seinen Zieheltern ist er dankbar: „Sie haben mir das Leben gerettet, aber nicht gegeben. Sie selber lebten immer in Angst. Vater hat mir seine Karriere geschenkt.“ Er meint damit wohl geopfert, damit sein Sohn studieren konnte. Und noch einmal kommt Valery auf den Grund seines Schreibens an uns zu sprechen: „Ich will die Wahrheit wissen, um endlich frei zu sein. Eine 70-jährige Ungewissheit ist zu viel für jeden Menschen.“ Sein ganzes Leben hat er sich mit seiner „falschen Identität“ beschäftigt, die ihm viele Probleme bereitet hat, auch heute noch im Ruhestand, den er mit seiner Frau Irina auf einem alten deutschen Bauernhof im Samland verlebt, einsam zwischen Wald und Feld, mit selbst produzierten Nahrungsmitteln. Aber auch da erreichen ihn mögliche Antworten. (Dr. Valery Sewastianow RU-238730, Illowajskoe (Hutor), Krasnoznamensk, Gebiet Kaliningrad, RF, Telefon: + 795 0670 8471, E-Mail: drsev@mail.ru, mail.sevastianov@gmail.com)

Eure Ruth Geede