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25.08.17 / Dornenreicher Weg / Auf Hiddensee reifen die Beeren des Sanddorns – Das »Melken« der Früchte ist mühselig, sorgt aber für kulinarische Genüsse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-17 vom 25. August 2017

Dornenreicher Weg
Auf Hiddensee reifen die Beeren des Sanddorns – Das »Melken« der Früchte ist mühselig, sorgt aber für kulinarische Genüsse
Andreas Guballa

30 Minuten trennen Hiddensee von der Hektik der Welt. Das autofreie Ostsee-Idyll, das einst Gerhart Hauptmann begeisterte, lockt heute bekennende Müßiggänger auf „dat söte Länneken“ im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Ab September wird eine hier typische Dünenpflanze „gemolken“: der rote Sanddorn.

Wie ein Wellenbrecher legt sich die Insel, fast 17 Kilometer lang und 300 bis 3000 Meter breit, schützend vor die Westküste Rügens – zur Seeseite mit einem endlos langen Sandstrand, zur Boddenseite stark zerrissen und zerlappt in unzählige Buchten und Binnenseen. Seine Seepferdchen-Form, im Wappen verewigt, erinnert an Sylt. Doch damit hat sich’s auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Kein Schickimicki, keine Luxusläden, keine Szenekneipen stören das Idyll. Wer nach Hiddensee kommt, sucht Einsamkeit und Ruhe. Statt Abgasen und Ampeltakt prägt das gleichmäßig-ruhige Klackklack­klack vieler Pferdehufe den Verkehr. Nicht breite Straßen, sondern gewundene Wege und Trampelpfade laden ein, die Insel zu Fuß oder per Fahrrad zu entdecken. Selbst Bürgermeister, Kurdirektor und Pastor radeln. 

Der erste Spaziergang vom Fährhafen Kloster aus gilt dem Leuchtturm am Dornbusch. Verlassen schlängelt sich der Hochuferweg durch den Wald auf der Nordseite der Insel und gibt durch die buntbelaubten Bäume spektakuläre Blicke auf die Ostsee frei. Auf diesem schmalen Weg reihen sich im Sommer die Touristen im Entenmarsch auf und bilden manchmal kleine Staus, weil sich der Gegenverkehr als ganze Reisegruppe vorüberschlängelt. 

Am Wegesrand leuchten überall orange-rote Beeren. Sanddornbüsche laden Einheimische wie Reisende zum Ernten ein. Ab September treibt es fast jeden ins stachelige Dickicht. Ohne Schutzausrüstung geht gar nichts. Dicht gedrängt stehen Urlauber an einem Sanddornbusch, eingepackt in bunte Re­genumhänge. Dazu tragen die Besucher dicke Plastikhandschuhe. Beim Sanddorn-Melken werde es matschig, er­klärt Restaurantfachmann Jan Müller. Er erntet Saft für sein Sanddorn-Lieblingsprodukt: Li­kör, den er im Hiddenseer Traditionslokal „Zum Klausner“ serviert. Seinen Eimer hat er um den Bauch gebunden.

Da die Stacheln des Sanddorns nach vorne zeigen, zieht und drückt er die Beeren an den Zweigen von innen nach außen. So legen sich die Stacheln an und der Saft läuft in den Eimer. Bevor er in Flaschen kommt, wird die fruchtig-sämige Flüssigkeit durch einen Damenstrumpf ge­presst und gleichzeitig gefiltert. Dann kann sie zu Likör verarbeitet oder heiß und mit Zucker genossen werden. 

Hiddensee ist auch ein begehrtes Sammelgebiet für Zugvögel. Die Ostseeinsel liegt im Kreuzungsbereich der Vogelleitlinien von Nord nach Süd und von Ost nach West. Als Orientierung dienen den Vögeln zu den Zugzeiten Landmarken wie der Dornbusch mit seinem dichten Bewuchs, der einer Vielzahl von Vögeln als Rast- und Nahrungsstätte dient.

Ein Erlebnis ist auch der Zug der Kraniche in seiner artspezifischen Formation, begleitet vom eigenwilligen „Trompeten“ der Vögel. Besonders zur Herbstzugzeit verweilen die Tiere wochenlang, bevor sie ihre Reise nach Spanien antreten, und sind dann gut zu beobachten. Damit sie in Ruhe nach Futter suchen und sich auf ihre lange Reise in den Süden vorbereiten können, führen Um­welthüter durch den Nationalpark.





Wissenswertes über Sanddorn

Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee ...“, schwärmt Nina Hagen ihrem Hit von 1974 „Du hast den Farbfilm vergessen“ über das Farbenspiel des Spätsommers auf der Insel. Im September färben sich die Sanddornbeeren orangerot und harmonieren mit dem Blau des Himmels über Hiddensee. Der strauchförmig wachsende Sanddorn wird mehrere Meter hoch. An den Zweigen finden sich Dornen, die hinter weiden­ähnlichen linealischen Blättern versteckt sind. Sanddorn ist zweihäusig. Während die Blüte im April/Mai eher unscheinbar ist, leuchten am zweijährigen Holz der weiblichen Sträucher die dekorativen Beeren vom Spätsommer bis in den Winter. 

Der Sanddorn, ursprünglich beheimatet in Nepal, ist heute von den Alpen über den asiatischen Raum bis nach Sibirien verbreitet. Man findet ihn häufig an den Küsten von Nord- und Ostsee, wo er zu Küstenschutzzwecken angepflanzt wird. Seine Fähigkeit, sich über unterirdische Triebe zu vermehren und somit schnell auszubreiten, macht ihn zum genialen Helfer des Küstenschutzes und bringt ihm den Fluch eines manchen Gärtners ein, der den Sanddorn als Zierstrauch anpflanzte und seiner Ausbreitung im Garten machtlos gegenübersteht. 

Sanddorn gehört zu den sogenannten Pionierpflanzen, die auch auf unbewachsenen Sanddünen schnell Fuß fassen. Er lebt in Symbiose mit Luftstickstoff bindenden Bakterien und ist so in der Lage, auch nährstoffarme Standorte zu besiedeln, mehr noch, den Boden zu bereiten für anspruchsvollere Pflanzen wie Holunder und Laubbäume. 

Auf Hiddensee gibt es auf den Bessinen und auf dem Dornbusch umfangreiche natürliche Vorkommen. Entlang der Westküste ist der Sanddorn mit der Kartoffelrose und der Ölweide zu Küstenschutzzwecken angepflanzt worden und hat sich von dort weiter ausgebreitet.

Traditionell wird auf Hiddensee ab September der Sanddorn gemolken, die Beeren werden am Strauch ausgedrückt. Der Saft, reich an Vitamin C, wird weiterverarbeitet zu Marmeladen, Gelees, dem legendären Sanddornlikör sowie süßen und herzhaften Spezialitäten. 

Rezept für Sanddorn-Muffins:

Eine Fertigmischung für Muffins wird nach Packungsanleitung zubereitet. Statt Milch wird jedoch Sanddornnektar zum Teig zugegeben. Die Muffins werden wie gewohnt gebacken. Für die Glasur wird Puderzucker mit Sanddornnektar verrührt. Die Muffins werden glasiert und nach Belieben verziert.gub