26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
25.08.17 / »Eine Ansammlung von Kleingeistern« / Christoph Hickmann und Daniel Sturm zeichnen mit kritischem Blick Sigmar Gabriels Parteikarriere in der SPD nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-17 vom 25. August 2017

»Eine Ansammlung von Kleingeistern«
Christoph Hickmann und Daniel Sturm zeichnen mit kritischem Blick Sigmar Gabriels Parteikarriere in der SPD nach
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Das vorliegende Buch entstand offensichtlich, als man Sigmar Gabriel noch als SPD-Bundeskanzler-Kandidaten ansah. Die Autoren, Journalisten der „Süddeutschen Zeitung" und der „Welt“, haben ihn lange begleitet, viele Hintergrundgespräche geführt und 120 seiner Gesprächspartner interviewt. 

Gabriels Kindheit war nicht einfach: Nach seinen Worten war sein Vater ein „schrecklicher Nazi“", zu dem er kaum Kontakt hatte. Mit Ehrfurcht spricht er hingegen von seiner Mutter, die als Krankenschwester arbeitete und um die er sich bis zuletzt kümmerte. Bei den „Falken“ kämpfte er für Nicaragua und Chile. Die Verhältnisse im anderen Teil Deutschlands waren entsprechend dem SPD-Zeitgeist ohne Interesse. Aus Respekt vor Helmut Schmidt trat er der Partei bei. Er schaffte den Sprung von der Realschule aufs Gymnasium,. 

Wegen einer Nichtigkeit gaben 1981 viele SPD-Mitglieder in Goslar ihr Parteibuch zurück. Auch Gabriel hatte „mit der Sozialdemokratie gebrochen“. Doch ein Funktionär gab die Parteibücher eigenmächtig nicht an die Geschäftsstelle  weiter, wodurch die Austritte nie rechtskräftig wurden. Die Autoren entschuldigen Gabriels Haltung „mit jugendlichem Rigorismus“, doch sollte ein Erwachsener eigentlich wissen, was er tut. Sie räumen ein, dass sich hier „jene Ausschläge ins Extreme“ zeigten, „die eigens von Gabriels Wesensmerkmalen sind und auch seine Beziehung zu der Partei bestimmen“. Er könne sich berauschen an der SPD und genauso an derselben Partei ver-zweifeln. Der Leser erfährt, die SPD sei für Sigmar Gabriel dann ein großartige Partei, wenn sie seiner Meinung sei. Tue sie das nicht, sehe er die SPD eher als eine „Ansammlung von Kleingeistern, denen erstens der historische Überblick, zweitens das Gespür und drittens der Blick für die Realität fehle“. Den Verfassern zufolge gibt es beim heutigen Außenminister kaum Maß und Mitte. 

1990 wurde Gabriel in den Landtag Niedersachsens gewählt. Im März 1998 attackierte er den späteren Bundespräsidenten Christian Wulff in einer brillanten Rede so, dass der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder ausrief: „A star is born“. 2005 wurde Gabriel Bundesumweltminister, vier Jahre später Vizekanzler. Nach den Bundestagswahlen mit lediglich 23 Prozent der Stimmen für die SPD wurde er Parteivorsitzender. Bei seiner Rede in Dresden gelang es ihm, bei den Delegierten wieder Vertrauen und Zuversicht zu wecken. 

2013 hatte er als Parteivorsitzender den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur, doch er lehnte ab. „Gabriel kniff, um das Amt als Parteivorsitzender zu retten“, kommentieren die Autoren. Ende des Jahres stand man vor der Gro-ßen Koalition, doch Gabriel ver-zichtete darauf, Außenminister zu werden. Das könne er seiner Familie „nicht antun“, die ihm Halt gebe. Als er 2015 mit nur 74,3 Prozent zum Vorsitzenden gewählt wurde, wollte er „alles hinwerfen“, doch die Genossen beschwörten ihn, zu bleiben. Indes: Das Verhältnis zwischen ihm und der Parteispitze war zerrüttet.

Gabriel werde für seine Redekunst bewundert. Er kann Men-schen begeistern und überzeugen. Seine Hyperaktivität sei zugleich sein Fehler: Er brauche dringend ein Umfeld, das ihn abschirmt, seine guten Ideen zur Reife bringt und die schlechten schnell vergessen lässt. 

Die Autoren monieren: „Nur sollte Politik über den Tag hinausgehen, hinausdenken.“ Nicht wenige in der Partei misstrauen ihm angesichts der allzu häufigen Änderungen seiner Meinung. Sie erinnern an seine wechselvolle Haltung zu Griechenland oder zum Parteiausschluss seines Mitgenossen Thilo Sarrazin wegen dessen Buchs. Vehement verdamme er deutsche Rüstungsexporte, die in seiner Zeit als Wirtschaftsminister indes stark zugenommen hatten. 

In der allgemeinen heutigen Vergesslichkeit liege eine Chance für Gabriel, liest man im Buch. Dessen Resümee ist einerseits: „Es ist eine Zeit, die eigentlich viel von dem gebrauchen könnte, was Sigmar Gabriel kann“, um andererseits zu dem Schluss zu kommen: „Was diese Zeit nicht braucht: Den Sigmar Gabriel, der er die meiste Zeit seines politi-schen Lebens gewesen ist.“ 


Christoph Hickmann, Daniel Sturm: „Sigmar Gabriel. Patron und Provokateur“, dtv, München 2016, gebunden, 320 Seiten, 

24 Euro