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01.09.17 / Es geht um mehr als einen Hühnerhals / Der Grenzkonflikt zwischen China und Bhutan gefährdet den Zusammenhalt von BRICS und SOZ

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-17 vom 01. September 2017

Es geht um mehr als einen Hühnerhals
Der Grenzkonflikt zwischen China und Bhutan gefährdet den Zusammenhalt von BRICS und SOZ
Florian Stumfall

Wenn sich Anfang dieses Monats Vertreter der BRICS-Staaten Brasilien Russland, Indien, China und Südafrika in Xiamen in der chinesischen Provinz Fujian zu ihrem diesjährigen Gipfel treffen, dann wissen sie schon bei der Anreise, dass sie es dabei mit einer ungewöhnlichen Schwierigkeit zu tun haben werden. Denn Indien und China fechten derzeit einen Streit miteinander aus, der über den unmittelbaren Anlass hinaus von Bedeutung sein könnte.

Es geht um die gemeinsame Grenze im Himalaya, in einem Hochtal unmittelbar westlich der Grenze von Bhutan. Dieses kleine Königreich ist nun der Stein des Anstoßes. Die Chinesen nämlich wollen von Norden her von der Stadt Donglang die Straße weiterführen, die bislang dort endet. Die Volksrepublik will damit das Doklam-Plateau erschließen. Die vorgesehene Trasse führt in nur zwei Kilometer Entfernung an einer Kaserne Bhutans vorbei und zudem am Jamperi-Bergrücken. Diesen betrachtet Bhutan zur Gänze als sein Staatsgebiet, das Reich der Mitte dagegen beharrt darauf, dass sein Territorium bis zur Kammlinie reiche.

Nun ist Indien die traditionelle Schutzmacht Bhutans, und schon entwickelt sich ein regionales Zerwürfnis zu einem internationalen Streit. Denn Bhutan rief Indien zu Hilfe. Neu-Delhi war gleich zur Stelle, denn der Jamperi-Rücken deckt den sogenannten „Hühnerhals“, einen engen Durchgang zwischen Nepal und Bangladesch, der für Indien den einzigen Zugang zu seinem nordöstlichen Territorium bildet. Außerdem ist Indien schon allein deswegen mit im Spiel, weil das kleine Bhutan in einem Vertrag von 1949 zugestimmt hat, dass seine außen- und verteidigungspolitischen Belange von seinem großen Nachbarn im Süden wahrgenommen werden sollen.

Die Chinesen sehen das wieder ganz anders, entsprechend ihren eigenen Interessen. Sie sagen, Indien habe mit der ganzen Sache nichts zu tun, denn indisches Staatsgebiet sei davon nicht berührt, es gehe ausschließlich um einen Grenzstreit zwischen China und Bhutan. Wäre das wirklich der Fall, so wäre der Streit schnell entschieden. Indien hatte vor dem BRICS-Gipfel im Rahmen des Sicherheitsforums der Staatengruppe, das Ende Juli tagte, vorbereitende Gespräche über den Hühnerhals angeregt, doch China lehnte das ab.

China und Indien werden durch eine 3500 Kilometer lange Grenze geteilt, die sich über den ganzen Himalaya zieht. Allerdings wurde diese Grenze bei der Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg von den Engländern schlampig und missverständlich gezogen, sodass es darüber im Jahre 1962 zu einem Krieg kam. Seither gab es immer wieder Spannungen und Scharmützel. 

Der Streit um Bhutan berührt denn auch außer dem Hühnerhals weitergehende Fragen, die mit dem unmittelbaren Anlass nichts zu tun haben. Die Stabilität in der BRICS-Staatengemeinschaft ist die eine, eine andere hat mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) zu tun. Diese hat neben China und Indien sowie Russland noch die fünf weiteren Mitglieder Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Pakistan, die vier Staaten mit Beobachterstatus Mongolei, Iran, Afghanistan und Weißrussland sowie die sechs Dialogpartner Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und Türkei. Die SOZ repräsentiert vier Zehntel der Weltbevölkerung und hat Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen.

Mit der Frage, wie Moskau auf den Zank im Himalaya reagieren solle, beschäftigte sich die russische Online-Zeitung „Vz.ru“. „Indisch-chinesische Gebietsstreitigkeiten haben eine lange Geschichte, doch nach Indiens Beitritt zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit beunruhigen sie Russland besonders. Beim Gipfeltreffen dieser russisch-chinesisch-mittelasiatischen Organisation am 8. und 9. Juni war Indiens und Pakistans Mitgliedschaft beschlossen worden – eine Woche später fingen die chinesischen Militäringenieure an, eine Autostraße auf der Doklam-Hochebene zu bauen.“ 

Trotzdem sieht die Zeitung Anlass zur Hoffnung: „Sowohl in Peking als auch in Neu-Delhi gibt es genug Politiker, die begreifen, dass es für China und Indien besser wäre, keine Feinde, sondern Partner zu sein. Dabei sollten sie keinen Provokationen Dritter nachgeben: Es ist ja klar, dass etwa die USA an antichinesischen Stimmungen in Indien sehr interessiert wären und eine Antipathie gegenüber China unter den Indern fördern – wie einst die Engländer.“

Der „Vz.ru“-Kommentator analysiert weiter: „Sowohl Neu-Delhi als auch Peking haben Vertrauen zu Moskau. Ausgerechnet deshalb könnte und sollte Russland auf einen Ausbau der geopolitischen Kooperation zwischen China und Indien hinarbeiten, aber auch darauf, Widersprüche und gegenseitige Vorwürfe zu reduzieren und Streitigkeiten zu regeln. Die drei Länder haben die Möglichkeit, in Asien ein stabiles gemeinsames Sicherheitssystem aufzubauen …“ Der Bau der Neuen Seidenstraße durch China könnte dabei die Probe aufs Exempel sein. 

Inzwischen tun die USA alles, um einen weiteren Keil zwischen China und Indien zu treiben. Mitte Juli, während der Krise im Himalaya, führten sie zusammen mit Indien und Japan im Golf von Bengalen Manöver durch, bei denen der Kampf gegen U-Boote geübt werden sollte. Wer damit gemeint war, ist offensichtlich: Indien veröffentlichte einen Plan zur ständigen Überwachung der Straße von Malakka, nicht nur für chinesische Schiffe eine der wichtigsten Meeresstraßen weltweit, die vom Südchinesischen Meer in den Indischen Ozean führt. Die Chinesen wiederum entsandten einige Einheiten ihrer Kriegsflotte. Ein Kommandeur des US-Geschwaders sagte der „New York Times“ mit Blick auf die Chinesen: „Sie werden wissen, dass wir (USA, Indien und Japan) zusammengehen.“