25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
01.09.17 / »Volk, Du tötest Deine Feinde!« / Vor 225 Jahren verübten französische Revolutionäre das sogenannte Septembermassaker

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-17 vom 01. September 2017

»Volk, Du tötest Deine Feinde!«
Vor 225 Jahren verübten französische Revolutionäre das sogenannte Septembermassaker
Wolfgang Kaufmann

Vor 225 Jahren provozierten führende französische Revolutionäre eine Welle des Terrors gegen inhaftierte Gegner der Monarchie, in deren Verlauf wahrscheinlich jeder zweite Insasse der Pariser Gefängnisse massakriert wurde. Anschließend nutzten die Revolutionäre die hierdurch verursachte Atmosphäre des Schreckens zur Konsolidierung ihrer Macht.

Die Französische Revolution war von Anfang an durch Gewaltausbrüche geprägt, die ab dem Sommer 1792 eskalierten. Das lag sowohl am militärischen Druck von außen als auch an der scharfmacherischen Rhetorik mancher Wortführer der Umstürzler. Eine zentrale Rolle spielte in diesem Zusammenhang das sogenannte Manifest des Herzogs von Braunschweig (Manifeste de Brunswick) vom 25. Juli 1792. Darin drohte der Herzog zu Braunschweig und Lüneburg sowie preußische Feldmarschall Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel als Oberbefehlshaber der preußisch-österreichischen Truppen, die zum Einmarsch in das revolutionäre Frankreich bereitstanden, blutige Vergeltung sowie die Zerstörung von Paris an, falls weitere Übergriffe gegen König Lud­wig XVI. und dessen Familie stattfänden. Das Manifest des späteren Verlierers der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt führte nicht zu der erstrebten Mäßigung, sondern vielmehr zu einer Radikalisierung der Feinde der Monarchie, weil diese nun annahmen, Ludwig kollaboriere mit den Alliierten – zumal Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel zugleich auch die „Befreiung“ des Monarchen ankündigte. So stürmten am 10. August 1792 Pariser Sansculotten, also militante Vertreter der „Volksherrschaft“, und andere Aufständische im Auftrag der revolutionären Kommune das Palais des Tuileries, in dem Ludwig residierte, und brachten den König als Gefangenen in eine ehemaligen Festung der Tempel-Ritter.

Infolgedessen rückte das 82000 Mann starke Hauptkontingent der Koalitionsarmee des Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg in Richtung der französischen Hauptstadt vor. Wenig später, am 20. August 1792, kapitulierte Longwy nach kurzer Belagerung und ohne ernsthafte Gegenwehr. Ebenso fiel am 2. September die Festung von Verdun, nachdem die Verteidiger dort beschlossen hatten, die Waffen zu strecken.

Hierdurch stieg die Angst der Pariser Revolutionäre vor Verrat in den eigenen Reihen ins Uferlose. Deshalb fielen die Aufrufe des Justizministers Georges Danton und des Jakobiner-Führers Jacques Nicolas Billaud-Varenne auf äußerst fruchtbaren Boden. Ersterer rief zur Selbstjustiz auf mit den Worten: „Wenn die Justiz versagt, hat das Volk die Pflicht, sich selbst zum Richter zu machen“, während Letzterer kurz und bündig forderte: „Volk, Du tötest Deine Feinde!“

Daraufhin veranstalteten Nationalgardisten und Sansculotten sowie Angehörige des hauptstädtischen Pöbels noch am Tage des Falls von Verdun erste Massaker unter den Insassen der völlig überfüllten Gefängnisse. In die waren nach dem Tuilerien-Sturm nämlich zahlreiche Adlige, Hofbedienstete und Geistliche, die den Eid auf die republikanische Verfassung verweigert hatten, geworfen worden.

Am Nachmittag des 2. September 1792 traf es zunächst 24 Priester, die sich gerade auf dem Transport in die Haftanstalt von 

l’Abbaye befanden. Ein aufgebrachter Mob lynchte sie auf offener Straße. Danach begann ein Morden innerhalb des Gefängnisses. Weitere Kirchenmänner starben wenig später im Prison des Carmes sowie an zwei weiteren Orten.

Statt dem ebenso blutigen wie sinnlosen Treiben Einhalt zu gebieten, rechtfertigte der revolutionäre „Überwachungsausschuss“ in einem Zirkular vom 3. September, das unter anderem die Unterschrift des prominenten Demagogen Jean Paul Marat trug, die Taten: „Die Commune von Paris beeilt sich, ihren Brüdern in allen Departments mitzuteilen, dass ein Teil der in den Gefängnissen verwahrten blutdürstigen Verschwörer durch das Volk zu Tode gebracht worden ist … Ohne Zweifel wird die gesamte Nation nach der langen Reihe von Verrätereien, die sie an den Rand des Verderbens gebracht haben, sich beeilen, diese notwendige Maßnahme der öffentlichen Wohlfahrt anzunehmen, und gleich den Parisern werden alle Franzosen ausrufen: ‚Wir ziehen gegen den Feind, aber wir lassen keine Räuber hinter uns, die unsere Frauen und Kinder erwürgen.‘“ 

Die somit als Verbrechensprävention hingestellten Massaker gingen bis zum 7. September weiter – teilweise nun im Anschluss an hastig improvisierte Standgerichte. Durch Säbelhiebe, Bajonettstiche oder Schläge mit den verschiedensten Werkzeugen starben wahrscheinlich zwischen 1000 und 1500 Menschen. Wegen des chaotischen Ablaufs der Ereignisse liegen keine genaueren Zahlen vor. Auf jeden Fall traf es auch zahlreiche Insassen der neun Pariser Gefängnisse, die nicht wegen politischer, sondern aufgrund ganz gewöhnlicher krimineller Delikte inhaftiert worden waren. Ja, manchmal ermordeten die selbsternannten „Vollstrecker des Volkswillens“ sogar eingesperrte Kinder im Alter zwischen zehn und 14 Jahren.

191 der wohl weit über 200 getöteten Geistlichen sprach Papst Pius XI. am 17. Oktober 1926 heilig, darunter den Erzbischof von Arles, Jean-Marie du Lau d’Allemans, den Bischof von Beauvais, François-Joseph de la Rochefoucald-Maumont, und das Oberhaupt der Benediktiner-Kongregation von Saint-Maur, Ambroise Chevreux. 

Die meisten Todesopfer forderte das Septembermassaker in Paris. Allerdings fanden auch in Lyon, Caen, Reims, Marseille, Toulon und anderen Städten Akte der Lynchjustiz statt. Das letzte größere Vorkommnis dieser Art ereignete sich am 9. September 1792 bei Versailles. Hier stoppte der Mob einen Gefangenenkonvoi auf dem Wege von Orléans nach Paris und metzelte 44 arretierte Royalisten nieder. Dabei starben unter anderem der Herzog und vormalige Kommandeur der königlichen Garde, Louis Hercule Timoléon de Cossé-Brissac, der einstige Innen-, Marine- und Außenminister Antoine Claude Nicolas Valdec de Lessart sowie der bis zum August 1792 amtierende französische Kriegsminister, Charles Xavier Joseph de Franque Ville 

d’Abancour. Anschließend wurden die Köpfe der Toten am Zaun des Versailler Schlosses aufgespießt. Ein ähnlich grausames Schicksal erlitt Marie-Louise von Savoyen-Carignan, Fürstin von Lamballe, die engste Vertraute der Königin Marie Antoinette.

Kurz nach den Massakern fanden Wahlen zum Nationalkonvent statt, an denen wegen der angespannten Atmosphäre im Lande nur etwa jeder zehnte Stimmberechtigte teilnahm. Gleich auf seiner Eröffnungssitzung vom 21. September 1792 beschloss das aus den Wahlen hervorgegangene Parlament die Abschaffung der Monarchie sowie die Gründung der Republik.