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01.09.17 / Russland zwischen Angst und Hoffnung / Der Journalist Thomas Franke beschreibt in elf Reportagen das Alltagsleben unter Putin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-17 vom 01. September 2017

Russland zwischen Angst und Hoffnung
Der Journalist Thomas Franke beschreibt in elf Reportagen das Alltagsleben unter Putin
Dirk Klose

Die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz hat viele Jahre für die ARD aus Moskau berichtet, noch zu Sowjetzeiten und auch danach. Vor einiger Zeit hatte sie ein Buch über das Russland unter Jelzin und Putin veröffentlicht, das in der Öffentlichkeit kritisch aufgenommen wurde. Es sei, so wurde ihr vorgehalten, zu sehr von einem Wohlwollen für Russland, von einem Verständnis für die Politik eines Putin und Mewedjew geprägt. 

Der Journalist Thomas Franke hat ebenfalls lange in Russland gelebt und von dort für mehrere deutsche Sender und Zeitungen berichtet. Sein Buch ist das genaue Gegenteil. Ein tiefer Pessimismus  – Franke würde wohl korrigieren: ein genauer Realismus – durchzieht das Buch. Seine Grundthese: Wie zu Sowjetzeiten herrscht auch heute wieder in der Bevölkerung eine unbestimmte Angst vor der Obrigkeit, eine Angst, die dazu führt, möglichst nirgends anzuecken, sich nicht öffentlich zu äußern, keinesfalls frei zu reden, was man denkt, allenfalls zu Hause, beim Gespräch in der Küche mit wenigen Vertrauten und engsten Freunden.

Franke hat elf Reportagen aus den letzten fünf Jahren seiner Moskauer Korrespondententätigkeit zusammengefasst. Er beobachtet das Leben in Moskau vor und nach den so wichtigen Wahlen von 2011/2012, analysiert die Auswirkung von immer schärfer gefassten Gesetzen etwa gegen angebliche „Agenten“ aus dem Ausland und zeigt das zunehmend intoleranter werdende in-nenpolitische Klima an einigen markanten Einzelbeispielen. Am Baikalsee in Sibirien erlebt er, wie der guten alten Zeit nachgetrauert wird. In Wolgograd ist er dabei, wie die Stadt am Tag des Sieges am 9. Mai für einen Tag wieder Stalingrad heißt und wie leicht sich das fürchterliche Geschehen von damals heute für eine nationalistische Politik instrumentalisieren lässt. Die Olympischen Spiele in Sotschi werden zur Plattform unverhüllter russisch-nationalistischer Propaganda. Andersdenkende, etwa aus der Homosexuellen- oder Lesbenbewegung, sehen sich brutalen Einschüchterungen ausgesetzt. Und schließlich die „Heimholung“ der Krim, was die allermeisten Russen begrüßten. Franke: „Es ist die Rückkehr des bewaffneten Imperialismus.“ 

Der Vorwurf, Franke zeichne ein geradezu apokalyptisches Bild, kann nicht gelten. Zu nah ist der Autor in allen Reportagen an der Bevölkerung, an Menschen, die Putin unkritisch in den Himmel heben und an solchen, die sich nach bitteren Erfahrungen mit willkürlicher staatlicher Gewalt resigniert zurückgezogen haben. Russland steht, so seine These, wieder unter der Macht des Geheimdienstes: „Eine ehemalige Geheimdienstclique kujoniert eine ganze Bevölkerung.“ Die Folge: „eine Kombination aus Paranoia und Kontrollwahn – nennen wir es Angst.“ 

Es ist ein notwendiges, aber auch düsteres Buch, allenfalls mit dem etwas freundlicheren Ausblick, dass fern von Moskau das Leben etwas leichter ist. Wie der Westen mit diesem Russland umgehen soll, wird immer umstritten bleiben, solange das Land sich so ostentativ von ihm abkehrt und im Innern eine antiwestliche Hysterie schürt. Der Leser beendet die Lektüre mit großer Bewunderung für diejenigen Menschen, die dem Autor erklärten, trotz aller Unbilden und Schikanen im Lande bleiben und ausharren zu wollen. Halt gibt ihnen vielleicht die Erinnerung an die 1980er Jahre, als auch unverhofft das Eis zu schmelzen begann.


Thomas Franke: „Russian Angst. Einblicke in die postsowjetische Seele“, edition Körber-Stiftung, Hamburg 2017, 256 Seiten, 18 Euro