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08.09.17 / Drohen Verhältnisse wie in den USA? / Immer mehr Deutsche gehen zusätzlich zu ihrem Hauptberuf einer Nebenbeschäftigung nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-17 vom 08. September 2017

Drohen Verhältnisse wie in den USA?
Immer mehr Deutsche gehen zusätzlich zu ihrem Hauptberuf einer Nebenbeschäftigung nach
Peter Entinger

Laut der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit gingen Ende vergangenen Jahres insgesamt fast 2,7 Millionen Menschen im Nebenberuf einer geringfügigen Beschäftigung nach. Darin enthalten sind auch Selbstständige. 

„Seit den Hartz-Reformen hat sich die Zahl mehr als verdoppelt“, sagte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) gegenüber Spiegel Online. 2003 gingen lediglich 1,2 Millionen Menschen im Nebenberuf einem Minijob nach; im Dezember 2015 waren es 2,57 Millionen. Vor allem Menschen mit einem unterdurchschnittlichen Verdienst im Hauptberuf hätten einen zusätzlichen Minijob, erklärte der Forscher. „Doch nicht immer ist die finanzielle Not der Grund. Viele empfinden die geringen Abgaben auch als praktisch, denn ,brutto ist wie netto‘.“ Geringfügige Nebenbeschäftigungen auf 450-Euro-Basis wurden durch die Hartz-Reformen begünstigt. Minijobber zahlen mit Ausnahme der Rentenversicherung keine Sozialabgaben – von der Rentenversicherung kann man sich allerdings befreien lassen, „und das tun auch die meisten“, sagt Weber, der allerdings auf die Risiken dieses Modells hinwies: „Was heute aus finanzieller Sicht hilfreich ist, kann für die Zukunft allerdings kritisch sein. Bei der Rente kann es dann ein böses Erwachen geben.“

Die meisten Nebenjobs gibt es demnach im Einzelhandel und Gastgewerbe, in anderen wirtschaftlichen Dienstleistungen und im Gesundheits- und Sozialwesen. Im Sinne einer nachhaltigen beruflichen Entwicklung müsste man Geringverdiener bei ihren Hauptberufen entweder steuerlich oder bei den Sozialabgaben stärker entlasten, erklärte Weber. Würden Minijobs wegfallen, dann entstünden voraussichtlich auch mehr sozialversicherungspflichtige Jobs, schätzt der Arbeitsmarktforscher. Bei den Hartz-Reformen wurden gegen die Massenarbeitslosigkeit alle Register gezogen, um Bewegung in den Arbeitsmarkt zu kriegen. „Mittlerweile ist das nicht mehr nachvollziehbar. Es wäre angesagt, das abzuschaffen“, sagt Weber. 

Wer neben seiner regulären Arbeit einen Minijob ausüben will, sollte vorher immer mit dem Hauptarbeitgeber sprechen. In der Regel steht im Arbeitsvertrag, ob und wie Arbeitnehmer den Chef über Nebentätigkeiten informieren müssen und ob sie dafür eine Genehmigung brauchen.

In Deutschland ist in diesen Tagen häufig von einem neuen Job-Wunder die Rede. 44,2 Millionen Menschen haben derzeit Arbeit. Das ist ein Rekordwert seit der Vereinigung. Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) freue man sich besonders über eine positive Form der Entkopplung, sagte BA-Chef Detlef Scheele. Obwohl die Wirtschaft nur relativ schwach wachse, lege die Beschäftigung kräftig zu: „Davon konnte man jahrzehntelang nur träumen.“ 

Doch die Sozialverbände sehen das anders. Das angebliche Beschäftigungswunder sei kein Wunder und schon gar kein Grund zur Freude. Obwohl der Arbeitsmarkt boomt, habe gut jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland keinen regulären Job. 7,7 Millionen Menschen arbeiten nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts als Minijobber, als Leih­arbeiter, befristet oder in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden. Seit drei Jahren ist der Anteil mit gut 20 Prozent der Erwerbstätigen nahezu unverändert. Der Sozialverband VdK Deutschland warnt deshalb vor Altersarmut. „Wer wenig verdient, zahlt wenig in die Rentenkasse“, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Folge davon sei das Phänomen, dass immer mehr Rentner auf einen Minijob angewiesen seien. 

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Abgeordneten Matthias W. Birkwald (Linke) hervorgeht, ist die Zahl der Rentner mit Minijobs bis zum Ende des vergangenen Jahres stark angestiegen. Fast eine Million Menschen, die älter als 65 Jahre sind, hatten damals einen Minijob. Zehn Jahre zuvor waren es rund ein Drittel weniger gewesen. Die Zahl der Frauen und Männer, die bereits das 75. Lebensjahr vollendet haben und immer noch jobben, hat sich binnen zehn Jahren sogar mehr als verdoppelt – auf rund 176000. 

Der Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer, sieht darin nicht grundsätzlich ein Problem. „Sicherlich sind manche Rentner auf ihren Minijob angewiesen. Doch aus Studien wissen wir: Vielen Senioren macht ihr Minijob Spaß.“ Manche gingen auch ein paar Stunden pro Woche arbeiten, um mehr Kontakt zu anderen Menschen zu haben, erklärte er gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Insgesamt ist die Zahl der arbeitenden Rentner trotz des zu verzeichnenden Anstiegs weiterhin sehr gering. Bei den 65- bis 74-Jährigen verdienen sich derzeit 8,9 Prozent etwas dazu, 2010 waren es 7,1 Prozent.

IAB-Experte Enzo Weber sieht die Entwicklung dennoch kritisch. Es sei zwar fraglich, ob die Rechnung „drei Minijobs ergeben eine Vollzeitstelle“ so aufgehe, aber grundsätzlich sei es nicht sinnvoll, wenn Menschen eine zusätzliche Arbeit bräuchten. „Warum auch immer.“ Das Thema dürfte die Politik künftig stark beschäftigen. 

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte jüngst mit einer Bemerkung über Minijobber Empörung ausgelöst. Auf die Nachfrage eines Twitter-Nutzers hatte er geantwortet „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.“