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08.09.17 / »Hart sein« / Wie es zu Karl Dönitz’ Laconia-Befehl kam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-17 vom 08. September 2017

»Hart sein«
Wie es zu Karl Dönitz’ Laconia-Befehl kam
Wolfgang Kaufmann

Im September 1942 wurde das deutsche U-Boot U 156 trotz Verwendung des Rot-Kreuz-Zeichens während der Rettung von Schiffbrüchigen bombardiert. Hieraus resultierte der sogenannte Laconia-Befehl, der später im Nürnberger Prozess gegen Großadmiral Karl Dönitz eine maßgebliche Rolle spielte.

Um den alliierten Schiffsverkehr vor Kapstadt zu attackieren und somit auch die Nachschubtransporte für die 8. britische Armee an der El-Alamein-Front in Nordafrika zu stören, entsandte der Befehlshaber der Unterseeboote (BdU), Admiral Karl Dönitz, ab Mitte August 1942 vier große U-Boote vom Typ IXc, U 68, U 504, U 172 und U 156, sowie den U-Tanker U 459 in den Südatlantik. Deren Kommandanten durften während des Anmarsches ins Operationsgebiet nur besonders wertvolle Ziele angreifen, damit das Überraschungsmoment im Bereich des Kaps der Guten Hoffnung gewahrt blieb.

Ein solch lohnendes Objekt war der frühere Passagierdampfer „Laconia“ mit seinen 19695 Bruttoregistertonnen, der seit Anfang 1942 im Dienste der Admiralität in London stand und Truppen transportierte. Deshalb hatten die Briten das Schiff auch mit acht Geschützen, Fliegerabwehrkanonen, Wasserbomben und U-Boot-Ortungsgeräten ausgerüstet. Am 12. September 1942 torpedierte U 156 unter dem Kommando von Korvettenkapitän Werner Hartenstein die „Laconia“ nordöstlich der Insel Ascension im Mittelatlantik. Zu diesem Zeitpunkt wusste man deutscherseits noch nicht, dass der Dampfer neben seinen 463 Mann Stammbesatzung unter Kapitän Rudolph Sharp und 286 Soldaten auch 87 britische Zivilisten sowie 1793 italienische Kriegsgefangene mitsamt 103 polnischen Wärtern an Bord hatte. Das erkannte Hartenstein erst, als er auftauchen ließ, um den Kapitän oder Chefingenieur des Truppentransporters gefangen zu nehmen. Dabei schwammen die meisten Schiffbrüchigen bereits im Wasser, weil die Schräglage der sinkenden „Laconia“ das Ausbringen von Rettungsbooten erschwerte. Und einige der Italiener waren sogar schon tot, von den überaus brutal agierenden Wachmannschaften erschossen oder mit dem Bajonett erstochen. Wieder andere starben bei Haiangriffen.

Angesichts der dramatischen Situation an der Untergangsstelle tat der Kommandant von U 156 vier Dinge. Zum Ersten gab er Order, die in Lebensgefahr Befindlichen zu retten – ungeachtet aller damit verbundenen Risiken für die Sicherheit seines Bootes. Denn mit den letztlich aufgenommenen 260 Engländern und Italienern auf beziehungsweise unter Deck konnte U 156 naheliegenderweise nicht mehr tauchen. Zum Zweiten sandte Hartenstein in der Nacht zum 13. September einen Funkspruch an den BdU mit der Bitte um Instruktionen, woraufhin der Admiral die Fortsetzung der Rettungsaktion anheimstellte – vorausgesetzt, das Boot bliebe dabei tauchklar. Zum Dritten ließ Hartenstein, der genau wusste, dass die letztgenannte Bedingung keinesfalls erfüllbar war, eine vier Quadratmeter große Rot-Kreuz-Flagge auf der Brücke von U 156 ausspannen, die auch aus der Luft wahrgenommen werden konnte. Und zum Vierten setzte er morgens um 6.10 Uhr noch folgenden unverschlüsselten Funkspruch auf der internationalen 600-Meter-Welle ab: „Wenn ein Schiff der havarierten ,Laconia‘-Besatzung helfen will, werde ich nicht angreifen, solange ich nicht ... angegriffen werde.“ Dem folgte die Angabe der genauen Position, wodurch der Feind jetzt wusste, wo er U 156 finden konnte.

Parallel hierzu schickte Dönitz U 506 unter Kapitänleutnant 

Erich Würdemann und U 507 unter Korvettenkapitän Harro Schacht sowie das von Korvettenkapitän Marco Revedin befehligte italienische U-Boot „Cappellini“ an die Untergangsstelle. Außerdem liefen auf ein diplomatisches Hilfeersuchen Deutschlands hin auch noch drei Kriegsschiffe des von Marschall Philipe Pétain geführten Französischen Staates aus den westafrikanischen Häfen Dakar, Conakry und Cotonou aus.

Am 16. September mittags sichtete ein Bomber der United States Army Air Forces (USAAF) vom Typ B-24 „Liberator“ die nunmehr vier U-Boote unter der Rot-Kreuz-Flagge, die zahlreiche Menschen aus den Wasser gefischt und zudem auch einige vollbesetzte Rettungsboote im Schlepp hatten. Auf seine Anfrage, wie er sich verhalten solle, erhielt der Kommandant der Maschine, Lieutenant James D. Harden, vom Stützpunkt Wideawake Airfield auf Ascension den Befehl zum Angriff. Daraufhin warf das Flugzeug tatsächlich fünf Bomben ab, die zwei Rettungsboote trafen, dutzende Schiffbrüchige töteten und U 156 beschädigten. Die Weisung hierzu kam vom Chef der 1st Composite Squadron der US-Luftwaffe, Captain Robert Richardson, der dafür nie zur Verantwortung gezogen wurde, sondern später noch zum Brigadegeneral avancierte und im NATO-Hauptquartier Karriere machte.

Die Attacke hinderte U 506 und U 507 sowie die „Cappellini“ aber nicht daran, weitere Menschen zu bergen, woraufhin Harden am 17. September auch Würdemanns Boot bombardierte. Unmittelbar danach riefen die Verantwortlichen auf Ascension jedoch alle US-Flugzeuge nach Wideawake zurück, weil das Herannahen der drei Schiffe des Französischen Staates auf eine bevorstehende Invasion hinzudeuten schien. Dadurch konnten die „Gloire“, die „Dumont d’Urville“ und die „Annamite“ insgesamt 1083 gerettete Personen übernehmen und an Land bringen. Außerdem erreichten einige weitere Überlebende die afrikanische Küste rudernd im Beiboot oder wurden von Fischern auf hoher See geborgen – der britische Seemann Tony Large nach einem Martyrium von 40 Tagen. 1619 Menschen, darunter 1420 Italiener, starben hingegen beim Untergang des Truppentransporters und durch die Luftangriffe.

Als Konsequenz aus dem Vorfall erließ der BdU am 17. September 1942 den „Laconia-Befehl“, dessen Kernsatz lautete: „Jegliche Rettungsversuche von Angehörigen versenkter Schiffe, also auch Auffischen von Schwimmenden und Anbordgabe auf Rettungsboote, Aufrichten gekenterter Rettungsboote, Abgabe von Nahrungsmitteln und Wasser haben zu unterbleiben. Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen. Befehle über Mitbringen von Kapitänen und Chefingenieuren bleiben bestehen. Schiffbrüchige nur retten, falls Aussagen für Boot von Wichtigkeit. Hart sein. Daran denken, dass der Feind bei seinen Bombenangriffen auf deutsche Städte, auf Frauen und Kinder keine Rücksicht nimmt.“ 

Daraus konstruierte die britische Anklagebehörde während der Nürnberger Prozesse eine Weisung zur Ermordung von Schiffbrüchigen – um dann die Todesstrafe für dieses angebliche Kriegsverbrechen zu fordern. Allerdings erklärte der als Zeuge fungierende Chef der US-Pazifikstreitkräfte, Fleet Admiral Chester W. Nimitz, dass die gegen Japan operierenden US-amerikanischen U-Boote praktisch die gleiche Order gehabt hätten wie die deutschen – und zwar vom ersten Kriegstage an. Das rettete den BdU und späteren Oberbefehlshaber der Kriegsmarine sowie Nachfolger Adolf Hitlers als Reichspräsident vor dem Strang.