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08.09.17 / Alexander von Humboldt und das Zusammenfügen der Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-17 vom 08. September 2017

Alexander von Humboldt und das Zusammenfügen der Welt
Nike U. Breyer

Uns ist es heute geläufig, dass ökonomische Entscheidungen auch ökologische Folgen haben, dass auch exakteste Wissenschaft nicht ohne Philosophie auskommt und in der Natur, wie überall, alles mit allem zusammenhängt. Das war nicht immer so. Nachdem die Aufklärung die Natur und den Menschen zergliederte, sezierte und dekonstruierte, sah das 

19. Jahrhundert im rastlosen Vermessen den goldenen Weg zur Erkenntnis. Es war Alexander von Humboldt (1769–1859), der hier neue Wege bahnte und viele nachfolgende Erkenntnisse überhaupt möglich machte. 

Die englische Historikerin Andrea Wulf, die sich schon mit der Studie „The Brother Gardeners“ einen Namen gemacht hat, hat mit „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ nun eine elegante Biografie dieses Ausnahmegelehrten vorgelegt, die komprimierte Information spannend wie einen Abenteuerroman präsentiert. Und abenteuerlich war Humboldts Leben allemal. 

Nach einem Studium an der Bergakademie Freiberg, das er in einem knappen Jahr absolvierte, inspizierte er in Preußen Bergwerke und traf daneben wissenschaftliche Freunde. Als die ungeliebte Mutter starb, verschaffte dies Alexander und seinem Bruder Wilhelm eine opulente Erbschaft, die Alexander in Stand setzte, seinen lang gehegten Traum umzusetzen: eine Expedition in ferne Länder. Aber wohin? Europa lag in Revolutionswirren und Kriegen, die erstmalig ihren Ausgang in der Aufteilung der Welt in Übersee nahmen. Das Reisen in die Kolonien andererseits musste von höchsten Stellen legitimiert werden. Schließlich erteilte der spanische König von Humboldt die erhoffte Erlaubnis. 

Der Forscher, der sich sorgfältig vorbereitet und vom Gebrauch des Sextanten und meteorologischer Instrumente bis zum botanischen Zeichnen alles Nötige selbst beigebracht hatte, schiffte sich nach Neu-Granada ein, das heutige Venezuela, gefolgt von Kolumbien und Peru.

 Allein die Besteigung und Vermessung des Chimborazo, der damals als höchster Berg der Welt galt, liest sich packend, da sich ohne Bergschuhe oder Goretex diese Begehung höchst strapaziös gestaltete. Auf dem Heimweg machte von Humboldt Station bei der amerikanischen Legende Thomas Jefferson und versorgte den Politiker mit einem „Schatz an Informationen“, wie dieser an einen Freund schrieb. Hintergrund waren die aufkommenden Auseinandersetzungen zwischen den jungen USA und der spanischen Krone über die Grenzziehungen zwischen Mexiko und den USA. Im Feuer stand ein riesiges und mit unklaren topografischen Karten nur vage erfasstes Gebiet. Von Humboldt handelte als unparteiischer Wissenschaftler, düpierte damit aber letztlich den spanischen König. 

Nach seiner Lateinamerika-Expedition avancierte der Gelehrte endgültig zum Star der zeitgenössischen Wissenschaft, der vorzugsweise in Paris residierte, sich vom preußischen König alimentieren ließ, es aber es zum Verdruss seines Bruders unterließ, sich in Berlin niederzulassen. Eine weitere große Forschungsreise führte von Humboldt durch Russland. Langjährige Bemühungen, von der Ostindischen Handels-Kompanie eine Reiseerlaubnis für Indien zu erlangen, um den Himalaya zu erforschen, scheiterten. 

Im gesetzten Alter war von Humboldt ein gern besuchtes Vorbild, der großzügig wissenschaftliche Vorhaben unterstützte und gewissenhaft Tausende von Briefen persönlich beantwortete. 

Abgerundet wird das Buch durch Skizzierung des Weiterwirkens der von Hum-boldt‘schen Ideen bei einer jüngeren Generation bedeutender Gelehrter wie Charles Darwin, Ernst Haeckel, John Muir – dem „Vater der amerikanischen National-Parks” – oder dem großen Naturfreund Henry David Thoreau. Eine interessante Randnotiz der Biografin: Als die USA 1917 mit ihrem Kriegsbeitritt den europäischen Krieg zum Weltkrieg machten, kam es in Cleveland und andernorts zu antideutschen Ausschreitungen und Bücherverbrennungen deutscher Autoren, damit auch der Bücher von Humboldts. Da war längst vergessen, dass Präsident Jefferson nicht nur Tischgespräche mit diesem geführt, sondern über Jahre hinweg Briefe getauscht hatte. Ein rundum lesenswertes Buch. 

Andrea Wulf: „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur”, Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2016, gebunden, 556 Seiten, 24,99 Euro