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15.09.17 / Noch halten die Gewerkschaften still / Frankreichs Präsident präsentiert seine Reformpläne für den Arbeitsmarkt als »alternativlos«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Noch halten die Gewerkschaften still
Frankreichs Präsident präsentiert seine Reformpläne für den Arbeitsmarkt als »alternativlos«
Peter Entinger

Eines muss man Emanuel Macron lassen. Er denkt in großen historischen Zusammenhängen. Als eine „kopernikanische Revolution« kündigte der französische Staatspräsident seine Arbeitsmarktreform an. Eine Wende also wie die vom geo- zum heliozentrischen Weltbild zu Beginn der Neuzeit.

Nach drei Monaten Vorarbeiten und 50 Treffen mit den Sozialpartnern hat die Regierung von Präsident Emmanuel Macron in der vergangenen Woche ihre Arbeitsmarktreform präsentiert. Hauptziel sei der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die seit Jahren konstant bei rund zehn Prozent liegt, erklärte Premierminister Edouard Phi­lippe. Die geplante Flexibilisierung des starren Arbeitsrechts ist für Macron allerdings nur eines von vielen Projekten, die notwendig seien, um das französische Sozialmodell zu verändern und so die Arbeitslosigkeit zu senken. Das etwas passieren muss, darüber sind sich die meisten Franzosen einig. Der Wirtschaft geht es nicht gut, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, und es wachsen immer mehr Zweifel, wie lange man sich die Finanzierung des kostspieligen Beamtenapparats noch leisten kann. 

Nach den jüngst vorgestellten Reformplänen soll es unter anderem Firmen in Schwierigkeiten erleichtert werden, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Zudem soll die Höhe von Abfindungen begrenzt werden, die Arbeitgeber zahlen müssen, wenn sie nach Entlassungen von Mitarbeitern vor Gericht unterliegen. Betriebsvereinbarungen zwischen der Firmenleitung und der Belegschaft sollen mehr Gewicht bekommen, und die bisher drei verschiedenen Gremien der Arbeitnehmervertretung in Unternehmen werden zusammengelegt. „Kurzgefasst geht es darum, das starre Arbeitsrecht zu deregulieren und für Unternehmer und Investoren ,berechenbarere Verhältnisse‘ zu schaffen, wie es Regierungschef Philippe ausdrückt. Im Klartext heißt das:  Die Gewerkschaften verlieren an Macht“, analysierte die Tageszeitung „Die Welt“.

Macrons Vorgänger haben sich seit Jahrzehnten um eine Arbeitsmarktreform bemüht, rückten aber nach Massenprotesten immer stark von ihren jeweiligen Vorhaben ab. Aufgrund seines doch eher schwachen Startes waren die anfangs hohen Popularitätswerte des 39-jährigen Präsidenten während der Sommermonate stark zurück­gegangen. Doch die ganz großen Proteste bleiben bei ihm nun aus. Der als gemäßigt geltende größte Gewerkschaftsbund Frankreichs, die Confédération française démocratique du travail (CFDT, Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund) zeigte sich zwar enttäuscht von den Vorschlägen, hat jedoch vorerst auf Demonstrationen dagegen verzichtet. Die Confédération générale du travail (CGT, Allgemeiner Gewerkschaftsbund) befürchtet den Abbau von Arbeitnehmerrechten und hatte von Anfang an Streiks und Demonstrationen angekündigt. Der CGT-Vorsitzende, Philippe Martinez, sagte: „Alle unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet.“ Die Pläne bedeuteten das „Ende des Arbeitsvertrags“ in seiner bisherigen Form. Doch der traditionell der Kommunistischen Partei nahestehende Gewerkschaftsbund vertritt nur einen Bruchteil der französischen Arbeitnehmer. 

Derzeit ist Macrons Regierung dabei, den Haushaltsplan für 2018 auszuarbeiten, um ihn am 27. September im Ministerrat vorstellen zu können. Frankreichs Präsident hatte der EU die Zusage gegeben, die Maastrichter Defizitgrenze im laufenden Jahr wieder einzuhalten. Im nächsten Jahr will er das Defizit von drei auf 2,7 Prozent reduzieren, 20 Milliarden Euro an Ausgaben einsparen und gleichzeitig die Abgaben für Unternehmen um elf Milliarden Euro senken.

Macron bezeichnet diese Maßnahmen in bester Merkel-Sprache als „alternativlos“. Frankreich sei ein Land, das „Größe (grandeur) liebt“. Die Franzosen benötigten anspruchsvolle Ziele, „Träume“ und einen neuen „Heroismus“. „Wir müssen wieder ein stolzes Land werden. Man muss erklären, dass es Helden in Frankreich gibt, Genies, Leute, die sich täglich engagieren“, erklärte er in einer TV-Ansprache. Um die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, plant Macron „eine starke staatliche Ausbildungsanstrengung, vor allem in der beruflichen Bildung“. Auch hier sollen die Sozialpartner, die Ausbildungsmittel oft für eigene Zwecke umgeleitet haben, zugunsten direkter staatlicher Steuerung in den Hintergrund gedrängt werden. Premierminister Philippe verteidigte die Reform als „ehrgeizig, ausgewogen und gerecht“. Das bisherige Arbeitsrecht werde von Unternehmenschefs und ausländischen Investoren oft als Bremse für die Beschäftigung wahrgenommen, sagte er. Die von den Arbeitsgerichten (prud’hommes) zugesprochenen Abfindungen sind in Frankreich rund doppelt so hoch wie in Deutschland. Bei langjährigen Mitarbeitern können sie mehrere hunderttausend Euro erreichen. 

Und Macron drückt weiter aufs Tempo, hat Anfang der vergangenen Woche angekündigt, Staatsbeteiligungen zu verkaufen, um damit Geld für Investitionen einnehmen zu können. Der Front National von Marine Le Pen sprach umgehend von „einem Ausverkauf unseres Tafelsilbers“ und der charismatische Jean-Luc Mélenchon hat die Anhänger seiner ökosozialistischen Partei „La France insoumise“ (FI, Unbeugsames Frankreich) aufgerufen, am 23. September gegen den „Raubtierkapitalismus“ des Präsidenten auf die Straße zu gehen. Die Regierung zeigt sich alarmiert. Innenminister Gérard Collomb hat bei Herstellern unlängst 22 Tonnen Tränengas bestellt. Es könnte ein heißer Herbst in der Hauptstadt werden.