28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.09.17 / Kuh und Kalb für den Lehrer / In Preußen wurde vor 300 Jahren die allgemeine Schulpflicht eingeführt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Kuh und Kalb für den Lehrer
In Preußen wurde vor 300 Jahren die allgemeine Schulpflicht eingeführt
Klaus J. Groth

Mit einem „allergnädigsten Special-Befehl“ vom 28. September 1717 führte der preußische König Friedrich Wilhelm I. für die Kinder zwischen dem fünften und dem zwölften Lebensjahr die Pflicht ein, sich beschulen zu lassen. 

Friedrich Wilhelm I. trägt den Beinamen „Soldatenkönig“, aber viel mehr war er der „Große König des Inneren“, wie ihn Zeitgenossen nannten. Durch die Förderung des Handels, die Urbarmachung von Sumpf für den Ackerbau, die „Peuplierung“ des durch Pest und Kriege entvölkerten Landes sowie den Aufbau eines schlagkräftigen Heeres legte er den Grundstock für den Aufstieg Preußens zur wirtschaftlichen und militärischen Großmacht. Oft unerwähnt lassen Historiker, dass Fried­rich Wilhelm die für zukünftige Generationen bedeutendste aller Reformen auf den Weg brachte: die Einführung der allgemeinen Schulpflicht.

Sein „allergnädigster Special-Befehl“ vom 28. September 1717 lautete: „Wir vernehmen missfällig und wird verschiedentlich von denen Inspectoren und Predigern bey Uns geklaget, dass die Eltern, absonderlich auf dem Lande, in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr säumig erzeigen, und dadurch die arme Jugend in grosse Unwissenheit, so wohl was das lesen, schreiben und rechnen betrifft, als auch in denen zu ihrem Heyl und Seligkeit dienenden höchstnötigen Stücken auffwachsen laßen.“

Jedes Kind soll vom fünften bis zum zwölften Lebensjahr zur Schule gehen, „gegen zwei Dreier wöchentliches Schulgeld, ... im Winter täglich und im Sommer, wann die Eltern bei ihrer Wirtschaft benötigt sein, zum wenigsten ein- oder zweimal die Woche, damit sie dasjenige, was im Winter erlernet worden, nicht gänzlich vergessen mögen.“ „Falls aber die Eltern das Vermögen nicht hätten; So wollen Wir dass solche Zwey Dreyer aus jeden Ortes Allmosen bezahlet werden sollen.“

Die Verordnung der Schulpflicht stößt auf Widerstand. Gutsbesitzer und Tagelöhner sträuben sich gleichermaßen. Die Kinder werden das ganze Jahr über zur Arbeit in den Ställen und auf den Feldern eingesetzt. Auch im königlichen Generaldirektorium findet der Erlass keine Gegenliebe. Fried­rich Wilhelm verfügt, dass das Material zum Bau von Schulen aus der Staatskasse bezahlt werden soll. Die skurrile Sammelleidenschaft seiner Majestät geht schon genug ins Geld, finden die Minister, die Vorliebe für die „Langen Kerls“ seiner Privatgarde. Junge Männer mit einer Mindestgröße von 1,9 Metern, die „Riesen“, sind kaum zu finden und nicht umsonst zu haben. Friedrich Wilhelm lässt sie aus ganz Europa und sogar aus den holländischen Kolonien von Schleppern nach Potsdam verfrachten. Die Einwände des Direktoriums, dass die Schulreform zu kostspielig sei, lässt der für seinen Geiz bekannte König in diesem Fall nicht gelten. Er verlangt „weder Rat noch Räsonnement, sondern Gehorsam“. Anordnungen versieht er mit dem Vermerk „cito citissimo“, also umgehend, sofort. Die Schulpflicht gilt zunächst nur für die königlichen Domänen. Die übrigen Gutsherren sollen sich daran ein Beispiel nehmen. Sie versteht sich auch eher als Pflicht zum Unterricht. Wer Lehrer engagieren kann oder es sich selbst zutraut, darf seine Kinder wie bisher zu Hause unterrichten. Die Aufsicht über das Schulwesen obliegt der Kirche. 

Vor Friedrich Wilhelm hatten schon andere Regenten erkannt, dass für einen prosperierenden Staat ein Mindestmaß an Bildung der Untertanen unerlässlich ist. Im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken existierte ab 1592, in Sachsen-Gotha ab 1642 und in Württemberg ab 1649 die Schulpflicht. Der Preußenkönig trieb mit immer neuen Reskripten den Bau der Schulen voran. Kommissionen reisten durchs Land, die „ein wachsames Auge halten und Contravenienten“ zur Bestrafung anzeigen sollten. Noch schwieriger als der Schulbau war die Suche nach Schulmeistern. Sie wurden aus dem Kreis von Küstern, Handwerkern und entlassenen Soldaten rekrutiert. Kosten durften sie nichts.

Am 30. Juli 1736 regelte der König mit den „Principia regulativa“ ihr Auskommen. Sie erhielten eine Kuh samt Kalb, ein paar Schweine, Federvieh und ein Stück Acker. „Von Sr. K. Maj. einen Morgen Land, (welcher allemal hinter seinem Hause anzuweisen) solchen aufs beste zu nutzen. Die eingewidmeten Dorfschaften bearbeiten solchen und halten ihn im Gehege“. Ähnliche Bedingungen gelten für die „Teutschen Privatschulen“ in den Städten. Die Schulpflicht wird von vielen Eltern vor allem auf dem Land nicht befolgt. Die „wachsamen Augen“ können nicht bis in den hintersten Winkel des Reichs blicken. Doch als der König 1740 stirbt, gibt es bereits 1480 Schulen in Preußen. 

Friedrich der Große führte das Werk des Vaters fort. Sein enger Berater war Johann Julius Hecker. Der evangelische Theologe hatte 1747 die erste ökonomisch-mathematische Realschule in Berlin gegründet. 1748 folgte das erste Lehrerseminar. Hecker schickte seine Realschüler als Praktikanten in Handwerksbetriebe und Manufakturen, ein Vorläufer der dualen Ausbildung. In den Maulbeergärten arbeiteten sie neben dem Unterricht in der Seidenraupenzucht, ein ehrgeiziges Projekt des Königs, der den kostbaren Stoff in Berlin produzieren wollte. Das Generallandschulreglement, das Friedrich II. 1763 erließ und das die Schulpflicht auf acht Jahre festschrieb, wurde im Wesentlichen von Hecker erarbeitet. 

„Zuvörderst wollen Wir, dass alle Unsere Untertanen, es mögen sein Eltern, Vormünder oder Herrschaften, denen die Erziehung der Jugend obliegt, ihre eigenen sowohl als ihrer Pflege anvertrauten Kinder, Knaben oder Mädchen, wo nicht eher, doch höchstens vom fünften Jahre ihres Alters in die Schule schicken, auch damit ordentlich bis ins dreizehnte und vierzehnte Jahr kontinuieren und sie so lange zur Schule halten sollen, bis sie nicht nur das Nötigste vom Christentum gefasst haben und fertig lesen und schreiben, sondern auch von demjenigen Rede und Antwort geben können, was ihnen nach den von Unsern Konsistorien verordneten und approbierten Lehrbüchern beigebracht werden soll.“

Das Generallandschulreglement bildete die Basis des Volksschulwesens in Preußen und im Deutschen Reich. Die „Schule fürs Volk“ mit dem Volksschulabschluss blieb bis in die 1960er Jahre in der Bundesrepublik bestehen. Danach traten Grund- und Hauptschule an ihre Stelle.