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15.09.17 / Das Ende der frachttragenden Segelschulschiffe / Der Untergang der »Pamir« war die größte Katastrophe der zivilen Schifffahrt in der deutschen Nachkriegsgeschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Das Ende der frachttragenden Segelschulschiffe
Der Untergang der »Pamir« war die größte Katastrophe der zivilen Schifffahrt in der deutschen Nachkriegsgeschichte
Britta Heitmann

Der Untergang der Viermastbark „Pamir“ in einem Hurrikan vor 60 Jahren markierte das Ende der Epoche der frachttragenden Segelschulschiffe, einer bis dahin stolzen Tradition der deutschen Handelsschifffahrt.

Die „Pamir“ war ein sehr schnelles und stabiles Segelschiff und gehörte zur Flotte der „Flying P-Liner“ der Reederei Laeisz. Sie wurde 1905 bei Blohm + Voss in Hamburg gebaut und fuhr auf der Salpeterroute von Hamburg rund um Kap Hoorn nach Chile und legte in den 20er Jahren zwei Rekordfahrten in nur 75 Tagen zurück. 1931 verkaufte die Reederei das Schiff an den finnischen Reeder Gustav Erikson, wie auch ein Jahr später die bauähnliche „Passat“. Fortan wurden sie in der Weizenfahrt ab Australien eingesetzt. Die „Pamir“ gewann 1932 die sogenannte Weizenregatta, eine Wettfahrt von frachttragenden Großseglern. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie in Neuseeland beschlagnahmt, da Finnland 1941 auf der Seite des Deutschen Reichs in den Krieg eingetreten war. Unter neuseeländischer Flagge wurde sie für Transportfahrten in die Verei­nigten Staaten von Amerika und dabei auch zur Ausbildung von seemännischem Nachwuchs eingesetzt. 1948 erhielt die Reederei Eriksen die „Pamir“ zurück. Nach letzten Australien-Fahrten, die nicht mehr rentabel waren, wurden sowohl die „Pamir“ als auch die „Passat“ 1950 an ein belgisches Abwrack­unternehmen verkauft. Ihr Schick­sal schien damit besiegelt zu sein.

Mit frischem unternehmerischem Wagemut versuchten die Reeder und Kaufleute nach dem Zweiten Weltkrieg trotz alliierter Beschränkungen die deutsche Handelsflotte wieder aufzubauen. Es fehlte jedoch neben Schiffen auch an seemännischem Nachwuchs. Zu viele Seeleute hatten im Krieg ihr nasses Grab auf See gefunden. Die klassische Ausbildung, um junge Männer mit der Seefahrt vertraut zu machen, begann traditionell auf Großseglern. Der aus Ostpreußen stammende Reeder Heinz Schliewen, dessen Vater Kontakte zur Königsberger Poseidon-Reederei hatte, rettete zusammen mit Kapitän Helmut Grubbe die beiden stählernen Viermastbarken vor den Schneidbrennern und ließ sie in Kiel zur Nutzung als frachttragende Segelschulschiffe umbauen. Zur besseren Manövrierfähigkeit wurden eine Maschinenanlage mit 900 PS eingebaut und eine zeitgemäße Funkanlage installiert. Außerdem mussten zusätzliche Unterkünfte für die Ausbilder und Kadetten geschaffen werden. Im Januar 1952 legte die „Pamir“ zum ersten Mal mit Kadetten an Bord von Hamburg ab, wurde aber bereits nach zwei Reisen in Rotterdam an die Kette gelegt, weil Schliewen Zahlungsschwierigkeiten hatte. Sie wurde dann im April 1954 an den Hauptgläubiger, die Schleswig-Holsteinische Landesbank, versteigert, die Kapitän Grubbe als Treuhänder einsetzte. Die neugegründete „Stiftung Pamir und Passat“, die aus einem Konsortium von 40 deutschen Reedern hervorgegangen war, erwarb beide Schiffe und setzte sie ab Anfang 1955 wieder als frachttragende Segelschulschiffe nach Argentinien und Uruguay ein, sodass die gefährliche Umrundung von Kap Hoorn fortan vermieden wurde.

Die letzte Fahrt der „Pamir“ stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Da die Hafenarbeiter und Stauer in Buenos Aires streikten, hatte die Besatzung die Gerste selbst verladen. Anstelle der früher üblichen Ladung in Säcken war der größte Teil der 3780 Tonnen Gerste lose gelagert worden und nur 250 Tonnen waren in Säcken in fünf oberen Lagen gegen das Verrutschen gestaut worden. Die „Pamir“ verfügte zwar über ein Längsschott, allerdings verrutscht Gerste von allen Getreidearten am leichtesten. 

Am 11. August 1957 erfolgte unter Kapitän Johannes Diebisch die Abreise nach Hamburg. Die „Pamir“ segelte auf dem für Windjammer üblichen S-förmigen Kurs über den Atlantik. Südwestlich der Azoren tobte der Hurrikan „Carrie“, der mehrfach seine Richtung wechselte und am 21. September dann direkt auf die „Pamir“ zukam. Um 9.30 Uhr Ortszeit erreichte der Hurrikan das Schiff so plötzlich, dass die Segel nicht mehr eingeholt werden konnten, sondern rissen oder abgeschnitten werden mussten, sodass das Schiff bereits eine Stunde später ohne Segel mit 30 Grad Schlagseite hilflos im Sturm trieb. Der Funker setzte verzweifelte SOS-Rufe ab, aber kein Schiff erreichte die Position rechtzeitig zur Rettung. Die „Pamir“ kenterte gegen 12 Uhr und versank kurz darauf in den Atlantikfluten. Durch die Schlagseite konnten die Rettungsboote nicht ordnungsgemäß zu Wasser gelassen werden, sodass nur drei beschädigte Boote ohne Vorräte und funktionierende Seenotraketen, die sich beim Untergang gelöst hatten, in der aufgewühlten See trieben. Wer nicht gleich beim Untergang mit in die Tiefe gerissen oder vom Sturm abgetrieben wurde, versuchte verzweifelt, eines der Boote zu erreichen. Die bis dahin größte Rettungsaktion in der Geschichte der Handelsschifffahrt lief an und 78 Schiffe aus 13 Ländern suchten eine Woche lang nach den Vermissten. Nach zwei Tagen konnten fünf Überlebende von einem schwer beschädigten Rettungsboot geborgen werden, ein Tag später noch ein weiterer Überlebender. 80 der 86 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Der Untergang löste einen Schock aus, so unvorstellbar war der schreckliche Tod der größtenteils blutjungen Seeleute, hatte doch die „Pamir“ in all ihren Fahrten um Kap Hoorn viel schwereren Stürmen getrotzt. 

Die Seeamtsverhandlung kam zu dem Ergebnis, dass es eine Verkettung verschiedener Umstände war, die nicht sachgerechte Stauung und dadurch das Verschieben der Ladung, das zu späte Einholen der Segel und die ungenügende Verschließung der Bullaugen – da niemand von der Schiffsführung überlebt hatte, blieben viele Fragen offen. Die Ära der frachttragenden Segelschulschiffe war endgültig vorbei.