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15.09.17 / Das Regelwerk des Reitens stammt aus Preußen / Die unter Friedrich dem Großen erlassenen Richtlinien werden bis heute weltweit beachtet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Das Regelwerk des Reitens stammt aus Preußen
Die unter Friedrich dem Großen erlassenen Richtlinien werden bis heute weltweit beachtet
Sibylle Luise Binder

Was hatte Rainer Maria Rilkes Cornet mit einem Dressurreiter unserer Tage gemeinsam – außer, dass sie beide viel Zeit im Sattel verbrachten? Die größte Gemeinsamkeit zwischen dem Fahnenträger Christoph Rilke aus Rainer Maria Rilkes Erzählung „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ und den Herrschaften, die sich heute auf dem Dressurviereck bewegen, dürfte sein, dass sie demselben Regelwerk folgen. Mit diesem – in deutschsprachigen Ländern unter dem Namen „Richtlinien für das Reiten“ erhältlichen – Werk haben die Preußen eine weitere Spur in der Geschichte hinterlassen.

Aber bevor wir zur preußischen Kavallerie kommen, müssen wir ein Stück in der Geschichte zurück – bis zu Sokrates’ Schüler Xenophon, der zwischen 430 und 355 vor Christi Geburt in Griechenland lebte. Der Politiker, Feldherr und Schriftsteller in den Bereichen Geschichte, Ökonomie und Philosophie stammte vermutlich aus einer Ritterfamilie und wandelte insofern auf den Spuren seiner Vorfahren, als er selbst Reiteroffizier wurde. Als solcher hat er nicht nur diverse Schlachten geschlagen, sondern auch gewusst, dass es für den Sieg im Krieg nicht reicht, so und so viele Soldaten zu Pferd einem Feind entgegen zu schicken. Daher hat er die erste uns bekannte Reitlehre geschrieben.

Nun gibt es heute Leute, die glauben, beim Reiten arbeite nur das Pferd, während der Reiter sich bequem herumtragen lasse. Wer auch nur einmal für eine Runde in den Sattel gestiegen ist, weiß, dass dem nicht so ist. Bei der preußischen Kavallerie ging man jedenfalls davon aus, dass es bei täglichem Reitunterricht ungefähr ein Jahr dauert, bis ein Anfänger sattelfest ist. Bis er so weit ist, dass er nicht nur auf einem Pferd zurechtkommt, das ein anderer für ihn ausgebildet hat, sondern einem Pferd selbst etwas beibringen kann, muss man noch einmal drei, vier Jahre rechnen.

Die Reiter waren bis ins 17. Jahrhundert mehr oder minder Einzelkämpfer. Rundum gepanzert, ließen sie schwere Kaliber übers Schlachtfeld stapfen, wobei diese Pferde sehr gut ausgebildet waren. Sie beherrschten das, was heute nur noch in den allervornehmsten traditionellen Reitinstituten unter dem Oberbegriff „Schulen über der Erde“ geritten wird wie zum Beispiel die Levade und die Kapriole. 

Bei der Levade schiebt das Pferd die Hinterbeine unter den Körper und nimmt damit Gewicht auf – so viel, dass es die Vorderbeine frei bekommt und den Oberkörper erheben kann. Mit der Levade konnte sich ein Reiter dem Angriff von Fußsoldaten entziehen – wer traut sich an ein Pferd heran, dass auf den Hinterbeinen steht und auf Menschenkopfhöhe mit den Vorderhufen fuchtelt? Kapriole ist für umstehende Menschen ebenfalls gefährlich. Das Pferd springt mit allen Vieren möglichst hoch in die Luft und feuert dann mit den Hinterbeinen aus. 

Im 18. Jahrhundert waren Einzelkämpfer zu Pferd nicht mehr gefragt. Man kam darauf, dass die Kavallerie am besten funktioniert, wenn sie im geordneten Pulk auf den Gegner einstürmt. 

Es war mit Friedrich dem Großen ein Preuße, der sich um eine Regulierung und damit Verbesserung der Kavallerie bemühte. Der Preußenkönig, Berichten von Zeitgenossen zufolge kein toller Reiter, sah, woran es fehlte und ließ Richtlinien schreiben, die er wie folgt ankündigte: „Weil Ich bishero zu Meinem besonderen Mißvergnügen gesehen habe, daß die Generale nicht alle Male das prästiret, was Ich von Ihnen erwartet habe, so bin ich dadurch endlich vollkommen überzeugt worden, daß die Schuld an mir gelegen, weil es Ihnen an meiner Instruktion gefehlt hat …“

Die regulierte Ausbildung war ein Erfolgsfaktor der preußischen Kavallerie. Weitere waren die Qualität der Pferde und das Image der berittenen Soldaten. Anderswo musste die Kavallerie mühsam Pferde requirieren, in Preußen dagegen belieferten zwei Staatsgestüte – das legendäre Trakehnen und das Gestüt in Neustadt/Dosse – die entsprechenden Regimenter. Die waren in ihren schicken Uniformen so angesehen, dass vermutlich alle preußischen Knaben von einer Karriere im Sattel träumten. Entsprechend konnte sich die Kavallerie die Besten herauspicken.

Im 19. und 20. Jahrhundert galt die preußische Kavallerie als die beste aller berittenen Truppen – und innerhalb der Kavallerie waren es die Kürassiere, welche die Führung beanspruchten. Als legitime Nachfolger der Ritter waren sie mit Brustharnisch auf schweren Pferden unterwegs. Als ihr bestes Regiment galt traditionell die Garde du Corps, deren Chef jeweils der König von Preußen war. Bei der Garde du Corps lagen dann auch die Anfänge der Sportreiterei. Die ersten Wettbewerbe waren Distanzritte – zum Beispiel von Wien nach Berlin, querfeldein durchs Gelände. Dazu kamen Hindernisrennen und – zum Beispiel im Rahmen der Abschlussprüfung eines Kavalleristen – die ersten Dressurprüfungen.

Ein spezielles Reglement dafür musste nicht erfunden werden. Man nahm einfach die Reitvorschriften der Kavallerie, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder einmal überarbeitet worden waren. Dabei kam es übrigens weniger auf Inhalte als auf allgemein verständliche und nachvollziehbare Erklärungen an. Im Sommer 1937 erschien die letzte Überarbeitung. Sie basierte auf den preußischen Reitinstruktionen von 1882 und nannte sich nun in dieser neuen Fassung „Reitvorschrift H.Dv.12“. Das „H.Dv.“ stand für „Heeres-Dienstvorschrift“. 

1945 war das Thema „Kavallerie“ dann endgültig erledigt. Die Heeres-Reitschule in Hannover, die in Deutschland das gewesen war, was in Frankreich der Cadre Noir in Saumur und in Österreich die Spanische Hofreitschule war, gab es nicht mehr. Doch dafür kam die Sportreiterei auf, und schon in den 50er Jahren des 20. Jahr­hun­derts wurde in Deutschland die Deutsche Reiterliche Vereinigung gegründet. Die nun brauchte ein Regelwerk – und warum nicht aufs Bewährte zurückgreifen? Man warf einfach das spezifisch militärische aus der H.Dv.12 und taufte sie in „Richtlinien für das Reiten und Fahren“ um. Voilà – damit konnten die deutschen Reiter da weitermachen, wo die Kavallerie aufgehört hatte. Und weil Deutschland die führende Dressurnation war, setzten sich die Deutschen auch bei der Erstellung der internationalen Richtlinien für den Reitsport durch – mit dem Erfolg, dass Preußens Erbe heute überall auf der Welt nachgeritten wird.