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15.09.17 / Ein wärmender Begriff / Globalisierungsskepsis und Völkerwanderung: Warum die eigene Heimat wieder »in« ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Ein wärmender Begriff
Globalisierungsskepsis und Völkerwanderung: Warum die eigene Heimat wieder »in« ist
Gernot Facius

Viele Jahrzehnte war das Wort verpönt, in Politiker- und Intellektuellen-Zirkeln befürchtete man einen Missbrauch, jetzt erobert es sich seinen Platz zurück. Es erlebt in Büchern und Radio-Feuilletons eine Auferstehung: „Heimat“ ist plötzlich wieder „in“. Die Titel, die irgendwie mit diesem wärmenden Begriff zu tun haben, sind kaum noch zu zählen. Die Globalisierungs-Skepsis hinterlässt auch in diesem Herbst in den Regalen der Buchhändler ihre Spuren. „Eine der unbeabsichtigten Folgen des Kapitalismus“, schrieb schon vor Jahren der Soziologe Richard Sennett, „ist die Stärkung des Ortes, die Sehnsucht der Menschen nach der Verwurzelung in einer Gemeinde.“ 

Eine neue Autoren-Generation greift zu Geschichten aus der Region, und immer mehr ihrer Kollegen bedienen sich am Erinnerungsschatz von Menschen, die Entrechtung, Flucht und Vertreibung erlebt haben. Das ist das Auffälligste: Vielerorts bleiben die Vertriebenen am Tag der Heimat nicht mehr unter sich, zu ihnen gesellen sich längst auch Menschen, die mit diesem Datum im September, das Bezug nimmt auf die Verabschiedung der Stuttgarter Charta der deutschen Vertriebenen vom 5. August 1950, lange nichts oder nur wenig anzufangen wussten. Die politischen Umwälzungen in der Welt, die nicht allen geheuer sind, haben einen Bewusstseinswandel bewirkt. Heimat ist eben mehr als ein Wort, Heimat wird zum sicheren Ankerplatz, je mehr sich Risse im Gebälk politischer Großorganisationen oder europäischer Institutionen zeigen. In einer immer weniger überschaubaren Welt, geprägt durch neue „Völkerwanderungen“, wächst die Sehnsucht nach stabilen Rückzugsorten.

So mancher Zeitgenosse, der sich einst über das Erinnern der Vertriebenen an die „Wurzelheimat“ lustig gemacht hat, überrascht heute mit Bekenntnissen zu seiner Herkunft. Da ist der Alt-68er mit Geburtsort im Egerland, der aktiv „Friedensarbeit“ betrieb und seine Eltern des Revanchismus bezichtigte, der sich nach einer erfolg-reichen Wissenschaftskarriere  wieder der Heimat näherte; der sich während eines „Versöhnungs“-Symposiums enttäuscht über die postrevolutionäre Entwicklung in Böhmen und Mähren zeigte und vor allem ein konstruktives Zugehen der Prager politischen Klasse auf die einstigen deutschen Mitbewohner vermisste: „Wenn von dort wenigstens ein glaubwürdiges Zeichen käme…“ 

Wie viele seiner Alterskohorte trug der Mann, ohne dass er sich darüber im Klaren war, einen Phantomschmerz mit sich herum. Das Trauma der Vertreibung von Haus und Hof hat auch in den Genen seine Spuren hinterlassen. Individuell verschieden und unterschiedlich stark wurden Daten des Grauens des „Abschubs“ an die Kinder weitergegeben und werden, wie Wissenschaftler herausgefunden haben, weiter von Generation zu Generation vererbt.

Der zitierte Ex-Linke, der von der tschechischen Seite ein glaubwürdiges Zeichen der Verständigung erwartet, steht exemplarisch für alle, die sich in ihrem letzten Lebensabschnitt wieder an die Heimat erinnern, die nicht unbedingt den Anspruch auf Restauration alter Verhältnisse erheben.  Aber sie wünschen sich von den Vertreiberstaaten ein Wort der Heilung, eine Befreiung von der Kollektivschuld, die einer ganzen Volksgruppe auferlegt wurde. Sagen wir es offen: Sie misstrauen den Politikern, die auf Vertriebenentreffen oder am Tag der Heimat ihre Solidarität mit einem noch immer ansehnlichen Wählerpotenzial bekunden, sich, wenn es zum Schwur kommt, aber hinter dem inflationär gebrauchten Wort „Versöhnung“ verstecken, das im Grunde zu einer theologischen Kategorie gehört. …. 

Das Heimat-Thema hat viele Facetten. Und wer den Multikulturalisten nicht nach dem Mund redet, muss sich auf eine öffentliche Verdammung einstellen. So erging es dem „Zeit“-Veteran Ulrich Greiner, der 2016 einem Essay den Titel „Vom Recht, rechts zu sein“ gegeben hat. Aus dem Beitrag ist inzwischen ein Buch geworden: „Heimatlos“.  Allein das Vorwort wirkt auf viele Kritikaster wie eine Provokation: „Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass der unkontrollierte Zustrom von Flüchtlingen im Herbst 2015 ein Fehler war… und dass die Warnung vor einer Islamisierung nicht bloß ein Hirngespinst ist.“  Der renommierte Autor leistet sich auch das Recht, zu sagen: „Es ist trotz der Geschichte der DDR und trotz der Toten an der Berliner Mauer und trotz der stalinistischen Lager bis heute so geblieben, dass der Schatten des Nationalsozialismus offenbar stärker und mächtiger ist als der Schatten des stalinistischen Terrors. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass das, was in Auschwitz passiert ist, doch noch eine an andere Dimension hat, wenn wir jetzt nicht von den schieren Zahlen reden, was aber nicht weit führen würde. Gleichwohl kommt es mir immer noch seltsam vor, dass man in diesem Land ohne Weiteres links sein kann, aber alles, was mit rechts zu tun hast, ist irgendwie automatisch disqualifiziert.“

Bis heute verstöre ihn, dass das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen gleichsam mit den Verbrechen des „Dritten Reichs“ aufgerechnet und „unsere Leiden“ als eine unmittelbare Folge der Untaten des Nationalsozialismus gesehen würden, bemerkt der Psychoanalytiker Hans Hopf, ein Sudetendeutscher des Jahrgangs 1942 in seinem Buch „Flüchtlingskinder“. Festzustellen sei, dass „neues Unrecht geschaffen wurde, über das noch viel zu wenig und viel zu spät vorurteilsfrei und sachlich diskutiert worden ist“. Der alljährliche Tag der Heimat könnte ein Anlass sein, Versäumtes nachzuholen. Wenn man nur wollte!