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15.09.17 / Alter Wein in neuen Schläuchen / Hunderttausende Gäste werden zum größten Weinfest in der Republik Polen erwartet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Alter Wein in neuen Schläuchen
Hunderttausende Gäste werden zum größten Weinfest in der Republik Polen erwartet
Chris W. Wagner

Einmal im Jahr wird Grünberg in Schlesien zum Mekka für Weinkenner und Genießer. Vom 2. bis zum 10. September verwandelt sich in diesem Jahr der Grünberger Ring zum großen Jahrmarkt für Rebensaftproduzenten. 30 lokale Kellereien des nördlichsten Weinanbaugebietes Europas bieten ihre Weine zum Probieren und natürlich zum Verkauf an. Weinfahrten auf der Oder und der Raulen Obra werden ebenso angeboten wie Sportwettbewerbe um den Bacchuspokal oder Konzerte und Straßen­theateraufführungen. Den Höhepunkt bildet ein bunter Weinumzug am 9. September.

Eine etwa 200 Hektar große und weitgehend zusammenhängende Anbaufläche befindet sich heute noch in Grünbergs Umland. Damit ist die Großstadt an der nördlichen Flanke Niederschlesiens neben Warka bei Warschau das größte Weinanbaugebiet in der heutigen Republik Polen. Im Kommunismus hatte der Weinbau einen besonders schweren Stand. Als deutsches Kulturerbe hatte er in den sogenannten „wiedergewonnen Gebieten“ keine Chance auf ein Fortbestehen. Erst nach der politischen Wende wurde allmählich wieder Wein angebaut und man knüpfte auch an die deutsche Tradition des Weinlesefestes an.

„Ich trank vor hundert Jahren in Prag / Mit den Studenten dort Nacht und Tag / Doch mehr zu trinken solch sauren Wein / Müßt ich ein geborner Schlesier sein!“, dichtete August Kopisch (1799 – 1853) über das abgelegenste Weinbaugebiet im Reich. Dieser Satz hat an Aktualität nichts verloren.

Mit nur 7000 Hektolitern Wein im letzten Jahr und etwa 150 registrierten Winzern steht die Weinproduktion im Lande weit hinter den Bierbrauern zurück, die in der selben Zeit 40 Millionen Hektoliter Bier auf den Markt brachten. Dennoch stieg die Weinproduktion in den letzten sieben Jahren um das Sechsfache. Ein schwacher Trost, denn man findet im normalen Einzelhandel immer noch keinen polnischen, geschweige denn einen schlesischen Wein. Doch die Nachfrage reguliert bekanntlich den Markt. Zum Vergleich: Die Weinbaufläche in Tschechien ist 20 mal größer als die in Polen, doch die Tschechen verbrauchen ihre Weinbestände selbst und importieren zusätzlich.

Die 700000 Liter Wein von der Oder und der Weichsel hingegen werden in der Masse von Touristen gekauft. Die „Lebuser Wein- und Honig-Route“ bietet lokale Weinerzeugnisse an, könnte sich vermutlich jedoch weit besser vermarkten, wenn man mit dem alten Prädikat „Schlesischer Wein“ antreten würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man in Polen versucht, an die mittelalterlichen Zeiten des damals polnischen Bistums Lebus anzuknüpfen. Während der Ort Lebus jedoch westlich der Oder in der DDR verblieb, erweiterte man den zu engmaschigen geografischen Begriff vom Lebuser Land für Ostbrandenburg unhistorisch um nördliche Teile Niederschlesiens.

Grünberg als Parlamentssitz ist heute gemeinsam mit dem ostbrandenburgischen Landsberg/Warthe, wo der Woiwode residiert, Hauptstadt der Woi­wodschaft Lebus und außer einigen Historikern kommt kein Pole der Gegend zu der Ansicht, dass er doch eigentlich in Niederschlesien lebt. Doch „Lebuser Wein“ – das zieht natürlich nur schwer im Sinne einer alten Tradition.

Roman Grad, Vorsitzender des Verbandes für regionale Weinerzeugnisse in Grünberg, erinnert an die deutsche Tradition des seit 1864 stattfindenden Wein­erntefests in Grünberg: „Der ‚Enotourismus‘ hatte seinen Anfang in den 20er Jahren, als deutsche Winzer aus Gründen der Überproduktion ihre Kellereien für Touristen öffneten. So war es auch in Grünberg in der Zwischenkriegszeit, als viele Berliner zu Weinproben hierherkamen“, betonte Grad in einem Interview mit der Tageszeitung  „Rzeczpospolita“. Auch ein in deutscher Sprache verfasstes Programm des Weinfestes soll Deutsche in die Stadt locken. Doch man kann mit den 42 Seiten kaum etwas anfangen, sind doch die einzelnen Veranstaltungen meist in deklinierter Form Eins zu Eins aus dem Polnischen ohne jegliche Erklärung übernommen worden. Kein einziger Ortsname ist zweisprachig genannt, es gibt keine historische Einordnung. Man könnte frei nach Kopisch sagen: Doch mehr genießen solch Fest für Wein, müsst ich ein geborner Pole sein. Und wenn eine Jahresproduktion weniger Hektoliter auf hunderttausende durstige Kehlen trifft, ist klar: Beim Weinfest wird wohl auch 2017 mehr Bier als Wein getrunken. Man kennt es eben nicht wirklich anders.