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22.09.17 / Demokratie im Endstadium / Erbärmlich war das Bild, das der Bundestag in den letzten vier Jahren des Öfteren abgab – Ein Rückblick

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-17 vom 22. September 2017

Demokratie im Endstadium
Erbärmlich war das Bild, das der Bundestag in den letzten vier Jahren des Öfteren abgab – Ein Rückblick
Frank Horns

Nicht 630, sondern annähernd 700 Abgeordnete werden wahrscheinlich in den nächsten Bundestag einziehen. Überhangmandate machen es möglich.  Statt fünf werden voraussichtlich zusätzlich mit AfD und FDP sieben Parteien vertreten sein. Bleibt zu hoffen, dass ihre Vertreter im Reichstagsgebäude vor allem eines bewerkstelligen: eine Volksvertretung, die diesen Namen auch verdient, Ein Rückblick zeigt, wie sehr der Bundestag in den letzten vier Jahren versagte.

Genau 27 Schritte tat sie von ihrem Sitzplatz bis zum Rednerpult des Deutschen Bundestages. Wahrscheinlich wird der parteilosen Abgeordneten Erika Steinbach dieser Weg zu ihrer letzten Rede im Berliner Reichstag am 30. Juni doppelt oder dreimal so lang erschienen sein. Beinahe drei Jahrzehnte gehörte die 73-jährige Frankfurterin dem deutschen Parlament an. Am Ende schlug der Aufrechten, die am 15. Januar aus der CDU ausgetreten war, nur noch Abneigung entgegen. Pfiffe und Zwischenrufe begleiteten ihren Auftritt. Sitzreihe um Sitzreihe marschierte sie durch Feindesland. Am Ende, dort am Mikrofon, sprach sie aus, was keiner hören wollte und was doch offenkundig war: „Unsere parlamentarische Demokratie bedarf dringend der Wachsamkeit.“ Vom neuen Bundestag erwarte sie, dass er seine Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung verantwortungsvoller wahrnehme.

Später legte sie an anderer Stelle nach: „Wenn man eine ehrliche Bilanz der letzten Wahlperioden unter der Kanzlerschaft Angela Merkels zieht, fallen gleich mehrere große Entscheidungen auf, die unsere parlamentarische Demokratie in keinem guten Licht erscheinen lassen.“ Energiewende, Eurorettungsmaßnahmen und „in geradezu dramatischer Weise“ die ungesteuerte Massenzuwanderung seien gegen verbindliche Vereinbarungen oder unter Verletzung eindeutiger Gesetze durchgeführt worden. Einer parlamentarischen Demokratie sei dies unwürdig. 

An unwürdigen Momenten mangelte es dem Bundestag in der letzten Legislaturperiode nicht. Dazu zählt sicherlich der Tag im Frühjahr letzten Jahres, als der Grünen-Abgeordnete Volker Beck von der Berliner Polizei festgenommen wurde. Er kam gerade aus der Wohnung eines mutmaßlichen Dealers und hatte 0,6 Gramm der chemischen Droge Chrystal Meth bei sich. Beck kam glimpflich davon. Das Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldauflage von 7000 Euro wegen „geringer Schuld“ eingestellt. Einen Rücktritt als Bundestagsabgeordneter hielt er nicht für nötig. Im „Focus“ barmte er Wochen später, dass die Krise eine „verdammt schwere Zeit“ für ihn gewesen sei. Außerdem rief er dazu auf, in Politikern keinen „säkularen Heiligenersatz“ zu sehen. Über seine Rolle als gesellschaftliches Vorbild schwieg er. Wie viele Nachahmer mag sein öffentlich vorgelebter Drogenkonsum unter jungen Leuten gefunden haben? Wie viele davon wurden abhängig? 

Ein Nachahmungseffekt war bei der Affäre um die speziellen Vorlieben des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy nicht zu befürchten. Einen weiteren Tiefpunkt im Ansehen des Bundestages bildete auch sie. Der damalige Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags trat im Februar 2014 von allen Ämtern zurück. Die Staatsanwaltschaft hatte bekannt gemacht, dass der Politiker über Jahre hinweg Videos und Fotos von Jungen im geschätzten Alter zwischen 9 und 14 Jahren bei einem Anbieter in Kanada gekauft hatte. Das Bildmaterial befände sich „im Grenzbereich zu dem, was die Justiz unter Kinderpornographie“ verstehe, hieß es. Ein Gerichtsverfahren wurde 2015 aufgrund von Edathys „geständiger Einlassung“ gegen Zahlung von 5000 Euro eingestellt. Derzeit lebt der Sohn eines indischen Pfarrers und einer Deutschen wohl in Nordafrika. Wikipedia meldet, dass er sich mit einem Hotelmanager verlobt hat. Geldsorgen dürfte das Paar fürs erste nicht haben. Da er juristisch für unschuldig befunden wurde, steht den ehemaligen Bundestagsabgeordneten ein Übergangsgeld von 130000 Euro zu. Ab dem 67. Lebensjahr erhält er als langjähriges Parlamentsmitglied eine üppige Pension.

Weitere unwürdige Momente rund ums „Hohe Haus“? Dafür ist es gar nicht nötig, nach perversem Fotomaterial oder verbotenem Drogenbesitz zu fahnden. In aller Öffentlichkeit spielte sich eine weitere dramatische Fehlleistung erst vor Kurzem ab. Am gleichen Tag, als Erika Steinbach sich den Hohn und Spott eines vollbesetzten Plenarsaals anhören musste, stand später die Verabschiedung des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes von Justizminister Heiko Maas (SPD) auf der Tagesordnung. Von den 630 Abgeordneten hielten es zu diesem Zeitpunkt nur noch rund 60 für nötig, anwesend zu sein. Dabei ging es um ein hochumstrittenes Vorhaben. Das NetzDG, so die Abkürzung, verpflichtet Betreiber von Internetplattformen wie Facebook dazu, „offensichtlich strafbare Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Andernfalls drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Quer durch alle politischen Lager ziehen sich die Warnungen vor dem „Zensurgesetz“, das am 1. Oktober in Kraft treten wird. Befürchtet wird eine Löschorgie, die vor allem regierungskritische Inhalte eliminiert. Für David Kaye, UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, gefährdet es die Menschenrechte. Bei einer Anhörung im Bundestag hielten fast alle Experten den Entwurf für verfassungswidrig.

Haben sich deswegen so viele Abgeordnete vor der Abstimmung gedrückt? Fraglich ist, ob der Bundestag mit 60 Abstimmungsberechtigten überhaupt handlungsfähig war. Immerhin verlangt Paragraf 45 der Geschäftsordnung, dass die Hälfte seiner Mitglieder anwesend sein muss, um beschlussfähig zu sein. Zwar heißt es einschränkend: „Wird die Beschlussfähigkeit nicht von einer Fraktion oder von anwesenden fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages bezweifelt, so wird die Beschlussfähigkeit vermutet.“ Aber hätte die Entscheidung über ein Gesetz von dieser Tragweite nicht eines vollen Plenarsaales bedurft? Ungerührt zog Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der sich doch sonst gerne als weißer Ritter der Demokratie stilisiert, das Verfahren trotzdem durch. Kritiker sprechen bei so etwas von Demokratie im Endstadium.