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22.09.17 / Ein Duft für gekrönte Häupter / 4711 – der Welterfolg wurde zum Nischenprodukt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-17 vom 22. September 2017

Ein Duft für gekrönte Häupter
4711 – der Welterfolg wurde zum Nischenprodukt
Klaus J. Groth

Die märchenhafte Geschichte der Firma 4711 begann vor 225 Jahre in der Glockengasse zu Köln und endete ganz prosaisch im Portfolio des Waschmittel- und Kosmetikmultis Procter & Gamble. Das einst meistgekaufte Duftwasser besetzt heute in den Regalen der Parfümerien nur noch eine Nische.

Was steckt drin? Bergamotte, Zitrone, Orange, Lavendel, Rosmarin und Neroli, soviel ist bekannt. Die genaue Rezeptur wird natürlich als Geheimsache behandelt, seitdem der Kölner Kaufmann Wilhelm Mülhens sein „aqua mirabilis“ zusammenmixte. Das Gerücht besagt, er habe sie zu seiner Hochzeit am 8. Oktober 1792 von dem Kapuzinermönch Franz Maria Karl Gereon Farina geschenkt bekommen als Dank, dass er den Gottesmann vor den Truppen Napoleons versteckt hatte. „Eau de Cologne“ wurde aber schon Jahre vorher in Köln produziert, am erfolgreichsten von einem Mann namens Franz Maria Farina, nicht der Mönch. Es muss damals viele Farinas (lateinisch, zu Deutsch Mehl) in und um Köln gegeben haben, denn, um die Konfusion perfekt zu machen, erwarb Mülhens von einem wieder anderen Farina das Recht, seinem Kölnisch Wasser die Bezeichnung „Original Farina“ zu geben. Daraus entwickelte sich eine Fehde zwischen den beiden erfolgreichsten Herstellern von Kölnisch Wasser, Farina gegenüber dem Jülichsplatz und 4711 in der Glockengasse, die von Generation zu Generation vererbt wurde.

Gekrönte und bedeutende Häupter liebten das belebende Elixier, das zunächst als Arznei verwendet wurde. Man trank es mit Wein gemischt oder inhalierte seine ätherischen Öle. Johann Wolfgang von Goethe hatte angeblich stets einige Taschentücher getränkt mit Eau de Cologne auf seinem Schreibtisch liegen. Napoleon orderte etliche Kisten des wohlriechenden Wässerchens, das er bei der Besetzung der Stadt Köln schätzengelernt hatte. Den Franzosen verdankt 4711 seinen Namen. Der Kommandant ordnete eine Nummerierung aller Häuser an. Im Kölner Adressbuch von 1797 ist „Wilh. Mülhens in der Klöckergasse 4711“ eingetragen. Mit Napoleon kam auch die entscheidende Wende in der Firmengeschichte. Ihm waren alle Geheimrezepturen für innerlich anzuwendende Mittel wie das aqua mirabilis sus-pekt. Er erließ ein Dekret, dass sie offengelegt werden mussten. Duftwässer fielen nicht darunter. Wilhelm Mülhens schlug dem Kaiser ein Schnäppchen. Er bot sein Produkt künftig nicht mehr zum Einnehmen, sondern zum Einparfümieren an.

Sein Sohn Peter Joseph machte 4711 zur Weltmarke. Er lieferte Kölnisch Wasser bis nach Indien, Japan und Indonesien. Die ursprünglich bauchige Form der Flasche fiel der Transportlogistik zum Opfer. Der Glasbläser Molanus entwickelte die bekannte sechseckige Flasche. Sie war leicht zu verpacken und zu stapeln. Die Rechtsstreitigkeiten mit dem Konkurrenten gingen weiter. Peter Joseph ließ trotzig „Franz Maria Farina in der Glokkengasse der Post gegenüber“ ins Handelsregister eintragen. Die vom Jülichsplatz zogen wieder vor Gericht, die von der Post konterten. Erst der Enkel des Firmengründers, Ferdinand Mülhens, musste sich geschlagen geben. Am 27. April 1881 untersagte das Königliche Oberlandesgericht zu Cöln der Firma in der Glockengasse, den Namen „Farina“ zu führen. Der Eintrag ins Handelsregister wurde dadurch nicht kürzer. Er lautete nun: „Eau de Cologne- und Parfümerie-Fabrik Glockengasse No. 4711 gegenüber der Pferdepost“. Zum ersten Mal tauchte die Hausnummer im Firmennamen auf.

Während die Kölner sich gegenseitig belauerten, hatte in Paris der Aufstieg Frankreichs zur Parfümnation begonnen. Der Chemiker Pierre-François Pascal Guerlain eröffnete 1828 im Erdgeschoss des Nobelhotels Meurice, Rue de Rivoli 42, eine Parfüm-Manufaktur. Er nannte die von ihm kreierten Düfte frech Eau de Cologne. Zur Hochzeit des Kaisers Napoleon III. mit Eugenie widmete er der Braut das „Eau de Cologne Impérial“. Guerlain wurde kaiserlicher Hof-lieferant. Kein Grund für Mülhens, neidisch nach Paris zu blicken. Er belieferte die Höfe des Schahs von Persien und des Zaren. Eine echte Konkurrenz waren die französischen Parfüms, die nun auf den Markt kamen, für 4711 noch lange nicht. Für die breite Masse waren sie viel zu teuer und zu anrüchig. Pariser Lebensart mit Cancan, tiefen Dekolletées und Chambres separées galt in der deutschen Provinz als Sündenpfuhl. Dazu passte, dass die französischen Parfümeure den Inhalt ihrer Flakons mit Bezeichnungen wie „orientalisch, verführerisch“ und sogar „animalisch“ bewarben. Den unschuldigen Duft von 4711 durften sogar junge Mädchen auftragen, ohne ins Gerede zu kommen. 

Das Unternehmen in der Glockengasse schwamm auch ohne „Farina“ weiter auf einer Welle des Erfolgs. Ferdinand Mülhens gründete Niederlassungen in den USA und in Russland. Die Fabrikation von Düften, Seife und Puder nahm solche Ausmaße an, dass der Platz in der Glockengasse nicht mehr ausreichte. Ein Teil wurde 1874 nach Köln-Ehrenfeld verlagert. Peter Paul Mülhens, der vierte Firmeninhaber, brachte 1921 einen neuen Duft auf den Markt: Tosca. Im selben Jahr lancierte Coco Chanel ihr legendäres Chanel No. 5. Beide Parfüms enthielten erstmals synthetische Duftstoffe. Peter Paul blieb mit Tosca und dem Herrenduft Sir der Firmenphilosophie seiner Väter treu. Keine Extravaganzen, sondern ein Produkt für den kleinen Geldbeutel.

Das Konzept bewährte sich bis in die 1960er Jahre. Noch einmal konnte sich 4711 im Glanz einer Krone sonnen. Der König von Jordanien ernannte die Firma Mülhens 1955 zum Hoflieferanten. Doch allmählich kam der Duft aus der Mode. 1994 verkaufte die Familie Mülhens ihr Unternehmen an die Wella AG, die wiederum von Procter & Gamble übernommen wurde. Deren Management hatte nicht lange Geduld mit der angestaubten Marke. Inzwischen gehören die Markenrechte Mäurer & Wirtz aus der Dalli-Werke GmbH & Co. KG. Zwei neue Düfte auf Basis des Klassikers, Nouveau Cologne und Acqua Colonia, sollen den Absatz beleben. Das 4711-Stammhaus und -Museum in der Glockengasse ist eine touristische Attraktion mit Tausenden Besuchern aus aller Welt.