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22.09.17 / Sein Tod erschütterte die Weimarer Republik / Der deutsche und jüdische Industrielle, Schriftsteller und liberale Politiker Walther Rathenau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-17 vom 22. September 2017

Sein Tod erschütterte die Weimarer Republik
Der deutsche und jüdische Industrielle, Schriftsteller und liberale Politiker Walther Rathenau
Dirk Klose

Es sind vor allem drei Dinge, die Walther Rathenau berühmt gemacht haben. Da ist zum Ersten die Organisation der deutschen Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg. Da ist zum Zweiten der Abschluss des Rapallovertrages mit dem jungen Sowjetstaat als Außenminister der Weimarer Republik. Und da ist zum dritten sein Tod durch ein Attentat.

Nach einem Essen mit dem US-amerikanischen Botschafter Alanson Houghton und Hugo Stinnes am Freitagabend hatte für den Außenminister eigentlich schon das Wochenende begonnen, aber da am Sonn-abendmorgen des 24. Juni 1922 im Ministerium eine Prüfung von Konsularsanwärtern angesetzt war, fuhr Walther Rathenau doch zum Dienst. Er fuhr im offenen Cabrio und ohne Polizeischutz. Kurz vor einer Kreuzung, als der Wagen abbremste, überholte ihn ein anderes Fahrzeug. Aus ihm feuerten zwei Angehörige der nationalistisch ausgerichteten und antisemitisch gesinnten Untergrundorganisation drei Schüsse auf Rathenau ab und schleuderten eine Handgranate in den offenen Wagen des Ministers. Wenig später erlag Rathenau seinen Verletzungen. 

Das Attentat löste eine ungeheure Erregung aus. Es kam zu Massendemonstrationen und Streiks. In Berlin legten die Verkehrsbetriebe am Tag der Beisetzung die Arbeit nieder. Nur die 

S-Bahn fuhr – mit dem tragischen Ergebnis, dass bei einem Unfall der völlig überfüllten Züge, an deren Außenleisten Massen von Passagieren hingen, 45 Menschen zu Tode kamen.

Mit Rathenau verlor die junge Republik einen ihrer fähigsten Politiker. Der vor 150 Jahren, am 29. September 1867, in Berlin geborene Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau war ein Mulitalent ganz eigener Art. Er war Physiker, Techniker, Erfinder, Literat und Philosoph, Manager und am Ende Politiker, der sich im Verlauf des Ersten Weltkrieges vom Falken zu einem Verständigungspolitiker gemausert hatte und darum mehr und mehr Zielscheibe abgrundtiefen Hasses in nationalistischen Kreisen geworden war. 

Rathenau hatte Physik und Chemie, Maschinenbau und Philosophie studiert und wollte eigentlich einen schöngeistigen Beruf ergreifen. Am Ende gab er dem Drängen des Vaters nach und trat in die Leitung des AEG-Konzerns ein. Bei Besuchen in den USA traf er Thomas Edison, den Pionier bei der Entdeckung und Nutzung der Elektrizität. Er handelte wichtige Patente für Deutschland und Europa aus. 1883 wurde in Berlin die „Deutsche Edison-Gesellschaft“ gegründet, die vier Jahre später in „Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft“ (AEG) umbenannt wurde und die teils in Konkurrenz, teils in Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Siemens-Konzern bald ein Weltkonzern wurde. 

Rathenau stieg rasch in die Konzernspitze auf. 1915 wurde er Präsident der AEG, bei Kriegsausbruch saß er im Aufsichtsrat von mehr als 80 deutschen und ausländischen Unternehmen. Durch sein außerordentliches Organisationsgeschick, durch Fusionen, Zukäufe und Kartellbildungen wurde die AEG so etwas wie ein erster Weltkonzern in Deutschland, ähnlich wie in der Montanindustrie Krupp, Thyssen und Stinnes. 

Aber Rathenau war eben mehr als nur Unternehmer. So wie Fried-rich der Große der „Philosoph auf dem Thron“ war, so war er ein Literat auf dem Chefsessel. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter die damals aufsehenerregenden Bände „Zur Kritik der Zeit“ (1912), „Zur Mechanik des Geistes“ (1913) und – vielleicht am bedeutendsten – „Von kommenden Dingen“ im Kriegsjahr 1917. In Anlehnung an die damals vieldiskutierte Lebensphilosophie eines Wilhelm Dilthey oder Henri Bergson schrieb er, nicht materielle Dinge bestimmten Leben und Schicksal der Menschen, sondern ideelle, geistige Dinge und Prinzipien. Der Geist bewegt den Lauf der Geschichte und prägt das Schicksal der Menschen, nicht, wie Karl Marx behauptete, das Sein, die Produktivkräfte. 

Die oft mit etwas Pathos geschriebenen Bücher waren zu seiner Zeit Bestseller. Heute kann man in ihnen Dokumente einer suchenden, ihrer Fundamente unsicher gewordenen Gesellschaft sehen. Vor allem ein Satz wurde zum Schlagwort: „Nicht Politik ist unser Schicksal, sondern die Wirtschaft.“ Damit stellte er eine lange Tradition abendländischen Denkens infrage. Er schrieb dies aus intimer Kenntnis weltwirtschaftlicher Zusammenhänge, die eben, wie er meinte, auch alles politische Handeln bestimmen. 

Der überragende Denker und Manager landete in der Politik. Bei Kriegsausbruch hatte er warnend darauf hingewiesen, dass Deutschlands wirtschaftliche Ressourcen einen längeren Krieg kaum aushalten würden. So bestimmte ihn die Oberste Heeresleitung noch 1914 zum Leiter einer neugeschaffenenen Kriegsrohstoffabteilung. Zur selben Zeit, als dem Chemiker Fritz Haber die künstliche Erzeugung von Schießpulver gelang, wodurch die Soldaten im Feld überhaupt weiter schießen konnten, weil der aus Chile importierte Salpeter schon Ende 1914 zur Neige ging, erreichte Rathenau durch eine virtuose Umorganisation der Industrie von einer Friedens- zur Kriegswirtschaft, dass das Kaiserreich materiell überhaupt bis 1918 durchhielt. 

Trotzdem geriet Rathenau nach Kriegsende ins Visier der ultrakonservativen Rechten. Er galt als Demokrat und Erfüllungspolitiker und war deswegen und ohnehin als Jude gleichermaßen verhasst. Rathenau gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 1921 wurde er Wiederaufbauminister, ein Jahr später übernahm er im Kabinett Wirth das Außenministerium. Hier suchte er Verständigung sowohl nach Westen wie nach Osten. Sein spektakulärster Coup war der am 14. April 1922 ausgehandelte Vertrag von Rapallo mit der bis dahin in ganz Europa verfemten Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der gegenseitigen Reparationsverzicht, umfangreiche Wirtschaftshilfe und politische Zusammenarbeit vorsah. Der Vertrag schlug in Europa wie eine Bombe ein, die Siegermächte tobten. Das „Gespenst von Rapallo“ geisterte noch in der alten Bundesrepublik bei Annäherungen an die UdSSR durch alle Medien.

Doch auch diese kühne politische Tat minderte nicht den Hass auf ihn. Im Sommer 1921 war bereits Finanzminister Matthias Erzberger ermordet worden, und über Rathenau kursierte unter der Rechten das Spottlied „Knallt ab den Rathenau, die gottverdammte Judensau“. Das Attentat vom Juni 1922 in der Königsallee im Berliner Grunewald kam dann fast zwangsläufig. In Deutschland, so hatte er schon während des Krieges geschrieben, „wählte der Patriotismus die aggressive Form. Die Liebe zum Heimischen kleidete sich stets in den Hass gegen Fremdes.“