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22.09.17 / »Solches Wüten, soviel Hass« / Wie ticken die Deutschen? 50 Tiefeninterviews brachten Düsteres ans Licht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-17 vom 22. September 2017

»Solches Wüten, soviel Hass«
Wie ticken die Deutschen? 50 Tiefeninterviews brachten Düsteres ans Licht
Wolfgang Kaufmann

Meinungsforschung vor Wahlen besteht in der Regel darin, dass die Leute gefragt werden, bei welcher Partei sie denn nun ihr Kreuzchen machen wollen. Anders verhält es sich hingegen mit den Tiefeninterviews, wie sie jetzt das Markt- und Medienforschungs-Institut Rheingold des renommierten Psychologen Stephan Grünewald durchgeführt hat. Diese sind zwar nicht unbedingt repräsentativ, weil nur 50 potenzielle Wähler zu Wort kamen, zeigen aber viel deutlicher, was den Menschen momentan auf den Nägeln brennt, und welche Themen die Bundestagswahl am 24. September entscheiden dürften – egal, worüber das eingespielte Kartell aus Medien und Politik nun dröhnend zu schweigen versucht.

Dabei mussten die Experten von Rheingold feststellen, dass die Befragten vor allem über eines reden wollten: „Flüchtlingskrise, Flüchtlingskrise, Flüchtlingskrise. Was im Wahlkampf so galant ausgespart wird, ist bei den Wählern immer noch ein wunder Punkt“, so Grünewald. Das resultiere aus der fehlenden klaren Linie seitens der Politik, für die zuvörderst Kanzlerin Merkel die Verantwortung trage. Gleichzeitig sei sie aber in den Augen vieler Leute die einzige, der man zutraue, das Trio Trump, Putin und Erdogan zu bändigen.

Ansonsten trafen die Rheingold-Mitarbeiter angeblich auf jede Menge Aggression unter den Befragten, wie Grünewald in diversen Interviews mit großen Blättern wie dem „Spiegel“ und der „Zeit“ besonders herausstrich: „Ich habe solches Toben und Wüten, so viel Hass unter den Probanden noch nie erlebt.“ 

Dabei liegt der Psychologe sicher richtig, wenn er den Ärger der Leute auf die Schönfärberei seitens der Großkoalitionäre sowie galoppierende Ängste angesichts von Kriminalität und Terror zurückführt. Auffällig nur, dass Grünewald zugleich jedweden Hinweis auf die Furcht vor dem Islam vermeidet. Was als weiterer Beleg dafür gelten kann, wie stark unsere Gesellschaft bereits an Denk- und Sprechverboten laboriert.

Aus den Interviews leitet der Rheingold-Chef dann seine Prognose für den 24. September ab: „Der SPD droht bei dieser Wahl ein Desaster“, denn der „liebe Onkel“ Martin Schulz, der „endlich die Vätervakanz in der deutschen Politik ausfüllt“, werde an der überzogenen Erwartungshaltung ihm gegenüber scheitern. Des Weiteren sei der Wiedereinzug der Grünen in den Bundestag „eine knappe Nummer“. Das liege am Hang der Öko-Partei zur Bevormundung sowie zum Aufgreifen von Themen, die nur relativ wenigen Menschen Kopfzerbrechen bereiten.

Ebenso skeptisch sieht Grünewald die Chancen der AfD: Da gebe es eine „Selbstbremsung der Wähler“. Viele hätten Angst, zu radikal abzustimmen, weil dann die Polarisierung der Gesellschaft fortschreite, welche angesichts der Bedrohungen von außen als gefährlich angesehen werde. Schließlich gelte es, den immer noch reichlich vorhandenen Wohlstand zu sichern.

Deshalb kamen die 50 Probanden dann zu dem relativ einmütigen Schluss, dass es nur eine wünschenswerte politische Konstellation gebe: „Merkel mit Lindner“. Der smarte FDPler, welcher wie „ein kleiner deutscher Macron“ daherkomme, sei der große Hoffnungsträger 2017. Daher lautet Grünewalds Prognose: „schwarz-gelber Wahlsieg“.

Und vielleicht kommt der ja tatsächlich auch – hierüber wissen wir auf jeden Fall bald Genaueres. Anders sieht es hingegen mit Antworten auf die brisante und von Grünewald nicht gestellte Frage aus, was eigentlich mit der Wut all derer geschieht, welche mit geballter Faust in der Tasche ein weiteres Mal für die etablierten Parteien stimmen. Die Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von kognitiver Dissonanz. Sie meinen den unangenehmen Gefühlszustand, in dem ein Mensch zwischen widerstreitenden Emotionen, Gedanken und Wahrnehmungen hin- und hergerissen ist. Für den Wähler, der sich wider besseren Wissens gezwungen sieht, den etablierten Parteien zu folgen, sind letztlich vor allem drei Szenarien denkbar: Zum Ersten kann die kognitive Dissonanz angesichts des Auseinanderklaffens zwischen Realität und Wunschvorstellung durch eine zunehmende Ignoranz gegenüber der unbequemen Wirklichkeit aufgelöst werden. So entstünden dann zusätzliche Gruppen von Nichtwählern, die entrückt im selbstgebastelten Wolkenkuckucksheim schweben. Zum Zweiten führt die Unterdrückung von Wut zu Schäden am eigenen Ego, denn sie verursacht Scham und Ohnmachtsgefühle. Insofern ist der „Wutbürger“, der drängende Emotionen nicht auslebt und keine wirklich systemkritischen Parteien wählt, eigentlich ein leicht zu regierender Bürger. Und zum Dritten kann die momentan noch kanalisierte „kalte“ Empörung unversehens in „heiße“ Wut umschlagen, wenn die Betreffenden erkennen, dass ihre mühsame Selbstzügelung erneut für die Katz war. Dann dürften die „Schreihälse“ von AfD, Pegida und Co zu den eher marginalen Problemen der Regierenden in Berlin gehören.