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29.09.17 / Moskau buhlt um Experten / Sonderprogramme sollen ausgewanderte Wissenschaftler anlocken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-17 vom 29. September 2017

Moskau buhlt um Experten
Sonderprogramme sollen ausgewanderte Wissenschaftler anlocken
Manuela Rosenthal-Kappi

Seit dem Ende der Sowjet-union hat Russland einen enormen „Brain Drain“ (Abzug von Spezialisten) erlitten. Von bis zu einer Million Wissenschaftlern ist die Rede, die ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben sollen, um im Westen eine bessere Zukunft zu finden. Vor allem Physiker und Mathematiker wanderten scharenweise aus. Russische Experten gehen allerdings davon aus, dass eine Zahl von 100000 bis 200000 realistischer ist. Um den Rückstand in Forschung und Lehre aufzuholen, unternimmt die russische Regierung Anstrengungen, die Spezialisten zurückzuholen. 

Seit 2010 gibt es ein Regierungsprogramm, das Rückkehrwilligen großzügige Anreize bietet, Forschungsprojekte zu leiten. Der  Wissenschaftler erhält umgerechnet 1,3 Millionen Euro, mit denen er innerhalb von drei Jahren Ausrüstung anschaffen und Mitarbeiter für seine Forschung suchen kann. Ist das Projekt erfolgreich, kann er auf weitere Gelder hoffen. 

In den nächsten fünf Jahren will man so etwa zehn- bis 20000 Wissenschaftler, die seit den 90er Jahren Russland verlassen haben, zurückholen. Gesicherte Angaben über Zahlen und Wege der ehemaligen russischen Experten gibt es nicht, aber man weiß, dass die meisten der russischstämmigen Wissenschaftler in den USA leben, gefolgt von Deutschland und Großbritannien. Die Abwanderung von Fachkräften betraf alle Bereiche der russischen Wissenschaft. 

In den vergangenen zehn Jahren kehrten etwa 1500 Experten nach Russland zurück, um zu bleiben. Für ein Land der Größenordnung Russlands ist das zu wenig, weshalb die Regierung aktiv wurde. Wer, wie der Erforscher neuer Materialen im IT-Bereich und kristalliner Strukturen, Artjom Oganow, nach Russland zurückkehrt, kann mit guten Arbeitsbedingungen rechnen. Oganow kehrte 2015 aus den USA zurück und leitet heute Forschungseinrichtungen in drei Ländern: in den USA, Russland und China. 

Moskau beabsichtigt, Weltklasse-Forschungsstätten zu gründen und führende Wissenschaftler an russische Akademien zu locken. Dafür sollen an Universitäten Weltklasse-Labors eingerichtet werden, die von russischen Wissenschaftlern, die im Ausland geforscht haben, geleitet werden. 200 solcher Laboratorien auf Weltklasseniveau wurden bereits geschaffen. Ein Grund dafür, dass bislang nur eine geringe Zahl von Wissenschaftlern Interesse an den Regierungsprogrammen zeigt, ist die schlechte Bezahlung und ein tiefes Misstrauen aufgrund mangelnder Stabilität und Verlässlichkeit in Russland. Ein Professor an der Moskauer Staatsuniversität hat ein Grundgehalt von 470 Euro im Monat. Das lockt niemanden, wenn er anderswo das 20-fache verdienen kann. 

Als vertrauensbildende Maßnahme dient daher die zeitliche Begrenzung der Arbeit in den Regierungsprogrammen. Moskaus Kalkül: Eine gute finanzielle Ausstattung und die Gründung eigener Forschungseinrichtungen, gepaart mit der Verfügbarkeit gut ausgebildeter, kreativer und hoch motivierter Mitarbeiter könnten die Wissenschaftler dazu bewegen, ständig zu bleiben. Doch noch glauben die meisten Wissenschaftler nicht an eine Zukunft in Russland. Die eingeräumten Privilegien könnten ihnen zu leicht wieder entzogen werden.