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29.09.17 / »Ich will auf den Mond« / Vor 75 Jahren stieß der Mensch mit der deutschen Rakete A4 zum ersten Mal ins All vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-17 vom 29. September 2017

»Ich will auf den Mond«
Vor 75 Jahren stieß der Mensch mit der deutschen Rakete A4 zum ersten Mal ins All vor
Jan Heitmann

„Houston, hier ist Tranquility Base. Der Adler ist gelandet.“ Es war der 21. Juli 1969. Als Wernher von Braun die Worte des US-Astronauten Neil Armstrong hörte, mit denen dieser einer erregten Menschheit mitteilte, dass zum ersten Male ein Mensch seinen Fuß auf einen anderen Himmelskörper gesetzt hatte, wusste er, dass er sein Lebensziel erreicht hatte. Er war am Ende eines Weges angekommen, den zu beschreiten er 40 Jahre zuvor in Deutschland begonnen hatte.

In den frühen 20er Jahren begannen mehrere junge Wissenschaftler in Deutschland, sich für die Anwendung der Rakete als Weltraumfahrzeug zu interessieren. Einer von ihnen war der 1912 geborene von Braun, damals noch Student der Mechanik. In Kummersdorf, etwa 25 Kilometer südlich von Berlin, expe­rimentierte das Heereswaffenamt unter der Leitung von Hauptmann Walter Dornberger, einem erfahrenen Artilleristen und Maschinenbauingenieur, mit Raketenmotoren. Die ersten dort erzielten Erfolge führten zu einem Aufschwung des Raketenprojektes. Im Frühjahr 1936 war ein Standort für das künftige deutsche Raketenforschungszentrum gefunden: der kleine und abgeschiedene Ort Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom.

Die erste Aufgabe der als Heeresversuchsanstalt bezeichneten Anlage war es, die nächste Generation von Flüssigraketen zu entwickeln. Nach vielen Fehlstarts und Abstürzen plante das Heer 1938 den Bau einer Langstreckenrakete, die mindestens 300 Kilometer weit fliegen sollte: das „Agg­regat 4“, kurz A4. Bei Kriegsbeginn billigte die Wehrmacht dem A4-Projekt die höchste Dringlichkeitsstufe zu. Der mit einer Arbeit über Flüssigraketen promovierte Ingenieur von Braun wurde ziviler Technischer Direktor in Peenemünde. Von diesem Zeitpunkt an war die Heeresversuchsanstalt das modernste und am weitesten entwickelte Raketenforschungszentrum der Welt. Im Frühjahr 1940 arbeiteten hier mehr als 18000 Mitarbeiter bei Tag und Nacht an der Entwicklung der A4. Auf die geplante Verwendung der von ihnen entwickelten Flugkörper hatten die Raketenforscher indes keinen Einfluss.

Nach vielen Schwierigkeiten und Fehlschlägen kam der 3. Oktober 1942. An diesem Tag musste es gelingen. Und tatsächlich wurde er zum Tag des großen Triumphes. Die Rakete stieg unaufhaltsam in den Himmel, um sich nach Erreichen einer Höhe von 84 Kilometern wieder der Erde zuzuwenden und mit Überschallgeschwindigkeit den Blicken zu entschwinden. Dieser erfolgreiche Raketenflug brachte den Durchbruch. Erstmals hatte der Mensch den Weltraum erobert und ihn als Brücke zwischen zwei Punkten auf der Erde genutzt. Dies war der Beginn eines neuen Zeitalters der Verkehrstechnik, der Beginn der Raumfahrt. Wernher von Braun gab das Ziel vor: „Ich will nicht nach London, ich will auf den Mond.“

Die politische und militärische Führung aber war weit mehr an einer militärischen Nutzung der Rakete als an ihrer Bedeutung für die Raumfahrt interessiert. So wurde die A4 zu einem Prototypen einer großen Fernrakete mit Gefechtskopf, die im Sprachgebrauch der deutschen Propaganda als „Vergeltungswaffe 2“ – V2 –bezeichnet wurde. Ende 1943 wurden die Vorgaben für die Raketenproduktion beträchtlich erhöht. Obwohl die Fertigung ausschließlich in unterirdischen Fertigungsanlagen im Harz erfolgte, sollten von nun an monatlich 2000 Raketen produziert werden. Diese Anzahl wurde trotz des mörderischen Einsatzes eines riesigen Zwangsarbeiterheeres nie erreicht. Insgesamt konnten zwischen Januar 1944 und März 1945 nur 6000 Raketen geliefert werden. Ab August 1944 erreichte der Ausstoß mit 600 Raketen monatlich seinen Höchststand.

Ein Rüstungsvorhaben der geschilderten Dimension führte schon bald zu Begehrlichkeiten seitens der SS. Dem zwischenzeitlich zum Generalmajor und Leiter der Heeresversuchsanstalt avancierten Dornberger war es lange Zeit gelungen, die Partei und ihre Gliederungen aus dem Raketenprogramm herauszuhalten. Im Februar 1944 unternahm Himmler den vergeblichen Versuch, von Braun abzuwerben und zur Fortsetzung seiner Arbeit unter der Federführung der SS zu bewegen. Drei Wochen später wurden von Braun und einige seiner Kollegen für mehrere Tage von der Gestapo festgesetzt und beschuldigt, sich mehr für die Weltraumfahrt als für die Entwicklung einer Waffe zu interessieren, was durchaus zutreffend war. In dem nun folgenden Machtkampf zeichnete sich schnell eine Niederlage der Raketenforscher und des Heeres ab. Schließlich erhielt die SS die vollständige Kontrolle über das gesamte Raketenprojekt.

Am frühen Abend des 8. September 1944 erschütterten ein unheimliches Donnern und eine schwere Explosion die westlichen Stadtteile Londons. Die Einwohner der Stadt hatten sich an deutsche Bomben und die „fliegende Bombe“ V1 gewöhnt. Diesmal hatten sie aber weder die Luftschutzsirenen noch die Motoren deutscher Bombenflugzeuge oder das charakteristische Geräusch des Triebwerkes einer V1 gehört. Dieser erste Einschlag einer V2 bedeutete eine Zäsur in der Kriegsgeschichte, den Beginn der deutschen Raketenoffensive. Bis Kriegsende wurden etwa 2500 Raketen gegen London und Antwerpen abgefeuert.

Im Februar 1945 verließen 500 Raketenforscher Peenemünde und ergaben sich schließlich im April in Bayern den US-Truppen. Die erkannten sofort, welche enormen wissenschaftlichen Fähigkeiten und Erfahrungen ihre Gefangenen besaßen und welche unschätzbar wertvolle Kriegsbeute ihnen in den Harzer „Mittelwerken“ in die Hände gefallen war. Von Braun und seine Kollegen erhielten das Angebot, ihre Arbeiten in den USA fortzusetzen. Da nur wenige das Angebot ablehnten, aus dem kriegszerstörten Deutschland ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ überzusiedeln, traten 492 Wissenschaftler die Reise über den Atlantik an.

Für mehr als 20 Jahre bildeten die deutschen Wissenschaftler das Rückgrat der US-amerikanischen Raketenforschung. Schon 1946 stellten sie mit einer von dem Testgelände in White Sands gestarteten V2 einen Höhenrekord von 122 Kilometern auf. Nur 23 Jahre später hatte von Braun sein Lebensziel erreicht: Die von ihm entwickelte „Saturn V“ brachte den ersten Menschen auf den Mond. Die Wissenschaftler in Peenemünde hatten den Weg zur modernen Weltraumtechnologie geebnet, und alle Nachkriegs­projekte ob in West oder Ost bauten in der einen oder anderen Weise auf dem auf, was in Peenemünde erdacht und erprobt worden war. So ist die A4 der direkte Vorgänger aller bedeutenden Raketen und Raumfahrzeuge späterer Jahrzehnte.

(siehe Kommentar S. 8)