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29.09.17 / Die zwei Leben des Willy Brandt / Aufstieg und Sturz eines zeitlebens umstrittenen Politikers

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-17 vom 29. September 2017

Die zwei Leben des Willy Brandt
Aufstieg und Sturz eines zeitlebens umstrittenen Politikers
Klaus J. Groth

Frahm, immer wieder Frahm. Frahm war der Geburtsname Willy Brandts. Wer ihm etwas ans Zeug flicken wollte, der betonte, dass der Name erst später zugelegt wurde. Selbst Konrad Adenauer stichelte gerne „Brandt alias Frahm“. Vor 25 Jahren, am 8. Oktober 1992, starb der Träger des Friedensnobelpreises. 

Die Maierstraße gehört nicht zu den feinen Adressen in Lübeck. Dort, nahe dem Bahnhof, kam am 18. Dezember 1913 Herbert Ernst Karl Frahm zur Welt. Seine ledige Mutter verschwieg den Namen des Vaters, des Lehrers John Möller aus Hamburg. Er hatte kurz in Lübeck unterrichtet. Der Sohn erfuhr erst 1947, wer sein Vater war. Die Mutter Martha Frahm arbeitete im Konsumverein. Von ihr sprach Brandt als „die Frau, die meine Mutter war“. Herzlich war das Verhältnis nur zu seinem Stiefgroßvater Ludwig Frahm. Gefördert durch einen Lehrer und unterstützt durch den Stiefgroßvater, besuchte Herbert Frahm ein Gymnasium, „wo ein zweiter Arbeiterjunge nicht zu finden war“.

Herbert Frahm wuchs in „der geschlossenen Welt der Arbeiterkultur“ auf. Er schloss sich der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) an und arbeitete für den „Lübecker Volksboten“, dessen Chefredakteur der Reichstagsabgeordnete Julius Leber war. Frahm trat der SPD bei, zerstritt sich 1931 mit Leber und wechselte als Gründungsmitglied in Lübeck zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), deren Position zwischen SPD und KPD lag. In dieser Zeit nannte er sich erstmals Willy Brandt. Unter diesem Kampfnamen wurde er später der Welt bekannt. Es wird vermutet, dass sich der junge Herbert Frahm diesen Namen nicht nur zur Tarnung zulegte. Er selbst hat einmal gesagt, er habe einen Namen gesucht, der ihn befreie von der tristen Geschichte seiner „unbehausten“ Jugend. 

Als die Nationalsozialisten 1933 die SAPD verboten, beschloss die Partei, im Untergrund zu arbeiten. Sie beauftragte Willy Brandt, die Flucht eines Mitglieds aus dem Führungskader vorzubereiten. Der Mann wurde jedoch festgenommen. Brandt beschloss, dessen Aufgabe zu übernehmen und in Oslo eine Zelle der SAPD aufzubauen. Im April 1933 setzte er sich von Travemünde mit dem Kutter TRA 10 Richtung Dänemark ab, im Gepäck 100 Mark vom Stiefgroßvater und den ersten Band „Das Kapital“ von Karl Marx. 

In Oslo leitete Brandt die Zentrale der SAPD. Das war die Zeit, in der Briefe mit unsichtbarer Tinte geschrieben und Flugblätter in Koffern mit doppeltem Boden ins Reich geschmuggelt wurden. Unter dem Namen Gunnar Gaasland reiste Brandt 1936 nach Deutschland, um den Widerstand vor Ort zu organisieren. Den Namen hatte er vom Ehemann einer Jugendfreundin geborgt. Nach der Besetzung Norwegens geriet Brandt in Gefangenschaft. Er wurde nicht enttarnt, da er eine norwegische Uniform trug.

Das erste Leben Willy Brandts endete, als er als Korrespondent 1945 nach Deutschland zurück­kehrte. Die Jahre davor machte man Brandt häufig zum Vorwurf. Franz Josef Strauß höhnte: „Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“ 

1948 wurde der Norweger Brandt wiedereingebürgert. Sein zweites Leben begann mit dem Namen Willy Brandt. Ab 1949 saß er als Berliner Angeordneter bis 1957 im Bundestag. In jenem Jahr wurde er Regierender Bürgermeister von Berlin. Gegen den Widerstand aus der eigenen Partei, für die seine Namensänderung ebenso ein Makel war wie die ihm nachgesagte Beteiligung an den kommunistischen Interbrigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Zweimal wurde Brandt wiedergewählt, 1958 und 1963. Es waren die heißen Jahre des Kalten Krieges, in denen der ungarische Volksaufstand niedergeschlagen und die Mauer gebaut wurde. 

Brandts Haltung während der Krisen schärfte sein Profil. 1961 trat er als Spitzenkandidat der SPD gegen Konrad Adenauer bei der Wahl zum Bundeskanzler an. Das Ergebnis reichte nicht. 1964 wurde Brandt Parteivorsitzender. Zwei Jahre später gelang der Wechsel von Berlin nach Bonn. In der Regierung Kiesinger übernahm Brandt das Außenministerium. Schließlich wurde er nach der Bundestagswahl 1969 selbst Bundeskanzler. Die von ihm geführte sozialliberale Koalition prägte er mit Schlagworten und Zeichen: „Mehr Demokratie wagen“, die „Neue Ostpolitik“, die durch „Wandel durch Annäherung“ die Fronten des Kalten Krieges aufweichen sollte, die Einladung an die Außerparlamentarische Opposition (APO) zum „Marsch durch die Institutionen“, der Extremistenbeschluss, der Kniefall am Mahnmal des Ghetto-Aufstandes in Warschau.

Mit der Unterzeichnung der Ostverträge mit der Sowjetunion und Polen erkannte die Bundesrepublik 1970 die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens faktisch, wenn auch nicht de jure an. Diese Verträge hatte Brandt gegen den vergeblichen Widerstand der Christdemokraten durchgesetzt. Er wurde dafür 1971 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt. Mit dem Grundlagenvertrag mit der DDR gab die Bundesrepublik 1972 den Alleinvertretungsanspruch auf. Die DDR erhielt eine abgestufte staatsrechtliche Anerkennung und galt somit als souverän. Welches Interesse die DDR hatte, Brandt im Amt zu halten, zeigte sich, als die CDU/CSU-Fraktion 1972 versuchte, Brandt über ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen. Das scheiterte an zwei fehlenden Stimmen aus dem eigenen Lager. Die Stasi hatte zwei Abgeordnete für jeweils 

50000 D-Mark gekauft.

Die Stasi war es aber auch, über die Brandt letztendlich stürzte. Seine Schwächen – Alkohol und Frauen – waren landläufig bekannt. In einem Geheimdossier listete das Bundeskriminalamt auf, welche erotischen „Zuführungen“ wann und wo stattgefunden hatten. In dem amtlichen Papier war nachzulesen, welche Damen dem Kanzler außerhalb des Ehebetts zu Diensten gewesen waren. Der Referent des Kanzlers, der die Damen auf den letzten Metern „zuführte“, war der enttarnte DDR-Spion Günter Guillaume. Brandt hatte dessen spezielle Dienste noch lange in Anspruch genommen, als der Hauptmann der Nationalen Volksarmee bereits verdächtigt wurde. Am 6. Mai 1974 musste Willy Brandt vom Amt des Bundeskanzlers zurücktreten.