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29.09.17 / Kleckse für die Ewigkeit / Tätowierungen? Muss man tolerieren oder man lacht darüber

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-17 vom 29. September 2017

Kleckse für die Ewigkeit
Tätowierungen? Muss man tolerieren oder man lacht darüber
Burkhard Voß

Steve McQueen lässt sich im Gefängnisfilm „Papillon“ von 1973 als Häftling einen Schmetterling (franz. papillon) auf die Brust tätowieren. Dieses Tattoo ist Symbol für seinen Freiheitsdrang. Das Farbmuster der Flügel gleicht einem Spinnennetz, in dem die Farben eines Regenbogens plötzlich geronnen sind. Wie bei Naturvölkern sind auch hier die wesentlichen Merkmale eines Tattoos Symbolik und Ästhetik. 

Insbesondere Letzteres kann man von den heutigen Kreationen, die dauerhaft auf nackter Haut verewigt werden, eher nicht behaupten. Das ist vorprogrammiert. Denn bei solchen Entwick-lungen, die sich geradezu epediemieartig ausbreiten, wird Kunst rasch durch Künstlichkeit ersetzt. Jeder ist seines Glückes Schmied, und so sieht es dann auch manchmal aus, das Glück, mit einem Form- und Farbspektakel höchst körperlicher Natur durch den Rest seines Lebens zu laufen. So gleicht manches Armtattoo täuschend echt einer wellenförmig abgeschnittenen Gurkenschale. Der Homo dermatopiktologikus behält die zurechtgedrechselte Gurkenschale ein Leben lang. Eine Entfernung ist zwar grundsätzlich möglich, aber das Ausmaß von technischem Know-how, Zeit und Geld ist nicht ganz unerheblich. In der Jahre bis Jahrzehnte währenden Zwischenzeit können sich Makrophagen, also Fresszellen der körpereigenen Immunabwehr, an dem Fremdstoff so richtig schön abarbeiten – bis hin zu Kreuzallergien. Eventuell besteht sogar ein erhöhtes Krebsrisiko.

Überlegungen dieser Art sind natürlich „voll normalo“ und spießig. Die Ironie an der Sache ist nur, dass es die Tattoo-Aspiranten sind, die eine lebenslange 

Liaison mit der Selbststigmatisierung eingehen. Diese muss man tolerieren, zum Kotzen finden darf man sie trotzdem.

Oder ist mir etwas Bedeutsames entgangen? Bücher zum Thema lassen sich über die psychosoziale Bedeutung von Tattoos und Piercings aus. Von Rebellion gegen kulturelle Schönheitsauffassungen ist die Rede oder vom heroischen Aushalten des Schmerzes als Preis für die narzisstische Vollendung. Mag alles sein. Solch tiefsinnige Bedeutungen werden wahrscheinlich deswegen vermutet, weil es in der grellen Tattoo- und Piercing-Szene sonst an Bedeutsamem fehlt. Tattoos in dieser Hochkonjunktur und auf immer größeren Hautarealen sind subkutane Klecksografie der ästhetisch Verwirrten. Aber da wir Zeiten entgegen gehen, in denen es normal ist, dass so gut wie nichts mehr normal ist, ist dies wiederum völlig normal. 

Doch auch Tätowierte altern. So wird in nicht allzu ferner Zukunft die entscheidende morgendliche Frage in deutschen Altenheimen lauten: Welche Pampers passt zu welchem Steißgeweih? 

Der Autor ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Krefeld. Sein neues Buch „Albtraum Grenzenlosigkeit – vom Urknall bis zur Flüchtlingskrise” (Solibro Verlag, Münster 2017, broschiert, 160 Seiten, 16,80 Euro) erscheint am 

3. Oktober. Der Gefängnisarzt und Schauspieler Joe Bausch („Tatort“) hat das Vorwort geschrieben.