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06.10.17 / Über die Wupper / Einst die größte Stahlbogenkonstruktion Deutschlands, heute ein begehrtes Ausflugsziel: die Müngstener Brücke

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-17 vom 06. Oktober 2017

Über die Wupper
Einst die größte Stahlbogenkonstruktion Deutschlands, heute ein begehrtes Ausflugsziel: die Müngstener Brücke
Andreas Rüdig

Kaiser Wilhelm I. machte sich rar, als vor 120 Jahren im Bergischen Land eine nach ihm benannte Brücke eingeweiht wurde. Heute heißt sie Müngstener Brücke und gilt als technisches Wunderwerk.

Die mit 107 Metern Höhe bis heute höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands verbindet Solingen mit Remscheid. Die Müngstener Brücke gilt nicht nur als technisches Meisterwerk, sondern auch als Pionierleistung der Inge­nieurs­kunst. Ihre Stahlbogenkonstruktion hatte die größte Spannweite zuzeiten des Deutschen Reiches. Die Brücke trug wesentlich zur wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung des im Bergischen Land liegenden Städtedreiecks Solingen – Wuppertal – Remscheid bei.

Dies ist mit in den geologischen Gegebenheiten vor Ort begründet. Wer vor dem Bau der Brücke von Solingen nach Remscheid fahren wollte, musste einen Um­weg von 44 Kilometern hinnehmen, obwohl beide Städte nur acht Kilometer Luftlinie voneinander entfernt sind. Die Müngstener Brücke ist eine der ganz wenigen noch im Original erhaltenen Großbrücken in Deutschland aus der Phase der Zweiten Industriellen Revolution Ende des 19. Jahrhunderts. Erst sie ermöglichte es, beide Städte problemlos zu erreichen.

Für beide Städte war dies auch wirtschaftlich wichtig. Solingen war ein Zentrum der Schneidwarenindustrie, während die Werkzeug- und Maschinenproduktion in Remscheid vorherrschend war. Das Tal bei Müngsten war jahrhundertelang ein Zentrum der bergischen Kleineisenindustrie. Der Name des Ortes wird von den Historikern auf die Schwertschmiedefamilie Müngsten zu­rückgeführt. So war der Schwertschmied Peter Müngsten 1597 Bürgermeister von Solingen. Auch die Familien Hasenclever sowie Krupp von Bohlen und Halbach waren hier mit Produktionsstätten vertreten.

Im benachbarten Morsbachtal war die Nutzung der Wasserkraft noch vorherrschender. Im späten 17. Jahrhundert gab es hier schon 28 Hämmer und 20 Schleifkotten. Anfangs war die Region noch mit einer Eisenbahnstrecke nach Wuppertal-Ronsdorf angeschlossen. Die Strecke der Barmer Bergbahn wurde zwar 1902 ge­baut, aber schon 50 Jahre später wieder stillgelegt. Die Müngstener Brücke verstärkte den Ausflugsverkehr, der zu einer weiteren Einnahmequelle wurde.

Die Brücke geht auf eine Initiative der Königlichen Eisenbahndirektion Elberfeld (heute zu Wuppertal gehörig) zurück. Ausgehend von deren Entwürfen ordnete das zuständige preußische Ministerium 1891 einen Wettbewerb an. Die 

Gutehoffnungshütte in Oberhausen stellte ei­ne Ge­rüstbrücke als Möglichkeit vor, die Über­querung zu bau­en. Eine Auslegerbrücke (Firma Harkort in Duisburg) und eine Bogenbrücke (Firma Maschinenbau-Aktiengesellschaft Nürnberg) kamen als Varianten hinzu. Die Nürnberger Vorläuferfirma von MAN erhielt den Zuschlag. Der eingespannte Bo­gen mit beidseitig anschließender Gerüstbrücke stellte sich als die kostengünstigste Variante heraus. Anton von Rieppel war federführend für den Brückenbau verantwortlich.

„Die gesamte Stahlkonstruktion wurde nach den Berechnungen des Entwurfs vorgefertigt“, heißt es seitens der Tourismusförderung Solingen, „im Gustavsburger Werk der MAN sind die zur Montage vorgesehenen Brückenteile ein erstes Mal zur Probe zu­sammengefügt worden, bevor sie für den Transport mit der Eisenbahn teilweise zerlegt wurden. Auf dem Solinger Bauplatz wurden die Brückenstücke dann erneut zusam­mengesetzt, von elektrischen Kränen in den wachsenden Bogen gehoben und mit Rückspannseilen gesichert.“ Die zur Befestigung benötigten Niete sollen vom Feuerplatz im Tal aus von Hand zu Hand nach oben bis zum Bestimmungsplatz geworfen worden sein.

Die Grunderwerbskosten beliefen sich damals auf exakt 1,6 Millionen Mark, die tatsächlichen Baukosten knapp 2,65 Millionen Mark. Beim Bau der 465 Meter langen Brücke, deren Stahlkonstruktion 4978 Tonnen und dessen Mauerwerk 25000 Tonnen schwer ist, waren durchschnittlich 200 Arbeiter beschäftigt. Sechs von ihnen starben.

Am 22. März 1897 – dem 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I, wurde dann die letzte Niete eingeschlagen – das Richtfest konnte gefeiert werden. Dem Zeitgeist entsprechend (es war schließlich Kaiserreich) hieß die Brücke in ihren Anfangstagen „Kaiser-Wilhelm-Brücke“. Die Einweihung fand am 15. Juli 1897 mit rund 1000 Besuchern statt. Allerdings ohne den Kaiser. Der verpasste zwar Champagner, die besten Weine, Hummer, Rheinlachs und Diplomateneis, besichtigte die Brücke am 12. August 1899 aber doch noch.

Im Rahmen der Regionale 2006 wurde ein Park eröffnet. Seit dem Jahr 2012 gehört er zu der „Straße der Gartenkunst“. Er liegt direkt unterhalb der Brücke. Im selben Jahr hat das Bergische Städtedreieck mit der DB Regio AG, der Eigentümerin des Bauwerks, einen Antrag zum Unesco-Weltkulturerbe gestellt.

Die Wupper ist an dieser Stelle etwa 60 Meter breit. Man kann sie mit einer Schwebefähre überqueren. Angetrieben wird sie durch Muskelkraft wie eine Fahrraddraisine. Diese bewegt sich auf zwei stark gespannten Seilen. Etwa zehn Personen, aber auch Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle können mitfahren.

„Die Müngstener Brücke und ihre Umgebung geben viele Rätsel auf. Einige sind auf stählerne Platten geschrieben. Wer die Lösungen finden möchte, muss sich auf die Suche machen. Zu jeder Frageplatte findet sich irgendwo im Park ein Zwilling. Sobald man ihn gefunden hat und sich mit beiden Beinen auf das Podest stellt, erklingt eine Stimme“, werben die Solinger Touristiker.

Wer mit dem Zug über die Brücke fährt, fühlt sich dem Himmel ganz nahe. Der darunter liegende Park ist an den ÖPNV angeschlossen und mit Bus und Bahn gut zu erreichen. Bei sonnigem und warmem Wetter ist der Park durchaus familientauglich. Die Erwachsenen können Radwandern, Wandern und zu Kaffee und Kuchen einkehren, die Kinder herumtollen und spielen. Vom Niederrhein und aus dem Ruhrgebiet ist es nicht weit. Die Besucher strömen jedenfalls in Scharen von dort.