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06.10.17 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel / Merkels Tentakel / Warum es die CDU nicht mehr gibt, wo sich Normalität wie Revolution anfühlt, und wie die Wahrheit über die AfD ans Licht findet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-17 vom 06. Oktober 2017

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Merkels Tentakel / Warum es die CDU nicht mehr gibt, wo sich Normalität wie Revolution anfühlt, und wie die Wahrheit über die AfD ans Licht findet

Teuflisch süffisant grinsen kann er wie kein anderer. Als ihm die Fernsehtante am Donnerstag nach der Wahl das Gerücht zum Fraß vorwarf, dass die Liberalen bereits das Finanzministerium für sich reklamierten, griff Jürgen Trittin beherzt zu. Das sei eben die „alte FDP“: Die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition hätten noch gar nicht begonnen, da „gieren“ die schon nach Posten, kostete der Altgrüne unter seinem gefürchteten Raubtierlächeln die Nachricht aus.

Noch gar nicht begonnen? Vielleicht war Trittin nicht ganz auf dem Laufenden, oder hat er geflunkert? Einen Tag später jedenfalls reicht die „Rheinische Post“ ein Papierchen herum, nach dem Grüne und FDP bereits Gespräche führten und – aha! – sogar schon die gewünschten Ministerien unter sich aufgeteilt hätten.

Derweil plaudert Thomas Oppermann in die Kamera, dass es möglicherweise doch wieder zur Großen Koalition kommen könne. Ist das ehrlich gemeint? Kaum: Die Sozis haben es jetzt zum zweiten Mal erlebt, wie CDU-Chefin Merkel sie ausgesogen hat. 2009, nach der ersten Groko mit ihr, purzelte die SPD bereits auf ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis seit den 30er Jahren, nun auf ein noch mieseres. Da verliert man irgendwann die Lust.

Deshalb postiert der Ex-SPD-Fraktionschef auch eine unerfüllbare Bedingung vor sein scheinbares Angebot: Merkel solle gehen. Die CDU ohne Merkel obendrauf? Unvorstellbar. Während Grüne und CSU rote Linien ziehen beim Begriff „Obergrenze“ und die FDP verkündet, sie lehne die französischen Zudringlichkeiten beim Geld „kategorisch“ ab, während also alle anderen Jamaikaner Profil zeigen, herrscht in der CDU nahezu völlige Stille. Ein ganz kleines bisschen Merkel-Kritik höchstens, aber bloß von erwartbarer Seite und – das ist entscheidend – ohne spürbaren Widerhall in der Partei.

Diese Stille, diese Blässe macht für alle erkennbar: Merkel hat es geschafft. Die CDU besteht nur noch aus ihr und einem ihr ganz persönlich verpflichteten Hofstaat, der Rest ist Staffage oder willfähriges Fußvolk. Mit wem also wollen die Sozialdemokraten koalieren? Mit einer CDU ohne die bisherige Chefin, wenn die CDU doch eh nur noch aus Merkel und ihren Tentakeln besteht? Geht schon rein physisch nicht.

Aus der Höhle des Kopffüßlers, dem Kanzleramt, tönt derweil die triste Botschaft, dass sich die Bildung einer neuen Regierung bis Anfang nächsten Jahres hinziehen könnte. Bei der vergangenen Groko habe man es so gerade eben bis Weihnachten hinbekommen, erinnert uns Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Diesmal werde es aber möglicherweise noch komplizierter. 

Wenn wir gerade dabei sind, den Blick gezwungenermaßen in die etwas fernere Zukunft zu lenken, gehen wir gleich noch einen Schritt weiter. Auch wenn die Nachricht wehtut, aber selbst Angela Merkel wird nicht ewig auf ihrem Stuhl sitzen bleiben können, sie wird schließlich nicht jünger. 

Was jedoch soll nach ihr aus der CDU werden, wo sie die Partei doch komplett vereinnahmt hat? Wie es derzeit aussieht, nimmt die Kanzlerin ihre Partei wohl im Wesentlichen mit in den Ruhestand. Nach Merkels Abgang zucken die Tentakel vielleicht noch ein wenig im Schlamm, um sich dann bestenfalls zu einer Neuauflage der alten Zentrumspartei zu verknoten, die sich FDP-klein zwischen den übrigen Fraktionen unter der Reichstagskuppel verliert.

In anderen europäischen Ländern erging es den einst so machtvollen Christdemokraten recht ähnlich, besonders brutal in Italien. Dies wäre die große Stunde der AfD als neuer freiheitlich-konservativer Volkspartei. Jeff Kornblum, der immer noch in Berlin wirkende einstige US-Botschafter in Deutschland, sieht die Bundesrepublik mit dem Einzug der Blauen in den Bundestag denn auch bloß auf dem Weg in die europäische Normalität, nicht mehr.

Allerdings bedeutet „Normalität“ in einem Land wie Deutschland fast so etwas wie eine Revolution. Und so fühlen sich die Vorgänge, deren Zeuge wir gerade sind, ja auch an. Um damit einigermaßen zurechtzukommen, muss man wohl einen neuen, weniger propagandaverhangenen Blick auf die junge Konkurrenz werfen.

Da tut sich offenbar auch was. Nach und nach scheint es den blamierten Experten zu dämmern, dass sie mit ihrem sorgsam aufgebauten Bild vom „typischen“ AfD-Wähler weitgehend danebenlagen. Bislang hieß es fast unisono: Abgehängte Modernisierungsverlierer seien das, ordinäre Nazis, Dummköpfe oder Leute mit „diffusen“ Ängsten und ausländerfeindlichem Weltbild. 

Mit dieser simplen Verdammung im Kopf streiften sie in Scharen durchs Land und waren dann immer ganz verdattert, wenn sie beim Aufeinandertreffen mit AfD-Sympathisanten und -Politikern auf intelligente, gut ausgebildete und auskömmlich verdienende, umgänglich-zivilisierte Mittelschichtler trafen. Da galt es, den Nazi oder das Abgehängte aus diesen Typen herauszuquetschen. Wenn das partout nicht gelang, blieben nur noch zwei Erklärungen übrig: Entweder, der Betreffende sei nur ein vorgeschicktes Aushängeschild oder schlichtweg eine ganz seltene Ausnahme.

Mit diesen Erklärungen konnte man sich jeden Erkenntnisgewinn vom Halse halten und seine Ressentiments bis zur nächsten „Recherche“ über die Runden retten. Seit dem 24. September ist jedoch kaum noch zu bestreiten, dass die blauen Bösewichte „aus der Mitte der Gesellschaft“ stammen und nicht aus der Gosse nebenan. Nur deswegen konnten sie auch so stark werden.

Hätte man das nicht schon viel früher erkennen können? Das ist ja das Problem: Die Journalisten und Sozialwissenschaftler, von denen wir hier reden, haben sich seit Längerem selbst darauf dressiert, nicht mehr nach der Wahrheit zu suchen, sondern propagandistisch verwertbare Befunde zu stricken. Die haben sie dann, in pseudowissenschaftliches Kauderwelsch verpackt, als „Studie“ verkauft oder, im Falle der Journalisten, dergestalt aufbereitet, dass das Gewünschte fast wie Wahrheit aussah und von vielen sogar dafür gehalten wurde.

Tragischerweise glaubten die Macher ihren Machwerken ir­gendwann sogar selbst, weshalb sie die Fähigkeit eingebüßt haben, zwischen dem gebastelten Quatsch und der Wirklichkeit zu unterscheiden. Aber was soll’s, für die Wahrheit ist es nie zu spät, und – wie eben erwähnt – die ersten Gegenwartsbeschauer tasten sich tatsächlich an sie heran. Das ist doch schon was!

Derweil wird so manchem Wahlverlierer erst nach und nach die volle Dimension der Katastrophe bewusst, die ihm widerfahren ist. Der CSU zum Beispiel, die sich bereits in den nächsten Schlamassel trudeln sieht und richtig Angst bekommt. Deren Vorsitzender Horst Seehofer hat derart viele Drehungen vollzogen, dass seiner Partei schließlich die Orientierung abhandenkam und zahlreichen Wählern schlecht wurde.

2015 machte Seehofer den harten Hund, drohte mit Klagen gegen Merkels Grenzöffnung, gar mit der Auflösung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU und stellte knallige Ultimaten.

Geschehen ist dann nie etwas, doch immerhin hatten die Bayern mit Seehofers Gepolter das Etikett „rechter Flügel der Union“ und „Merkel-Kritiker“ für sich reserviert. Das aber riss Seehofer eigenhändig wieder ab, als er vor der Wahl volle Merkeltreue schwor. Nach der Wahl wollte er dagegen plötzlich wieder nach rechts, um dort eine „Flanke zu schließen“, um dann schon wieder mit den Grünen in Koalitionsverhandlungen treten zu wollen.

Die Schar derer, die da noch mitkamen, wurde schließlich immer kleiner. So mancher bayerische Wähler könnte spätestens bei der letzten Pirouette das Gleichgewicht verloren haben und bei den Landtagswahlen im Herbst 2018 ins blaue Lager kippen. Da dürfte es noch rumpelig werden bei der Bayern-Union.