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13.10.17 / »Glamorous Glennis« durchbricht die Schallmauer / Vor 70 Jahren flog das US-amerikanische Experimental- und Raketenflugzeug Bell X-1 erstmals schneller als Mach 1

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-17 vom 13. Oktober 2017

»Glamorous Glennis« durchbricht die Schallmauer
Vor 70 Jahren flog das US-amerikanische Experimental- und Raketenflugzeug Bell X-1 erstmals schneller als Mach 1
Friedrich List

Im Oktober 1947 gelang dem US-amerikanischen Testpiloten Charles „Chuck“ Yeager am Steuer eines Raketenflugzeugs vom Typ Bell X-1 der erste Überschallflug der Luftfahrtgeschichte. Die Bell X-1 war schon während des Zweiten Weltkrieges speziell für Versuchsflüge bei hohen Geschwindigkeiten und zum Durchbrechen der Schallmauer entwickelt worden. 

Der Erstflug hatte bereits am 25. Januar 1946 stattgefunden, allerdings im reinen Gleitflug ohne Antrieb. Darauf folgten weitere Testflüge mit Raketenantrieb. Die X-1 startete normalerweise nicht von einer Piste, sondern wurde von einem umgerüsteten Bomber des Typs Boeing B-29 „Superfortress“ in die Höhe getragen und dort ausgeklinkt. 

Am 14. Oktober 1949 startete eine B-29 mit der untergehängten Bell X-1 an Bord vom Muroc Dry Lake, einem ausgetrockneten Salzsee in der Wüste des US-Bundesstaates Utah. Die B-29 trug das kleine Raketenflugzeug in große Höhe, wo der historische Flug stattfinden sollte. Dort oben liegt die Schallgeschwindigkeit wegen des geringen Luftdrucks niedriger als in Bodennähe. Während des Krieges hatte die US-Luftwaffe auf beziehungsweise an dem Muroc Dry Lake einen Testflugplatz gebaut. Der Flugplatz besteht als Edwards Air Force Base bis heute und beherbergt das Versuchs- und Erprobungszentrum der US-Streitkräfte. Auch die NASA nutzt das weitläufige Areal für ihre Versuchsflüge. 

Im Cockpit der Bell 

X-1 saß Captain Charles „Chuck“ Yeager, ein kriegserfahrener Jagdflieger, dessen fliegerisches Können ihm den Weg in die Erprobungsfliegerei geebnet hatte. Seinem Flugzeug hatte er den Namen „Glamorous Glennis“ nach seiner Frau Glennis gegeben. Yeager war eigentlich nicht flugtauglich, denn er hatte sich zwei Tage vor seinem Flug bei einem Reitunfall zwei Rippen gebrochen. Aber weil er für diesen historischen Flugversuch schon eingeteilt gewesen war, hatte er sich vor dem Besuch beim Fliegerarzt gedrückt. 

Beim Einsteigen an Bord der B-29 hatte er Schwierigkeiten. Er konnte zwar in die im Bombenschacht aufgehängte X-1 klettern, aber die Verletzung verhinderte, dass er die seitliche Cockpitluke schließen konnte. Einer der Mechaniker hatte ihm deswegen einen nach Maß abgesägten Besenstiel mitgegeben, mit dessen Hilfe Yeager die Luke hinter sich zuziehen konnte. 

Der Flug der B-29 verlief unspektakulär und ohne besondere Vorkommnisse. Als Yeager sicher in seinem engen Cockpit saß, klinkte ihn die B-29 aus. Yeager ließ die X-1 kurz durchsacken, dann zündete er das Raketentriebwerk und beschleunigte. Als die Maschine in den hohen Unterschallbereich vorstieß, setzten die für diese Flugphase typischen Vibrationen ein. Sie entstehen, weil das Flugzeug um sich herum die Luft extrem verdichtet und so Stoßwellen verursacht. Die Steuerung blockierte, und Yeager konnte das Raketenflugzeug nur durch das Höhenruder stabil halten. Als die X-1 Mach 1 erreichte und schneller wurde, hörten diese Vibrationen wieder auf und die Ruder kamen frei. 

Yeager flog an diesem Tag 1125 Kilometer in der Stunde schnell, was Mach 1,06 entspricht. Er erreichte eine Höhe von 13100 Metern. Wegen der Temperatur- und Luftdruckbedingungen liegt Mach 1 in dieser Höhe bei 1060 Kilometern pro Stunde, nicht bei 1200 wie in geringeren Höhen. Yeager hielt seine Geschwindigkeit für 20 Sekunden, dann nahm er die Triebwerksleistung zurück und landete wenig später. „Als würde man in Pudding stechen“, sagte er später über sein Flugerlebnis. Die Ergebnisse des historischen Fluges wurden bis Juni 1948 geheim gehalten. 

„Glamorous Glennis“ war eine von insgesamt sechs gebauten Bell X-1. Die Raketenflugzeuge wurden bis Mitte der 1950er Jahre bei verschiedenen Testkampagnen der US-amerikanischen Luftwaffe und der NACA (National Advisory Committee for Aeronautics), der Vorgängerorganisation der heutigen NASA, eingesetzt. Entgegen der Regel, dass die X-1 von einem Trägerflugzeug aus startete, weil der Treibstoff an Bord des Raketenflugzeugs für nur knapp zweieinhalb Minuten reichte, startete am 7. Januar 1949 eine X-1 ausnahmsweise ganz normal von einer Piste. Sie hob nach 700 Metern ab und stieg innerhalb von 100 Sekunden auf 7015 Meter Höhe. Am 12. Dezember 1953 erreichte eine modifizierte Bell X-1A dann Mach 2,435, also mehr als die doppelte Schallgeschwindigkeit. 

Die ersten Vorarbeiten für die spätere Bell X-1 hatten bereits Mitte 1944 begonnen. Bell und McDonnell Aircraft reichten Entwürfe ein. Den Auftrag zum Bau des Raketenflugzeuges erhielt Bell im März 1945, nachdem das Unternehmen bereits vorher mit der Bell P-59 „Airacomet“ den ersten US-amerikanischen Düsenjäger gebaut hatte. Die X-1 hatte insgesamt vier Raketentriebwerke, gerade, aber extrem dünne Flügel und Leitwerksflächen. Die Rumpfform entsprach einem MG-Geschoss vom Kaliber 12,7 Millimeter, von dem die Aerodynamiker wussten, dass es bei hohen Geschwindigkeiten stabil geradeaus flog. Von den gebauten Maschinen ging eine bei einem Flugunfall verloren. Die anderen stehen in US-amerikanischen Museen. So ist die „Glamorous Glennis“ im National Air and Space Museum in der US-Hauptstadt Washington zu sehen.