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13.10.17 / Das Kind des blauen Soldaten / Eine Königsbergerin sucht ihren spanischen Vater – Francos Blaue Division sorgte für dauerhafte deutsch-spanische Freundschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-17 vom 13. Oktober 2017

Das Kind des blauen Soldaten
Eine Königsbergerin sucht ihren spanischen Vater – Francos Blaue Division sorgte für dauerhafte deutsch-spanische Freundschaft
Jolanta Lada-Zielke

Manche ostpreußische Kriegskinder haben spanisches Blut in ihren Adern. Eines von ihnen machte sich auf die Suche nach dem spanischen Vater, der als Mitglied der Blauen Division in Königsberg stationiert war.

Annas Vater José* war einer der 47000 spanischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg während ihres zweieinhalbjährigen Einsatzes in der sogenannten Blauen Division dienten. Diese Formation spanischer Freiwilliger wurde 1941 von General Franco gegründet und an die Ostfront geschickt, um als Teil der Wehrmacht gegen die Sowjetunion zu kämpfen. Ihr Name kommt von der Farbe der Falange-Hemden, die von Soldaten anstatt der Uniform-Hemden getragen wurden. 

Im Gegensatz zur Mehrheit der Freiwilligen, die sich für die Division aus ideologischen Gründen meldeten, war José, der in Valencia Jura studiert hatte, kein Falangist. Während des Bürgerkriegs in Spanien unterstützte sein Vater die Anhänger des Königs Alfons XIII. und wurde nach dem Sieg der Falangisten hingerichtet. José ging zur Ostfront, um seine Familie vor weiterer Verfolgung zu bewahren. In Königsberg, wo er vor dem Fronteinsatz weilte, lernte er die hübsche, junge Lisa kennen, die dort im Finanzamt arbeitete. Sie war ausgebildet, konnte drei Fremdsprachen sprechen, darunter auch Spanisch. 

In Ostpreußen sowie in den baltischen Ländern, die auf dem Weg zur Front lagen, kam es oft zu Kontakten der spanischen Soldaten mit einheimischen Frauen. Das waren aber eher zufällige Flirts. José hatte ehrliche Absichten. Er besuchte Lisa in ihrem Hause, und ihre Familie war von ihm recht angetan – mit Ausnahme von Lisas Vater. Der wohlhabende Tuchhändler, der auch im Nahen Osten seine Geschäfte führte, gab dieser Beziehung keine Genehmigung. Seine an­ständig erzogene Tochter durfte keinen unbekannten Mann aus einem fremden Land heiraten. 

Das Paar wurde getrennt, als José an die Front musste. Wie seine Kameraden war er den strengen russischen Winter nicht gewöhnt. Bald kam er zurück mit einer Wunde am Kopf und erfrorenen Zehen. Er geriet in die Gruppe der Soldaten, die ein Jahr vor der offiziellen Auflösung der Division (im Oktober 1943) nach Spanien zurückkehrte. Womöglich sagte ihm Lisa noch, dass sie von ihm ein Kind erwartete. Die beiden versprachen einander, sich nach dem Krieg wiederzufinden. 

Das Kind Anna wurde im April 1943 geboren. Da seine Mutter weiter arbeiten musste, kam das Mädchen tageweise in einen evangelischen Hort. Im Winter 1944, kurz nach dem Tod ihrer Eltern, wurde Lisa dienstlich nach Dresden geschickt. Inzwischen kam ein Befehl zur Evakuierung des Horts. Jedem Kind hat man ein Schild mit seinem Vornamen um den Hals gehängt und dann alle in einen Zug gesteckt, der Richtung Westen fuhr.

Nach vielen Stunden hielt der Zug in dem kleinen kaschubischen Dorf Brzezie nahe Schlochau an. Dort mussten alle Kinder hinaus und wurden ihrem eigenen Schicksal überlassen. Der dortige Pfarrer nahm sie zur Kirche mit und appellierte an die Barmherzigkeit der Bewohner, die Kinder zu sich zu nehmen, da sie sonst vor Hunger und Kälte sterben würden. Anna wurde bei einem kinderlosen Ehepaar un­tergebracht, das ihr den neuen, kaschubischen Nachnamen gab. Von dem früheren Leben ist ihr nur der Vorname geblieben. 

Heute äußert sie sich positiv über ihre kaschubische Familie. Eine besonders gute Beziehung hatte sie zu ihrem Stiefvater, der während des Krieges in der Wehrmacht diente. Es war das Schick­sal vieler kaschubischer Familien, deren Mitglieder damals ähnlich wie in Schlesien auf gegnerischen Seiten gekämpft haben.

Als Anna größer geworden war, wurde sie häufig von Mitschülern als „Hitlers Kind“ beschimpft. Es ist interessant, dass sie am meisten von denjenigen verspottet wurde, deren Familien aus den ehemaligen östlichen Gebieten Polens vertrieben wurden, die die Sowjetunion nach dem Krieg annektierte. 

Erst als 17-Jährige traf Anna wieder ihre leibliche Mutter, die nach dem Krieg in Stuttgart ge­landet war und ihre Tochter über das Rote Kreuz lange gesucht hatte. Sie begegneten einander auf dem Posener Bahnhof in der Nacht. 

Laut der Vereinbarung sollte Anna in einem grünen Frauenanzug und mit einem Rosenstrauß erscheinen. Das Licht am Bahnhof war sehr schwach, aber Lisa erkannte ihre Tochter sofort. „Du siehst deinem Vater so ähnlich“, sagte sie. Die beiden umarmten sich. Leider konnte Lisa kein Polnisch und Anna kein Deutsch. Deswegen wurden ihre ersten Gespräche mithilfe einer Dolmetscherin geführt. 

Niemand weiß, ob José versuchte, seine Geliebte aus Königsberg zu finden, als die Stadt schon nicht mehr existierte. Lisa nutzte eine Gelegenheit, ihm eine Nachricht zu schicken, als ihre Arbeitskollegin nach Spanien verreiste. Sie schrieb einen Brief an José, in dem sie ihm von ihrer gemeinsamen Tochter erzählte. Die Kollegin fand seinen Wohnort in Rioja. Unglücklicherweise war er gerade nicht zu Hause, und seine Mutter empfing sie an der Tür. Nachdem ihr Lisas Kollegin den Grund des Besuchs erklärt hatte, erwiderte sie barsch, dass deutsche Frauen leichtsinnig seien und ihre Familie von so einer nichts hören wollte, sie sei selber schuld. Lisa unternahm keine Kontaktversuche mit José mehr. 

Nach der Heirat mit einem Polen lebte Anna einige Jahre in Posen, später in Krakau. 1988, als ihr Sohn und ihre Tochter er­wach­sen waren, be­schlossen sie alle, in die Bundesrepublik Deutschland zu ziehen. Sie fanden schließlich einen neuen Wohnsitz in Bayreuth. 

Dann überredeten Annas Kinder ihre Mutter, nochmals zu versuchen, ihre spanischen Verwandten wiederzufinden und schrieben zusammen einen langen Brief. Eine Woche später kam die Antwort von Annas Halbbruder José, der inzwischen Professor der Mathematik an der Universität in Valencia geworden war. Er freute sich sehr, Anna kennenlernen zu können. Ihr erstes Treffen fand in März 2004 in Bayreuth statt. Seitdem besuchen sich ihre Familien regelmäßig, auch wenn der blaue Soldat und seine Geliebte aus Königsberg nicht mehr leben.


* Die Namen aller Personen wurden geändert.