23.04.2024

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13.10.17 / Seit 400 Jahren erscheinen in Berlin Zeitungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-17 vom 13. Oktober 2017

Seit 400 Jahren erscheinen in Berlin Zeitungen
Dirk Klose

Eine Szene aus dem Berlin der 1920er Jahre: Ein Zeitungsjunge rast die Linden hinunter und ruft Zeitungen aus. Er rempelt einen Passanten an, der ihn unflätig beschimpft. Der Bengel schreit zurück: „Hau dir selbst eine runter, ich hab’ keine Zeit!“

Kein Berliner hatte damals Zeit. Die rasant wachsende Stadt war dem Tempo der Moderne wie einem Rausch verfallen, und zu diesem irren Tempo trugen nicht zuletzt die zahlreichen Zeitungen der Reichshauptstadt bei. Im Jahr 1928 gab es 147 Zeitungen mit eigener Redaktion, viele erschienen mit einer Morgen- und einer Abendausgabe. Die Menschen wollten lesen, lesen, sie konnten gar nicht genug kriegen, eine mediale Überfütterung durch Fernsehen und Internet gab es noch nicht.

Der 1982 verstorbene Publizist Peter de Mendelssohn hatte im Jahr 1959 ein dickes Buch über die „Zeitungsstadt Berlin“ vorgelegt. Es war damals eine Sensation, die Kritiken überschlugen sich, man sprach von einem Standardwerk. In alles Lob mischte sich auch Wehmut, weil man instinktiv spürte, dass eine solche Zeitungsära, wie sie in Berlin ein gutes Jahrhundert existierte, unwiederholbar war. 

Anlässlich des 400. Jubiläums Berlins als Zeitungsstadt – 1617 hatte der Kurfürstliche Botenmeister Christoph Frischmann die erste Zeitung Berlins, eine Wochenzeitung, herausgebracht – ist Mendelssohns Buch wieder aufgelegt worden. Man wünscht ihm auch diesmal eine große Verbreitung, denn seine Faszination teilt sich noch immer mit. Woran liegt das? Zum einen, weil Mendelssohn ein begnadeter Schreiber, Journalist und hochgebildeter Romancier und Sachbuchautor war, der mit einer dreibändigen Thomas-Mann-Biografie selbst bei strengen Germanisten Anklang fand. Zum anderen ist das Buch einfach von der Sache her ein hochspannendes Kapitel von 400 Jahren deutscher Geschichte am Beispiel Berlins, in der sich Politik, Wirtschaft und Kultur regelrecht verschmelzen. Eine solche journalistische Vielfalt, solch dramatische Auf- und Ab-Entwicklungen hat es in Deutschland andernorts nicht gegeben. 

Mendelssohn erzählt die Berliner Geschichte von 1617 an, geht auf die ersten Zeitungen im 

18. Jahrhundert unter Friedrich dem Großen ein, beschreibt Zensur und Reaktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts, um dann in langen Kapiteln die große Zeit der Berliner Presse zwischen 1870 und 1945 zu schildern. Diese Zeit war geprägt von den drei großen Verlagen Ullstein, Mosse und Scherl. Alle drei hatten wahre Zeitungsimperien aufgebaut. Ihre riesigen Häuser zwischen Gendarmenmarkt, Kochstraße und Jerusalemer Straße beherbergten modernste Drucktechnik und unzählige Redaktionen – sie sind alle 1945 im Bombenhagel untergegangen. Lediglich das imposante Ullsteinhaus in Tempelhof, damals das größte Druckhaus für Zeitungen in Europa, mit seinem charakteristischen Turm hat überlebt und war auch nach 1945 noch Zeitungssitz. 

Die Zeitungen der drei Häuser sind legendär: bei Ullstein die „Vossische Zeitung“ („Tante Voss“), die „Berliner Morgenpost“ und die „Berliner Illustrirte“, bei Mosse das vom Chefredakteur Theodor Wolf jahrzehntelang geleitete „Berliner Tageblatt“, bei Scherl „Die Woche“ und „Der Tag“, daneben zig andere Tages- und Wochenzeitungen, die Mehrzahl von ihnen treu zur Weimarer Republik stehend, weshalb nach 1933 denn auch das rasche Ende vieler Blätter kam. Die rigorose Gleichschaltung und Vertreibung jüdischer Besitze (Ullstein, Mosse) bewirkte eine eintönige, zutiefst unberlinische Presselandschaft.

Der Neubeginn nach 1945 war mühsam. Mendelssohn, der 1933 aus Deutschland geflohen war, kam 1945 als britischer Presseoffizier zurück und half bei der Gründung erster deutscher Zeitungen wie „Tagesspiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“. Rasch hatte die zerbombte Stadt wieder eine Vielzahl von Zeitungen, aber an die alte Größe konnte Berlin nicht wieder anknüpfen. Mendelssohns Schilderung endet mit einem zurückhaltenden Kapitel über das wachsende Engagement Axel Cäsar Springers, der am Ende drei Viertel des West-Berliner Marktes beherrschte. 

Drei jüngere Medienwissenschaftler haben das Buch um ein Kapitel bis heute ergänzt, in dem höchst informativ über die ständig wachsenden elektronischen Medien und über die geradezu mörderischen Zeitungskriege nach der Wende berichtet wird. So ist dieses großartige Buch nicht nur ein Geschichtsbuch, sondern zugleich eine aktuelle Darstellung eines heiß umkämpften Zeitungsmarktes, der beispielhaft für heutige Veränderungen im Medienbereich überhaupt steht.

Peter de Mendelssohn: „Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der deutschen Presse“, erweitert und aktualisiert von Lutz Hachmeister, Leif Kramp und Stephan Weichert, Ullstein Verlag, Berlin 2017, gebunden, 812 Seiten, 42 Euro