26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.10.17 / »Massenflucht« der Lebensversicherer / Das Wegbrechen des Geschäftsmodells wirft nicht nur die Altersvorsorge vieler Deutscher über den Haufen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-17 vom 20. Oktober 2017

»Massenflucht« der Lebensversicherer
Das Wegbrechen des Geschäftsmodells wirft nicht nur die Altersvorsorge vieler Deutscher über den Haufen
Norman Hanert

Die Ratingagentur Fitch sagt einen breiten Ausstieg von Lebensversicherern aus dem Neukundengeschäft voraus. Deutsche Versicherungsgesellschaften werden demnach in den kommenden Jahren Lebensversicherungen ihrer Kunden im Volumen von hunderten Milliarden Euro an Finanzinvestoren abgeben. Die Ratingagentur geht davon aus, dass bis zum Jahr 2022 Deutschlands Lebensversicherer fast ein Fünftel des Marktes des Neugeschäfts eingestellt haben. Alte Verträge im Volumen von rund 180 Milliarden Euro werden dann vermutlich nur noch abgewickelt und aus dem Angebot gestrichen. Kunden werden für die bislang angebotenen Produkte keine neuen Verträge abschließen können. Dieser Ausstieg wird in der Branche „Run-off“ genannt. 

Käufer der Lebensversicherungen sind Abwicklungsplattformen, hinter denen oft ausländische Finanzinvestoren stehen. Die Käufer setzen darauf, effizienter als die Versicherungskonzerne wirtschaften zu können. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, dass sich die Abwickler im Unterschied zu den Versicherungsgesellschaften nicht um das Neugeschäft kümmern müssen. So entfallen Kosten für Werbung und Vertrieb. Durch den Erwerb großer Bestände lassen sich die Verträge auch billiger verwalten. 

Dazu kommt ein weiterer Punkt. Das Bun­desamt für Finanzdienstleistungen (Bafin) wacht zwar darüber, dass die Kunden auch weiterhin ihren Garantiezins erhalten, die Versicherungsnehmer sollten allerdings keine großen Hoffnungen hegen, dass die variabel festgelegte Überschussbeteiligung allzu üppig ausfällt. Da die Abwick­ler nicht auf den Abschluss neuer Verträge angewiesen sind, können sie es sich leisten, den übernommenen Vertragskunden nur noch eine Mini-Überschussbeteiligung zu gewähren. 

Die Ratingagentur Fitch ging bislang davon aus, dass sich deutsche Versicherer in den nächsten Jahren von Lebensversicherungen im Volumen von 150 Milliarden Euro trennen werden. Vor Kurzem hat allerdings auch der italienische Versicherungsriese Generali angekündigt, er wolle einen Käufer für den Bestand der deutschen „Generali Leben“ suchen. Das abzugebende Paket an Lebensversicherungen hat dabei ein Volumen von rund 40 Milliarden Euro. 

Der Bund der Versicherten mit seinem Vorstandsvorsitzenden Axel Kleinlein spricht angesichts der Entwicklung bereits von einer „Massenflucht“ der Lebensversicherer und von einem „Erdbeben in der Deutschen Lebensversicherung“. Die Gründe für dieses „Erdbeben“ sind zum Teil hausgemacht, zum Teil spielen aber auch drastisch geänderte Rahmenbedingungen eine Rolle. Ein Grundproblem sind die Versprechen der Branche aus den 90er Jahren. Um mit den Produkten von Banken und Fondsgesellschaften mithalten zu können, hoben viele Versicherungsgesellschaften seinerzeit die Garantiezinsen für ihre Lebensversicherungen an. Mit der Niedrigzinspolitik und den Anleihekäufen der EZB und anderer Zentralbanken sind die versprochenen Renditen derzeit allerdings kaum noch zu erwirtschaften. 

Wegen der gesunkenen Gewinnbeteiligungen bei den Versicherungen legen immer mehr Kunden ihre Lebensversicherungen auf Eis. In Deutschland soll mittlerweile fast jeder dritte Vertrag beitragsfrei gestellt sein. Laut Daten des Branchendienstes Map-Report lag dieser Anteil vor zehn Jahren noch bei nur rund 21 Prozent. 

Noch ein weiterer Umstand hat die Kalkulationen der Versicherungsgesellschaften über den Haufen geworfen. Anfang 2016 ist eine neue EU-Richtlinie namens „Solvency II“ in Kraft getreten, die den Versicherungen erheblich mehr Eigenmittel für ihre Verträge vorschreibt. Die Richtlinie soll verhindern, dass Versicherer im Krisenfall mit Steuergeldern aufgefangen werden müssen. 

Das Wegbrechen des Geschäftsmodells der Lebensversicherer wirft nicht nur die Altersvorsorge vieler Deutscher über den Haufen. Bereits vor zwei Jahren hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) vor einer Ansteckungsgefahr für die Bankenbranche durch kriselnde Lebensversicherungen gewarnt. Im Umfeld niedriger Zinsen sei das Geschäftsmodell der europäischen Lebensversicherer nicht durchhaltbar, so die Warnung des IWF.