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20.10.17 / Gegenwind / Nur das Volk darf das Grundgesetz abschaffen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-17 vom 20. Oktober 2017

Gegenwind
Nur das Volk darf das Grundgesetz abschaffen
Florian Stumfall

In Spanien nimmt eine Staatskrise derartige Formen an, dass nicht einmal mehr der Einsatz des Militärs durch die Zentralregierung in Madrid ausgeschlossen wird – und die Mutter der politischen Weisheit und Tatkraft, die EU, vor allem verkörpert in ihrer Kommission, erweist sich als unschlüssig, hilflos und schwach.

Dabei geht es in Spanien auch um den EU-Lebensnerv, der doch darin besteht, dass immer mehr Zentralismus Platz greife und alle verteilte Macht und strukturierte Ordnung ablöse. Wenn man sich schon, wie immer wieder und mehr oder minder klar angedeutet, den Kontinent-umgreifenden Überstaat als Ziel gesetzt hat, dann sollte man zu einer gegenläufigen Bewegung wie dem Separatismus der Katalanen zumindest eine Meinung haben. Denn der Separatismus ist der Gegenentwurf zu dem, was Brüssel will.

Doch so sonderbar es klingt: Beide, die EU und der Separatismus, haben eines gemeinsam. Dies ist das Ziel der Auflösung der Nationalstaaten, jedenfalls in der heutigen Form. Der Unterschied zwischen beiden: Die EU will das des Großmachtwahns wegen, der Separatismus, um den historischen kulturellen Einheiten zu mehr Lebenskraft zu verhelfen.

Weil das Schicksal einen deutlichen Zug zum Zynismus hat, wurden gerade um die Zeit des spanischen Aufruhrs neue Vorstöße in die Richtung des Einen Reiches mit Namen EU vorgetragen. Da war zunächst der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der für sämtliche EU-Länder neben der Zugehörigkeit zum Schengenraum auch noch den Euro fordert. Dabei scheut er weder das Beispiel Griechenlands noch die Gefahr, sich der Lächerlichkeit auszusetzen. Schlimmer noch: Er durfte seine aberwitzigen Forderungen in dem Bewusstsein stellen, dass er umgehend Unterstützung finden werde. Sie kam denn auch postwendend vom deutschen Finanz­minister Wolfgang Schäuble.

Als Ergänzung in dieser Sache muss man die bald darauf erhobene Aufforderung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron verstehen, der nach einem europäischen Finanzminister ruft. Auch er durfte des Zuspruchs und der Unterstützung aus Deutschland sicher sein, die in seinem Falle völlig standesgemäß von Bundeskanzlerin Angela Merkel kamen. Wenn auch Macron noch weitere Vorschläge zu weiterer Zentralisierung gemacht hat, so sollte man sich doch insonderheit die Sache mit dem EU-Finanzminister anschauen.

Dieser neue starke Mann – wahlweise eine Frau – soll vor allem ein eigenes Budget bekommen. Dieses würde dann kontrolliert von einem „Euro-Zonen-Parlament“. Eine neue Monster-Einrichtung, deren Schaffung indes hinfällig würde, wenn man Junckers Vorschlag, den Euro über alle EU-Länder auszugießen, vorab beherzigen wollte.

Wenn auch Einzelheiten noch nicht benannt sind, eines ist sicher: Es soll aufs Neue eine strategisch wichtige Zuständigkeit von den Mitgliedsstaaten auf die Zentrale verlagert werden. Da es sich dabei aber um die Finanzen handelt, ist das Haushaltsrecht der Parlamente berührt und mit ihm die entscheidende Machtposition einer Demokratie, in der es noch Reste der Gewaltenteilung gibt.

Wie kommt aber Kanzlerin Merkel dazu, einem solchen Vorhaben zuzustimmen? Wer hat sie beauftragt, den deutschen Parlamentarismus vollständig auszuhöhlen? Wer hat ihr das Recht oder gar den Auftrag gegeben, die Grundfesten unseres Staatsaufbaus anzurühren?

Im vielgeschundenen Grundgesetz gibt es einen Artikel 20, der uns erzählt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe und dass diese Staatsgewalt vom Volke durch Wahlen ausgeübt werde und zwar durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Und unter Absatz 4 wird das Gewicht dieser Bestimmung offenbar: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Ganz unabweislich drängt sich hier die Frage auf, wie viel von jener Staatsgewalt aus Deutschland in Richtung Brüssel abfließen muss, bis „diese Ordnung“ beseitigt ist, und der Artikel 20, Absatz 4 in Kraft tritt. Gehört es noch zu dieser Ordnung, wenn ein europäischer Finanzminister installiert wird, oder nicht? Wie verhält es sich, wenn morgen einer der EU-Granden den Vorschlag unterbreitet, man solle das Amt eines gemeinsamen Kanzlers oder Präsidenten einrichten? Wird dann Merkel ebenfalls zustimmen, gegebenenfalls in der Meinung, das wäre etwas für sie?

Aber haben denn nicht schon alle EU-Großmacht-Befürworter längst und öffentlich dem Nationalstaat abgeschworen und beteuert, man brauche die politische Union? Das bedeutet nichts anderes, als jene Ordnung des Artikels 20 GG abzuschaffen, ungeachtet des Rechts zum Widerstand aller Deutschen. Tatsächlich wird ja jeder, der sich gegen den Monster-Staat wehrt, in das finsterste Eck faschistoider Rückständigkeit verwiesen, wobei man ihm Wort und Meinung verbietet, als wäre er moralisch auswürfig.

Nein – das ewige Leben hat das Grundgesetz auch nicht, zugegeben. Aber es hat eine Regelung, die seine Abschaffung betrifft. Danach verliert es seine Gültigkeit, wenn eine andere Verfassung in Kraft tritt, die „von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Es ist ausdrücklich nicht vorgesehen, dass die Verfassung ihre Gültigkeit verliere, wenn alle Macht von der EU-Kommission ausginge, mehr noch und vollständiger, als das heute schon der Fall ist. Damit mag es zusammenhängen, dass in Sachen EU-Entwicklung die Politiker entsetzt vor jedem Gedanken an eine Volksbefragung warnen. Sie scheinen Angst zu haben, dass ein Referendum in ihrem Sinne schiefgehen könnte. Wo also ist die Grenze? Wann wird der Artikel 20 bis zur völligen Unbrauchbarkeit beschädigt sein wie heute schon der zum Schutz der Familie oder derjenige, der die freie Meinung schützen sollte?

Die Frage nach der Grenze berührt die Intensität und die Größe der EU. Seit vor genau 60 Jahren mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die EWG gegründet wurde, hat nie auch nur einer der Verantwortlichen der Entwicklung Europas die Frage danach beantwortet, wie dieses Gebilde, heute also die EU, in ihrer endgültigen Form staatsrechtlich konstruiert sein soll – als Staatenbund, als Bundesstaat oder als Zentralstaat – und wo seine endgültigen Grenzen verlaufen sollen – am Ural, am Euphrat oder am Indus? Dass darüber nie gesprochen wird, weckt Misstrauen, mehr Misstrauen noch als ohnehin vorhanden ist. Welches Schicksal für rund eine halbe Milliarde Menschen von den Führern der EU geplant wird, das liegt im Dunkeln. 

Wie war das damals, als noch das Grundgesetz Richtschnur war? Alle Gewalt ging vom Volke aus. Aber dieses Volk hat nie den Auftrag erteilt, die Politiker sollten sein Land unter fremde Kuratel stellen, seine Souveränität feilbieten, seine Macht weggeben – dieses, das deutsche Volk hat es nicht getan und die anderen taten es eben­so wenig. Wie kann aber geschehen, was geschehen ist und weiterhin geschieht? Die Antwort auf diese Frage gab bereits im Jahre 1999 der Mann, der wie kein anderer wissen muss, wovon er spricht, Jean-Claude Juncker: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“