26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.10.17 / Hammerschläge, die die Welt erschütterten / Oder wollte Martin Luther mit 95 Thesen nur eine Debatte anregen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-17 vom 20. Oktober 2017

Hammerschläge, die die Welt erschütterten
Oder wollte Martin Luther mit 95 Thesen nur eine Debatte anregen?
Klaus J. Groth

Zweifel sind das täglich Brot professioneller Protestanten. Sie predigen den Glauben und stellen beherzt alles in Frage. Nichts ist gut in Luther-Land. Das große Jubiläum – 500 Jahre Thesenanschlag immerhin – verpufft, verschnarcht, verschlafen. Weil Zweifel aufgekommen sind, ob Martin Luther vor 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, tatsächlich aus Protest seine Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg nagelte. 


Dabei stand die Geschichte vom Anschlag der Thesen so felsenfest, so ehern wie die Bronzetafeln am Portal der Schlosskirche, in die Luthers Worte inzwischen gegossen sind. An den Worten rüttelt auch niemand. Aber an der Geschichte von Luthers eigenhändigen Hammerschlägen. Die hatte etwa 450 Jahre Bestand. Die Tatsache war nicht umstritten, bis ein katholischer Kirchenwissenschaftler Zweifel anmeldete. Ein Autor namens Gerhard Prause griff das Thema auf, und seitdem wird gestritten und gezweifelt was das Zeug hält. 

Nun war die Wissenschaft der Kirchengeschichte nicht unbedingt das Fachgebiet des Autoren Prause. Er verdiente sein Geld vornehmlich als Rätselautor bei der Zeitung „Die Zeit“. Da war seine Rubrik „Tratschke fragt: Wer war es?“ durchaus beliebt. Den Namen hatte er in leichter Abänderung von dem preußischen Historiker Heinrich von Treitschke übernommen, der für sein Faktenwissen bewundert wurde. Da lag es für Tratschke alias Prause nahe, Fakten zu bezweifeln. In seinem Buch „Niemand hat Kolumbus ausgelacht“, deckte er Legenden der Geschichtsschreibung auf. Zu den solchermaßen überführten gehörte auch Luther. Seine Hammerschläge an der Kirchentür von Wittenberg verbannte Tratschke alias Prause in das Reich der Mythen. Die ganze Geschichte beruhe auf einem Irrtum. 

Der einzige Zeuge des Vorganges habe in lateinischer Sprache „in bescheidener Weise“ geschrieben, nicht, wie irrtümlich gelesen wurde, „wie ich bezeugen kann“. Hätte der Zeitzeuge seinen Text nicht lateinisch verfasst, Jahrhunderte wären von einer Fehlinterpretation bewahrt geblieben. So aber lautete der Text des Zeitzeugen: „Im Jahre 1517 legte Luther in Wittenberg an der Elbe nach altem Universitätsbrauch gewisse Sätze zur Disputation vor, jedoch in bescheidener Weise und damit ohne jemand beschimpft oder beleidigt haben zu wollen.“ Damit war aus dem Tatmenschen, dem Hammerschläger  Luther, endlich ein Suchender, ein Fragender gemacht. Ein dem Zeitgeist der 60er Jahre Angepasster. 

Dagegen kommen Zeugen der Zeit schwer an. So ging es mit einer Notiz von Luthers Sekretär Georg Rörer. Der hatte gemeinsam mit Luther an der Übersetzung der Bibel gearbeitet. Auf der letzten Seite eines Arbeits-Exemplars hatte Rörer notiert: „Am Vorabend des Allerheiligenfestes des Herrn im Jahre 1517 sind von Doktor Martin Luther Thesen über den Ablass an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen worden.“ 2006 war diese Notiz gefunden worden. Sie gilt jedoch als zweifelhaft, vor allem weil bezweifelt wird, dass Luthers Sekretär Augenzeuge des Thesenanschlages war. 

Nun wird bezweifelt, ob die Zweifel berechtigt sind. So ganz mag man davon nicht lassen. Wenn Luther schon die Thesen eigenhändig an die Kirchentür nagelte, dann nicht aus Wut über den schäbigen Ablasshandel, nicht weil er die Welt verändern wollte. Das sei „der Mythos des 19. Jahrhunderts“, erklären Kirchenwissenschaftler. Luther habe lediglich nach allgemeinem Brauch ein paar Gedanken zur akademischen Diskussion stellen wollen. 

Immerhin wird nicht bezweifelt, dass Luther Verfasser der Thesen war, obgleich weder eine Handschrift noch ein Wittenberger Druck vorhanden sind. Gesichert ist jedoch, dass Luther am 31. Ok­tober 1517 einen Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg schrieb, dem er seine Thesen beifügte. Da er ohne Antwort blieb, gab Luther die Thesen einigen Bekannten. So gelangten sie an die Öffentlichkeit. 

Die Thesen sind eine Abrechnung mit der kirchlichen Geldschneiderei. Vor allem gegen den Ablasshandel wütete Luther. Immer weniger Mitglieder der Gemeinde ließen sich seit dem Frühjahr 1517 in Wittenberg die Beichte abnehmen. Sie zogen es vor, in Jüterbog oder Zerbst einen Ablassbrief zu kaufen, der sie oder verstorbene Angehörige von ihren Sünden freisprach und ihnen damit das Fegefeuer ersparte. Der Ablasshandel war ein lukratives Geschäft. Die Hälfte der Einnahmen stand dem Papst zu, der damit den Bau des Petersdomes finanzierte. Die andere Hälfte teilten sich der Erzbischof und der Ablass­prediger. Der Erzbischof beglich damit seine Schulden bei den Fuggern. Besonders übel trieb es der Ablassprediger Johann Tetzel, der wie ein Marktschreier durch die Lande zog und versprach: „Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt.“ Oder er behauptete: „Wenn ihr mir euer Geld gebt, dann werden eure toten Verwandten auch nicht mehr in der Hölle schmoren, sondern in den Himmel kommen.“

Gegen dieses schamlose Geschäft mit der Angst der Menschen um ihr Seelenheil verfasste Luther die 95 Thesen. Er verurteilte die von der Kirche geschürte Angst, nannte den Ablasshandel „ein gutes Geschäft“ ganz ohne Wirkung „auch die geringste läßliche Sünde wegzunehmen“. Nachdem er „spitzfindige Fragen der Laien“ ankündigt, fragt er selbst: „Warum baut der Papst, der heute reicher ist als der reichste Crassus, nicht wenigstens die eine Kirche St. Peter lieber von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?“

Das waren starke Worte, viel stärker, als Luther wahrscheinlich geahnt hat. Er hatte eine theologische Debatte anregen wollen, das Volk aber verstand seine Thesen anders. Es griff die Thesen auf, übersetzte den lateinischen Text und druckte die Übersetzung immer wieder auf Handzetteln nach. Die Kirche aber verweigerte Luther die erhoffte Debatte. Sie eröffnete 1518 den Ketzerprozess gegen ihn und verhängte den Kirchenbann. Doch die Geschichte ließ sich nicht mehr aufhalten. Mit der Veröffentlichung der 95 Thesen begann die Reformation, eine der gewaltigsten Veränderungen in der Neuzeit.