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20.10.17 / »Bindeglied zwischen Glauben und Wissenschaft« / Vor 25 Jahren, im Pontifikat Johannes Pauls II., wurde der frühneuzeitliche Gelehrte Galileo Galilei vom Vatikan rehabilitiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-17 vom 20. Oktober 2017

»Bindeglied zwischen Glauben und Wissenschaft«
Vor 25 Jahren, im Pontifikat Johannes Pauls II., wurde der frühneuzeitliche Gelehrte Galileo Galilei vom Vatikan rehabilitiert
Wolfgang Kaufmann

Die Rehabilitierung des Universalgelehrten Galileo Galilei, der 1633 wegen seiner Art und Weise der Verbreitung des kopernikanischen Weltbildes von der Inquisition gemaßregelt worden war, gut dreieinhalb Jahr­hun­der­te nach dessen Tod am 8. Ja­nu­ar 1642 gilt heute als Meilenstein im Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und den Naturwissenschaften. Gleichzeitig wandte Rom sich aber auch gegen den Mythos vom „Rebellen“, der gegen „dumpfe Dogmatiker“ hätte kämpfen müssen.

Basierend auf jahrzehntelangen Himmelsbeobachtungen und Berechnungen veröffentlichte der angesehene Hofmathematiker des Großherzogs der Toskana Galileo Galilei im Februar 1632 ein Buch mit dem Titel „Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische“. Darin schlug er sich auf die Seite von Nicolaus Copernicus, der um 1509 zu der Erkenntnis gelangt war, dass die Erde um die Sonne kreise – was den Übergang vom geo- zum heliozentrischen Weltbild markierte.

Fünf Monate später ordnete der für Zensurfragen zuständige oberste Inquisitor Niccolò Riccardi an, die Verbreitung des Werkes zu stoppen. Anschließend wurde Galilei nach Rom bestellt und mehreren Verhören unterzogen. In deren Verlauf gestand er sowohl wissenschaftliche Irrtümer als auch Verstöße gegen Vorgaben der katholischen Kirche. Deshalb verurteilte ihn ein aus insgesamt zehn Kardinälen bestehendes päpstliches Gericht am 22. Juni 1633 zu lebenslanger Kerkerhaft sowie der wöchentlichen Rezitation aller sieben Bußpsalmen für die Dauer von drei Jahren, wonach der Gelehrte trotzig „Eppur si muove“ (Und sie dreht sich doch) gemurmelt haben soll.

Dieser Vorgang wurde lange Zeit dahingehend interpretiert, dass Galilei für die Propagierung der Lehre des Copernicus hätte büßen müssen. In Wirklichkeit lag der Fall aber um einiges anders, wie der Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft von 1998 bis 2009, Walter Kardinal Brandmüller, nachweisen konnte. So hatte sich der Gemaßregelte die Druck­erlaubnis für den 1630 vollendeten „Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische“ auf unfeine Weise erschlichen, indem er den dafür zuständigen Riccardi umgangen und das Imprimatur stattdessen beim subalternen Florentiner Inquisitor eingeholt hatte. Darüber hinaus war es Galilei auch keineswegs untersagt gewesen, das heliozentrische Weltbild zu vertreten – nur eben als wissenschaftliche Theorie und nicht als unumstößliches Dogma. Schließlich lagen eindeutige Belege dafür, dass Copernicus tatsächlich richtig lag, noch nicht vor. Insofern befand sich die päpstliche Inquisition vom wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus gesehen im Recht, während Galilei vorschnell, also unprofessionell geurteilt hatte. 

Außerdem fiel die Strafe für den Gelehrten deutlich milder aus, als es auf den ersten Blick scheint. Letztlich saß er nämlich keinen einzigen Tag im Kerker, denn das Urteil wurde sehr bald in Hausarrest umgewandelt, den er in seiner Villa in Arcetri bei Florenz verbüßen konnte. Desgleichen durfte Galileis Tochter Suor Celeste die fälligen Gebete übernehmen. Ansonsten passt es auch nicht zur Legende von dem seitens der Kirche jahrhundertelang verfemten Wissenschaftler, dass bereits 1741 und damit keine 100 Jahre nach seinem Tod am 8. Januar 1642 die Inquisition auf Bitte des von 1740 bis 1758 amtierenden Papstes Benedikt XIV. das Imprimatur auf die erste Gesamtausgabe der Werke Galileis gewährte. 

Allerdings erfolgte die offizielle Rehabilitierung durch die katholische Kirche erst 1992. Den Anstoß hierzu gab Papst Johannes Paul II. mit seiner Rede vom 10. November 1979 aus Anlass des 100. Geburtstages von Albert Einstein. Damals verwies das Kirchenoberhaupt vor den Mitgliedern der vatikanischen Akademie der Wissenschaften auf die „tiefe Harmonie, die zwischen der Wahrheit der Wissenschaft und der Wahrheit des Glaubens existiert“, und gestand ein, dass Galilei seitens der Kirche Unrecht widerfahren sei. Dem folgte zum 3. Juli 1981 die Bildung einer interdisziplinären Studienkommission mit vier Arbeitsgruppen, deren Tätigkeit vom Erzbischof und späteren Kardinal Paul Poupard koordiniert wurde. Das Gremium hatte zur Aufgabe, den Fall Galilei in aller Gründlichkeit zu untersuchen. Dabei ging es Johannes Paul II. aber weniger um die formelle Entlastung des Gelehrten als vielmehr um eine „distanzierte und objektiv begründete Reflexion im Kontext der heutigen historisch-kulturellen Epoche“.

Die Kommission benötigte für ihre Arbeit über elf Jahre. Erst am 31. Oktober 1992 konnte Poupard den Abschlussbericht der Kommission vorstellen, in dem es hieß, die päpstlichen Inquisitoren hätten damals fälschlicherweise angenommen, das kopernikanische Weltbild werde „die katholische Tradition aushöhlen“. Deswegen sei es zu unangemessenen „Disziplinarmaßnahmen“ gegen Galilei gekommen. Dieser Fehler gehe auf das Konto des Vatikans.

Hieran anknüpfend mahnte Johannes Paul II. in seiner unmittelbar danach folgenden Dankesrede an Poupard und dessen Mitstreiter: „Es ist eine Pflicht der Theologen, sich regelmäßig über die wissenschaftlichen Ergebnisse zu informieren, um eventuell zu überprüfen, ob sie … ihre Lehre anders formulieren müssen.“ Das habe man 1633 leider versäumt. 

Andererseits tadelte der Papst all die zahllosen Versuche, den Fall Galilei „zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche“ zu stilisieren. Dieser „Mythos“ vom „dogmatischen Obskurantentum“ des Vatikans habe „in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt und dazu beigetragen, zahlreiche Männer der Wissenschaft in gutem Glauben denken zu lassen, der Geist der Wissenschaft und ihre Ethik der Forschung auf der einen Seite sei mit dem christlichen Glauben auf der anderen Seite unvereinbar“. Die Angelegenheit solle somit nicht nur der Kirche zur Lehre gereichen, sondern auch deren Kritikern.

Komplettiert wurde das dergestalt relativierte vatikanische Schuldeingeständnis durch eine große Messe für den Universalgelehrten, die im Februar 2009 aus Anlass seines 445. Geburtstages in der Kirche Santa Maria degli Angeli im Rom abgehalten wurde. Die Predigt hielt mit dem Erzbischof Gianfranco Ravasi der Präsident des Päpstlichen Kulturrates. Er bescheinigte Galilei, ein wichtiges „Bindeglied zwischen Glauben und Wissenschaft“ gewesen zu sein.