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27.10.17 / Rassismus nach innen / Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt äußert sich im PAZ-Interview über die Fehler der Altparteien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-17 vom 27. Oktober 2017

Rassismus nach innen
Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt äußert sich im PAZ-Interview über die Fehler der Altparteien
Bernd Kallina

Er ist ein gefragter Gast bei Gesprächssendungen und hat als sozialwissenschaftlich geschulter freier Geist keine Berührungsängste im Umgang mit Freunden und Gegnern. So tritt er sowohl bei der Linkspartei als auch vor konservativen Studentenverbindungen auf und hat oft das letzte Wort: Werner J. Patzelt, deutscher Politikwissenschaftler aus Passau, seit 1991 Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Er gehört zu den ersten maßgeblichen Wissenschaftlern, welche die Pegida-Bewegung in Dresden empirisch untersuchten. Den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag befürwortet Patzelt mit der Begründung, dass dadurch eine Repräsentationslücke geschlossen worden sei. Für die PAZ sprach Bernd Kallina mit ihm.

PAZ: Gibt es zwischen Bayern und Sachsen eine gewisse Ähnlichkeit in den eher konservativen Grundeinstellungen, die sie von den Menschen aus anderen Bundesländern unterscheidet?

Werner J. Patzelt: Es sind weniger Ähnlichkeiten in dem, was man gemeinhin konservativ nennt, also Rückständigkeit und Reformunlust. Sondern es gibt große Ähnlichkeit im Stolz auf das eigene Land, auf das schon Erreichte, das zu Bewahrende, das einfach zu Verbessernde. Deshalb haben weder Bayern noch Sachsen große Lust, das von ihnen Errungene durch unbedachte Politik beschädigen zu lassen. Wenn man nun Konservativismus als jene Haltung zur Wirklichkeit versteht, bei der sich das Neue zu rechtfertigen hat, nicht aber das schon Bewährte, dann wird man sagen können: Ja, es gibt da eine Ähnlichkeit im Konservativen.

PAZ: Zurzeit ist „Sachsen-Ba­shing“ große Mode, weil die AfD bei der Bundestagswahl dort als stärkste Partei vor der CDU so gut abschnitt. Zu hören sind Sätze wie: „Bitte, liebe Russen, nehmt die Sachsen zurück!“ Oder: „Tschechien, wie wär’s? Wir nehmen Euren Atommüll. Ihr nehmt Sachsen!“ Was signalisieren Ihnen derartige Kommentare?

Patzelt: Solche Aussagen sind rassistisch. Sie zeugen von einem lange schon kultivierten antisächsischen Rassismus. Das ist ein kulturalistischer Rassismus, den wir in den Blick bekommen, sobald wir uns vom engen biologischen Rassismusbegriff verabschieden. Man erkennt Rassismus dann nicht nur beim Umgang mit Andersfarbigen oder Ausländern, sondern auch an der Haltung zu Leuten aus dem eigenen Land.

PAZ: „Wenn alle applaudieren und loben, dann muss man prüfen“, formulierte vor zweieinhalbtausend Jahren Konfuzius und ergänzte: „Wenn alle verurteilen und verdammen, dann muss man prüfen.“ Wenn die etablierten Funktionseliten in Mainstream-Medien und Politik Pegida und AfD verurteilen und verdammen, was ist Ihr politikwissenschaftliches Prüf-Ergebnis?

Patzelt: Es ist differenziert. Als Pegida im Herbst 2014 aufkam, hielt ich gerade ein Seminar zur Fallstudien-Forschung. Zum praktischen Üben musste sich jeder Teilnehmer einen Fall aussuchen. Manche wählten Pegida und berichteten wöchentlich, was sie da sahen. So war ich von Anfang an in engem empirischem Kontakt mit einer Sache, die wenig später die öffentliche Diskussion beherrschte. Bei deren Vergleich mit unseren Beobachtungen zeigte sich schnell, wie viele jener Ferndiagnosen voreingenommen oder schlicht falsch waren. Etwa wurde rasch zum gemeinsamen Glauben, dass im Grunde alle Pegida-Demonstranten nationalistisch und fremdenfeindlich, rassistisch und rechtsradikal wären. Leute dieser Art waren zweifellos dabei, doch deutlich in der Minderheit. Aber Differenzierungen wollte kaum jemand hören. Ähnlich ging es später mit der AfD. 

PAZ: Wenn wir einmal „Pegida“ vom demokratie-theoretischen Gesichtspunkt aus betrachten, ist es doch eigentlich begrüßenswert, wenn Bürger friedlich demonstrierend auf die Straßen gehen und ihren Forderungen Nachdruck verleihen, oder?

Patzelt: Es gehört sich in einer pluralistischen Demokratie, dass man sogar unwillkommene Meinungen nicht gleich als Gefahr, sondern zunächst einmal als Herausforderung zum Weiterdenken auffasst. Gerade starke oppositionelle Bewegungen, gleich ob sie sich in Demonstrationen oder im Wahlverhalten ausdrücken, nimmt man am besten zum Anlass, die eigenen Positionen zu überprüfen. Die können sich dabei ja als richtig erweisen. Am besten hält man es deshalb mit Voltaire: Man bekämpft zwar die Meinung des anderen, setzt sich aber mit Entschiedenheit dafür ein, dass er diese Meinung frei vertreten kann. Gerade hierbei ist im Umgang mit Pegida und der AfD Grundlegendes schiefgegangen. 

PAZ: Was ist Ihr Kritikpunkt hierbei?

Patzelt: Es haben sich eben auch redliche Demokraten an einer Grundregel pluralistischer Demokratie vergangen: Sie haben abgelehnte Meinungen nicht bloß argumentativ bekämpft, sondern obendrein versucht, auch schon die öffentliche Artikulation solcher Meinungen für ungehörig zu erklären. Pegida-Leute haben sich ja noch selbst ausgegrenzt. Doch selbst mit diskussionswilligen AfD-Leuten wollte man sich nicht vor großem Publikum streiten. Die bekämen nur eine Bühne für ihren Unsinn, sagte man. Doch es wäre eben auch eine Bühne gewesen, auf der man den politischen Gegner vor vielen Zuschauern hätte stolz besiegen können. Solches Kneifen nenne ich Feigheit, und der Siegeszug der AfD ist die verdiente Quittung dafür.

PAZ: Sie haben den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag als Vorteil bezeichnet, was besorgte Nachfragen und Irritationen im Mainstream-Lager auslöste. Worin besteht dieser Vorteil?

Patzelt: Vom letzten Bundestag fühlten sich jene Leute nicht mehr vertreten, die sich nicht als links oder mittig ansehen, sondern sich als klar rechts verorten. Jahrzehntelang haben die Unionsparteien auch diese Leute repräsentiert und deren Anliegen in eine vernünftige Mitte-Rechts-Position integriert. Doch unter Angela Merkel beendete die Union dieses kluge Verhalten einer breit aufgestellten, von der Mitte bis weit nach rechts alle Leute ansprechenden Partei. Wer als rechts galt, wurde in der Union kaltgestellt, manchmal gar weggemobbt. Doch rechte Positionen verschwanden nur in der CDU und im Bundestag, nicht aber in der Bevölkerung. So entstand eine Repräsentationslücke im rechten Bereich des politischen Spektrums. Die hat nun auch im Bundestag die AfD geschlossen. Dass diese Lücke geschlossen ist, halte ich für gut. Doch es wäre besser, wenn es dafür nicht die AfD gebraucht hätte.

PAZ: Die sogenannte Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen war wohl der entscheidende Grund für die Stimmengewinne der AfD. Nun meint aber die Kanzlerin Merkel rückblickend, sie habe im Prinzip nichts falsch gemacht und will AfD-Wähler in ihr Lager zurückgewinnen. Kann das gelingen?

Patzelt: Nein. Weil der AfD vor allem jene zuneigen, die ihr Vertrauen in die Unionsparteien von der Kanzlerin enttäuscht sehen, stößt diese Leute jeder ab, der gar nichts Falsches an der Regierungspolitik der letzten Jahre erkennen kann. Ohnehin wird man allenfalls jene 60 Prozent der AfD-Wähler zurückgewinnen können, die den Etablierten einen Denkzettel verpassen wollten. Auf den muss man dann aber schon mit klaren Kurskorrekturen reagieren, und die müssen ihrerseits eingebettet sein in Aussagen darüber, wegen welcher früheren Fehler es überhaupt neue Politikakzente braucht. Einfach zu appellieren, man möge doch bitte wieder die CDU wählen, wird ganz wirkungslos sein.

Gar nicht wenige übersehen außerdem, dass ohnehin viele Leute dem etablierten Parteiensystem innerlich gekündigt haben. Anlass – doch nicht letzter Grund – war jene Verbindung aus passiv hingenommener Einwanderung und Verzicht auf wirkungsvolle Abschiebung der Nichtbleibeberechtigten, die unser Land 2015/16 kennzeichnete. Den wenigsten länger schon im Land Lebenden leuchtet nämlich der Sinn dessen ein, dass man freizügig Leute ins Land lässt, sie unter Belastung der normalen Steuerzahler und mittels Verzicht auf wünschenswerte Investitionen versorgt, dann Jahre braucht für die Klärung eines Bleiberechts – und anschließend tausend Gründe findet, sich eben doch nicht wieder von Migranten zu trennen, die kein Recht zum Bleiben haben. Wenn in einer solchen Lage die Kanzlerin auch noch trotzig verkündet, sie wisse nicht, was man überhaupt hätte anders machen sollen, dann wirkt das auf sehr viele Leute wie eine Mischung aus Provokation, Arroganz und Unfähigkeit.

PAZ: Selbst der renommierte Henry Kissinger stellte zum Jahreswechsel 2015/16 im „Handelsblatt“ kritisch fest: „Wenn sich die Zusammensetzung der Gesellschaft dramatisch schnell verändert als Resultat von äußeren Einwirkungen, dann wird das historische Konsequenzen haben.“ Herr Patzelt, glauben Sie, dass sich die Bundeskanzlerin dieser Konsequenzen wirklich bewusst war, oder ist?

Patzelt: Nein. Andernfalls hätte sie absichtlich irrational gehandelt, was so recht nicht zu ihr passt. Sie war wohl einesteils aufrichtig davon überzeugt, das Richtige zu tun, und andernteils zu gefallsüchtig, als dass sie sich das Überstehen schlimmer Bilder von der Zurückweisung Geflüchteter an deutschen Grenzen zugetraut hätte. Jedenfalls hat sie den Nutzen Deutschlands nicht gemehrt. Immerhin hat sie sich ans Stiften von Zuversicht gemacht …

PAZ: Daher ja auch ihre Parole: Wir schaffen das!

Patzelt: Ja, doch leider ohne Aufweis eines realistischen Wegs. Im Grunde hat unser Staat die Verantwortung für das Gelingen seiner Politik an die Gesellschaft delegiert. Auch deshalb wurde die Willkommenskultur wie die Praxis einer alle Bürger verpflichtenden Zivilreligion kultiviert. Gewiss auch hätte sich ohne derlei Transzendenzüberschuss ein gigantisches Werk wie der rasche, irreversible Wandel Deutschlands zu einer Einwanderungsgesellschaft nicht gegen so viele und große Vorbehalte durchsetzen lassen. Gelingen konnte dies dank des starken Hangs der Eliten unseres Lands der „Richter und Henker“ zu einer bußfreudigen moralisierenden Umgangsweise mit realen Problemen. Dabei wollen die von „1968“ geprägten Verwalter intellektueller Hegemonie, ihrerseits kosmopolitisch geprägt, möglichst alle Nationalstaaten überwinden und fangen mit Deutschland als Klassenprimus an. Die Mehrheit der schon länger im Land Lebenden will das aber nicht, und so zerfällt zunächst die Wählerbasis der sich als fortschrittlich verstehenden Multikulti-Ideologie und versickert wohl bald schon die Diskursmacht von deren Trägern.

PAZ: Sehen Sie hierbei einen Zusammenhang zwischen deutscher Selbstbehauptungsschwäche und dauerhafter NS-Vergangenheitsbewältigung dergestalt, dass staatspolitisch notwendige Abwehr- und Schutzmaßnahmen sofort mit Missbräuchen aus der NS-Zeit in Verbindung gebracht und damit undurchsetzbar gemacht werden, wir also eine geschichtspolitisch bedingte Lähmung unseres Gemeinwesens zu verzeichnen haben?

Patzelt: Ja. In Deutschland wurde nicht nur aus der Geschichte gelernt, was doch höchst wünschenswert ist, weshalb der Verweis auf geschichtliche Zusammenhänge als politisches Argument eingesetzt werden kann. Sondern es wird Geschichte auch gleichsam als Waffe benutzt, und zwar fast ausschließlich die verbrechensvolle Geschichte der Nazizeit. Die eignet sich nämlich vorzüglich zum Kampf gegen alles Rechte beziehungsweise gegen jeden, den man zuvor als „rechts“ zu etikettieren vermochte. Das aber hat oft auch für die Fachpolitik fatale Folgen. Als etwa das Argument auftauchte, um des gesellschaftlichen Zusammenhalts willen sollten aus nach Deutschland gekommenen Türken zunächst deutsche Türken, am Ende aber türkische Deutsche werden, fand sich das rasch gleichgesetzt mit „Zwangsgermanisierung“ und „Aufnordungspolitik“, also mit schlimmstem Rassismus. So geht es bislang quer über alle Politikfelder. Das hindert uns daran, durch wirkungsvolle Integrationsmaßnahmen ein solches Einwanderungsland zu werden, in dem wir wirklich alle gut und gerne leben können.

PAZ: Ist diese Gemengelage einer deutschen Negativ-Identität Teil, vielleicht sogar wesentlicher Teil, des Gesamtproblems, dem sich kaum jemand anzunähern wagt?

Patzelt: So sage und schreibe ich das seit vielen Jahren. Das Gift unserer Debatten über Einwanderung und Integration quillt daraus, dass Deutsche – und zwar aus höchst verständlichen Gründen – ein sehr gestörtes Verhältnis zu ihrem Land und zu dessen Geschichte oder Kultur haben. Deutsch zu sein, wird empfunden wie Zahnweh oder Mundgeruch. Man kann zwar damit leben, wünscht sich im Innersten aber Normaleres. Oder man erlebt Deutschsein so, wie – als Mann oder Frau – „im falschen Körper“ zu stecken. Die einen neigen dann zur sich verhärtenden Über-Identifikation, und die anderen wollen „das Deutsche“ an Deutschland ausdünnen. Dazu dient dann zahlenstarke Einwanderung oder das Pflegen der Ansicht, über den Gebrauch unserer Sprache hinaus wäre keinerlei spezifisch deutsche Kultur fassbar. Jedenfalls kann sich kaum einer vorstellen, dass jemand um Deutschlands willen nach Deutschland zuwandern möchte. Das aber macht alle entsprechenden Diskussionen so furchtbar verklemmt. Gerade die gewünschte Zuwanderung verlangt also von uns, wieder zu einem halbwegs entspannten inneren Verhältnis zum eigenen Land zu gelangen. Vielleicht hilft dabei Ironie – etwa grundsätzlich von der „schon länger im Land bestehenden“ Kultur zu sprechen, und so alle Kritik an angeblicher „Deutschtümelei“ ins Leere laufen zu lassen.