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27.10.17 / Entsenderichtlinien-Streit / Vorgeschmack auf erbittert geführte Verteilungskämpfe in der EU

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-17 vom 27. Oktober 2017

Entsenderichtlinien-Streit
Vorgeschmack auf erbittert geführte Verteilungskämpfe in der EU
Norman Hanert

Nach langem Ringen hat sich der Beschäftigungsausschuss des EU-Parlaments für eine Neuregelung der sogenannten Entsenderichtlinie entschieden. Kern der Reform ist der Gedanke, dass für Arbeit am gleichen Ort künftig auch der gleiche Lohn bezahlt wird. Des Weiteren soll die Möglichkeit zur Arbeitnehmerentsendung auf 24 Monate begrenzt werden. 

Die bereits 1997 eingeführte Entsenderegelung ermöglicht es Unternehmen, Mitarbeiter für eine begrenzte Zeit in ein anderes EU-Land zu schicken, um sie dort Dienstleistungen erbringen zu lassen. Der Europäische Gerichtshof hat vor gut zehn Jahren signalisiert, dass er dieser Dienstleistungsfreiheit auf dem gemeinsamen Markt Vorrang vor nationalen Arbeitnehmerrechten einräumt. Untersagt wurden zum Beispiel Streiks und Tarifforderungen gegen Entsendefirmen. 

In den letzten Jahren sieht man in Brüssel aber zunehmend die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung, wenn Unternehmen in anderen EU-Ländern mit Niedriglohnkosten auftreten können. Die EU-Kommission hat deshalb bereits vergangenes Jahr eine Reform der Entsenderichtlinie vorgeschlagen. Ein Entwurf von ihr sieht vor, dass entsandte Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten den gleichen Lohn wie einheimische Arbeitnehmer erhalten sollen. Als treibende Kraft hinter den Änderungswünschen gilt Emmanuel Macron. Der Präsident eines Hochlohnlandes betrachtet eine Änderung als Kampf gegen Sozialdumping. 

Anders ist die Sichtweise in der Ost-EU mit den dort vergleichsweise niedrigen Löhnen. Die Staaten fürchten, mit einer oktroyierten Angleichung der Löhne einen Wettbewerbsvorteil einzubüßen. Insbesondere in Warschau ist man bestrebt, Veränderungen am Text der EU-Entsenderichtlinie zu verhindern. Polnische Medien gingen sogar soweit, der EU zu unterstellen, sie plane eine generelle Abschaffung der Entsendemöglichkeit.

Welche Bedeutung der Möglichkeit, Arbeitskräfte aus EU-Ländern mit niedrigem Einkommen in Länder mit höherem Einkommen zu entsenden, beigemessen wird, zeigt das europapolitische Magazin „euractiv“. Es schreibt der Entsendemöglichkeit sogar zu, für eine Umverteilung des Reichtums gesorgt zu haben: „Die Praxis der entsandten Arbeitskräfte hat de facto teilweise die nicht existierende europäische Fiskalpolitik ersetzt.“

Wahrscheinlich ist, dass der Streit um die Richtlinie nur einen Vorgeschmack bietet von zu befürchtenden, erbittert geführten Verteilungskämpfen in der EU. Bereits im kommenden Jahr werden die Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen 2021 bis 2028 starten. Der Ausstieg der Briten als drittgrößter EU-Beitragszahler wird dazu führen, dass beim EU-Haushalt künftig gut zwölf Prozent der Einnahmen fehlen. Haushaltskommissar Günther Oettinger will die Lücke durch einen Mix aus Einsparungen und höheren Einzahlungen der EU-Staaten stopfen. Der SPD-Chef Martin Schulz sprach sich vor Monaten dafür aus, die Vergabe von EU-Geldern an die Kooperationsbereitschaft der Mitgliedsländer in der Zuwanderungsfrage zu knüpfen. Angesprochen fühlen müssen sich damit abermals Polen, aber auch Ungarn, die Slowakei und die Tschechei. Auch in den Plänen des französischen Präsidenten zum Umbau der Eurozone steckt Potenzial für eine Blockade und langfristig sogar für eine Spaltung der EU.