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27.10.17 / Die Freier kamen aus den besten Kreisen / Bis heute ist der Mörder der Hure Rosemarie Nitribitt nicht bekannt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-17 vom 27. Oktober 2017

Die Freier kamen aus den besten Kreisen
Bis heute ist der Mörder der Hure Rosemarie Nitribitt nicht bekannt
Klaus J. Groth

Es war ein Skandal, der gar nicht genug aufgebauscht werden konnte. Er platzte hinein in die Idylle von Nierentisch und Tütenlampe. Der Skandal hatte einen Namen: Rosemarie Nitribitt. Die hatte sich einen Namen gemacht als sogenannte Edelhure. Als ihr Name allgemein bekannt wurde, war sie tot. Das ist jetzt 60 Jahre her.

Ein schwarzes Mercedes-Coupé 190 SL mit roten Sitzen, ein weißer Pudel und ein dicker Brillantring, das waren Markenzeichen der Prostituierten Rosemarie Nitribitt in Frankfurt. Ihre Freier reisten aus den besten Kreisen an. Aus erbärmlichsten Verhältnissen hatte sich das Mädchen Rosemarie hochgearbeitet. Sie scheffelte Geld und trug ihren Reichtum zur Schau. Das war die Geschichte, die zum sogenannten Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik passte. So richtig bekannt wurde das alles erst, als Rosemarie Nitribitt gewürgt und erschlagen am 1. November 1957 in ihrem Luxus-Appartement aufgefunden worden war. Da war sie wahrscheinlich bereits 20 bis 30 Stunden tot. 

Das bundesdeutsche Publikum, das noch züchtig mit dem sogenannten Kuppelparagrafen lebte, der Vermietern Strafe androhte, sollten sie eine Wohnung einem unverheirateten Paar überlassen oder Damen- beziehungsweise Herrenbesuch nach 22 Uhr dulden, berauschte sich an dem Schlüsselloch-Skandal. Zeitungen und Illustrierte machten sich darüber her. Die Illustrierte „Quick“ warb den Hauptverdächtigen des Mordes für eine Enthüllungsstory an und setzte 50000 D-Mark für die Ergreifung des Mörders aus. Filmproduzenten eigneten sich den Stoff an und füllten die Kinos. Der Fall wurde zur Vorlage für Roman und Musical. 

Täglich tauchten neue Namen auf, Namen aus höchsten Kreisen. Das machte die Geschichte pikant. Die Polizei ermittelte gegen Prominente, Vertreter des „Wirtschaftswunders“ schlechthin. Harald von Bohlen und Halbach war dabei, Harald Quandt, Ernst Wilhelm Sachs, sein Bruder Gunter Sachs. So ganz abwegig dürften die vermuteten Beziehungen nicht gewesen sein. Jahrzehnte nach dem Mord wurden Liebesbriefe veröffentlicht, die Harald von Bohlen und Halbach an Rosemarie Nitribitt, sein „Fohlen“, geschrieben hatte. 

Für andere Beziehungen bis in die Spitze der Bonner Politik fehlen die Nachweise. Hartnäckig immer wieder genannt wurden die Namen des damaligen Bundesverkehrsministers Hans-Christoph Seebohm und des späteren Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger. Für die Geschichte genügte es, dass diese prominenten Namen mit Rosemarie Nitribitt in Verbindung gebracht wurden. 

Das Mädchen Rosemarie hatte es von ganz unter nach ganz oben geschafft, das war die Botschaft, die man hören wollte.

Das Mädchen Rosemarie, wie sie sich selbst nannte, wurde am 1. Februar 1933 in der Eifel geboren. Die Mutter gab ihr den Namen Maria Rosalia Auguste, den Vater hat das Mädchen niemals kennengelernt. Er weigerte sich, Unterhalt zu zahlen. Nicht das allein machte die Kindheit in Düsseldorf und Ratingen prekär. Die Mutter wurde mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Das Mädchen, das gemeinsam mit zwei Halbschwestern verschiedener Väter aufwuchs, steckte man 1937 „wegen Verwahrlosung“ in ein Erziehungsheim. Sie machte sich heimlich davon. Eine Pflegefamilie nahm das Mädchen auf. Als es elf Jahre alt war, vergewaltigte ein 18-Jähriger das Kind. Die Tat wurde nicht angezeigt.

Nur wenig älter, begann sie sich gegen Geld und Naturalien zu verkaufen, häufig an französische Soldaten. Mit 14 Jahren ließ sie abtreiben. Sie wurde immer wieder in Erziehungsheime und Verwahranstalten eingewiesen, stand im Ruf, nicht erziehbar zu sein. Mehrfach riss sie aus. Wenig erfolgreich versuchte sie sich als Kellnerin und Mannequin in Frankfurt durchzuschlagen. Geld verdiente sie nur, wenn sie anschaffte. Da kam sie auch ohne Zuhälter zurecht. Als Rosemarie Nitribitt 19 Jahre alt war, wurde sie abermals aufgegriffen und in die „Rheinische Landes-Arbeitsanstalt Brauweiler“ eingewiesen. Dort blieb sie ein Jahr weggesperrt. 

Wieder im Geschäft, arbeitete Rosemarie Nitribitt hart daran, ihre Defizite in Bildung und Benehmen auszugleichen. Sie besuchte Benimm-Kurse, lernte Englisch und Französisch. Und machte Karriere als Hure. Kunden und Bekannte zeichneten später ein höchst unterschiedliches Bild. Sie wurde als charmant beschrieben und gleichzeitig als vulgär, als mädchenhaft und abgebrüht, als geizig und verschwenderisch. Offenbar spielte Rosemarie Nitribitt jede Rolle, für die man sie bezahlte. Das lohnte sich. Ein Kunde schenkte ihr einen Opel Kapitän, andere luden sie zum Urlaub am Mittelmeer ein, Dinge, von denen die Bundesbürger mehrheitlich nicht einmal zu träumen wagten. Nach Ermittlungen der Kriminalpolizei Frankfurt kassierte Nitribitt im letzten Lebensjahr 90000 Mark, damals ein ungeheuerliches Einkommen. Nur wenige ihrer Kunden waren vermögender. Die Mutter der 24-Jähringen erbte 120000 Mark.

Bei dem Versuch, den Tod Rosemarie Nitribitts aufzuklären, war die Kriminalpolizei immer wieder auf prominente Namen aus Wirtschaft und Politik der Bonner Republik gestoßen. Da der Mörder nicht überführt werden konnte, kam der Verdacht auf, einflussreiche Kreise verhinderten die Aufklärung. 

Angeklagt wurde schließlich der Handelsvertreter Heinz Christian Pohlmann, ein winziger Fisch in der Riege der großen Namen. Bei Pohlmann wurde sehr viel Geld gefunden, das vermutlich aus einer blauen Kassette im Wohnzimmerschrank der Nitribitt stammte. Mangels Beweisen wurde Pohlmann 1960 freigesprochen. Sein Verteidiger, der spätere bayerische Innenminister Alfred Seidl, hatte der Polizei erhebliche Fehler bei der Feststellung der Todeszeit nachgewiesen. So wurde niemals ermittelt, wer Rosemarie Nitribitt umbrachte und ihr nach der Tat ein rosa Frottierhandtuch unter den Kopf gelegt hatte. 

Erst 2007 überführte das Kriminalmuseum Frankfurt den Schädel Nitribitts nach Düsseldorf, wo die Tote beigesetzt worden war. Bis dahin war der Schädel zu Lehrzwecken aufbewahrt worden.

Und schließlich fanden sich 2013 im Archiv der Frankfurter Polizei die lange vermissten Akten zu dem Mordfall. Sie waren dort vergessen worden.