26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.11.17 / Gegenwind / Die Verquickungen von NATO und EU

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-17 vom 03. November 2017

Gegenwind
Die Verquickungen von NATO und EU
Florian Stumfall

Was einigermaßen zur Stabilisierung der in sich zerrissenen EU beiträgt, ist, dass kaum einem ihrer Bürger der Inhalt des konstitutiven Vertrages von Lissabon bekannt ist. Wäre es anders, so könnte das angesichts der Machtfülle der EU, in die Länder wie Menschen gefesselt sind, einige Unruhe auslösen. Das gilt für das Finanzregal, das Ausmaß zentralistischer Zuständigkeiten in Brüssel und dort vor allem bei der Kommission und nicht zuletzt für die Militärpolitik.

Allgemein hat man sich daran gewöhnt, dass es neben der EU die Nato gibt, gewissermaßen eine EU mit den USA dabei und den Generälen. Allerdings tut es not, sich das Konstrukt der Nato wenigstens flüchtig anzuschauen. Das oberste politische Gremium ist der Nordatlantikrat mit einem Generalsekretär an der Spitze. Dieser ist immer ein Europäer, ein von Bedeutung hochstehender, angesehener Frühstücksdirektor mit repräsentativer Funktion.

Ihm gegenüber, oder besser, über ihm steht nämlich der Supreme Allied Commander Europe und der ist ausnahmslos ein US-General oder -Admiral. Wenn es also ernst wird, das heißt, wenn es ums Krieg führen geht, und das ist bei der Nato seit 25 Jahren unablässig der Fall, dann bestimmt der Militär, also der gute Freund aus den USA. Die Europäer hören zu und marschieren mit.

Doch wieso ist hier von der Nato die Rede, wo wir doch mit der EU begonnen haben? Ganz einfach. Im Vertrag von Lissabon, der die Funktion einer Verfassung hat, wiewohl man es nicht opportun empfand, ihn so zu nennen, gibt es nämlich einen Artikel 26, dessen Absatz 1,1 lautet: „Der strategische Rat bestimmt die strategischen Interessen der Union und legt die Ziele und die allgemeinen Leitlinien der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fest, und zwar auch bei Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen.“ Dieser Lissaboner Vertrag datiert vom 13. Dezember 2007. Seither ist die EU auch ein Militärbündnis.

Da es aber den Brüsseler Herrschern immer darum geht, weiter und noch mehr und alles zu zentralisieren, wurde im Jahre 2001 der Vertrag von Nizza abgeschlossen, betreffend die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungs-Politik“. Dennoch findet sich die weitestgehende Bestimmung in Sachen gemeinsame Sicherheitspolitik der EU im Vertrag von Lissabon. 

Es geht dabei um die sogenannte Beistandsklausel des Artikels 42.7. Sie lautet: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“ Als im Januar 2015 in Paris islamische Terroristen Anschläge mit zahlreichen Todesopfern verübten, rief der damalige französische Präsident François Hollande den nationalen Notstand und die Wirksamkeit der Beistandsklausel aus. Da in Frankreich seither der Ausnahmezustand herrscht, muss geschlossen werden, dass die Klausel nach wie vor aktuell in Kraft ist.

Diese Beistandsklausel der EU fordert natürlich und unbedingt den Vergleich mit dem Artikel 5 der Nato-Charta heraus. Während im Vertrag von Nizza von aller in „ihrer Macht stehenden Unterstützung“ die Rede ist, bescheidet sich die Nato mit einer vergleichsweise unverbindlichen Formulierung, wonach eine Nato-Macht ihre Pflicht bereits erfüllt hat, wenn sie Vorkehrungen „einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet …“

Freilich sind die feinen Unterschiede in der Formulierung der beiden Vertragswerke nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist die Frage, wie sich die Beistandsklausel der EU und Artikel 5 der Nato-Charta politisch zueinander verhalten. Um dies auszutarieren, haben die beiden Bündnisse im Juli des vergangenen Jahres eine Partnerschaft beschlossen und auf der Konferenz in Warschau besiegelt. Allerdings ist das nicht ohne Folgen geblieben, die man wohlwollend als unbeabsichtigt bezeichnen mag, bei weniger Rücksichtnahme könnte man sagen, dass das Problem den Handelnden gleichgültig war.

Die neue Partnerschaft zwischen der EU und der Nato macht nämlich die Neu­tra­lität der EU-Länder Österreich, Schweden und Finnland obsolet. In einem internen Papier der EU hat deren Außenbeauftragte Federica Mogherini dieses Problem vom Tisch gewischt: „Die Mitgliedsstaaten müssen ihre in den Verträgen verankerten Verpflichtungen zur gegenseitigen Unterstützung und Solidarität in konkretes Handeln umsetzen. Die EU wird ihren Beitrag zur kollektiven Sicherheit Europas aufstocken und eng mit ihren Partnern zusammenarbeiten – angefangen bei der Nato.“

Tatsächlich bedeutet dies im Falle Österreichs einen Bruch der Verfassung, in der von „immerwährender Neutralität“ die Rede ist. Diese Bestimmung hat sogar internationale Bedeutung insofern, als sie zuerst festgelegt wurde im Staatsvertrag mit der Sowjetunion im Jahre 1955, der zum Rück­zug der Roten Armee führte und ganz Österreich die Freiheit gab. Als Rechtsnachfolger der Sowjetunion hätte heute Russland das Recht, auf Einhaltung dieser Bestimmung zu dringen. Allerdings ist sie in der Praxis schon so oft gebrochen worden, etwa durch Militärtransporte der Nato durch Österreich in Richtung Osten, dass die Macht des Faktischen aus dem Verfassungsbruch ein Gewohnheitsrecht gemacht hat.

Man könnte also meinen, im Verhältnis der militärischen EU zur Nato stehe alles zum Besten, doch das wäre ein Irrtum. Zwar haben die USA ein geostrategisches Interesse am Ausbau der EU, die ihnen als eurasischer Brückenkopf dienen soll, doch das erstreckt sich nicht auf die militärischen Belange, insoweit diese zu selbstständigen Einheiten führen könnten, wie das schon der Fall ist. Das angesehene US-Politik-Magazin „Foreign Policy“ schrieb Ende Mai dieses Jahres: „Deutschland baut heimlich eine europäische Armee unter seinem Kommando auf“ und nahm damit Bezug auf das „Framework Nation Concept“, in dessen Vollzug tschechische und rumänische Einheiten der Bundeswehr unterstellt werden. Der Kommentar von Carlo Masala ist nicht geeignet, das US-Misstrauen zu besänftigen. Der Politologie-Professor an der Universität der Bundeswehr München sagte: „Es ist ein Schritt hin zu mehr europäischer militärischer Unabhängigkeit.“

Jetzt beginnen, die Illusionen, die sich um die künftige Bedeutung der EU ranken, von der Wirklichkeit zerstört zu werden. Ein Argument für die Hypertrophie der EU ist ja immer, Europa müsse im Chor der Großen dieser Welt auch eine Stimme haben. Tatsächlich schwindet der Einfluss der EU in dem Maße, wie sie ungeeignete Mitglieder aufnimmt, kulturfremde Weltgegenden assoziiert und entgegen der Tradition des Kontinents einen gewaltigen Zentralismus organisiert.

Die USA befürworten zwar ein größeres militärisches Engagement der Europäer, doch nicht im organisatorischen, sondern im finanziellen Sinne. Sie sollen Waffen in den USA kaufen, das ist der Hintergrund der Mahnungen, nicht sich vom Großen Bruder abnabeln und sei es nur mit einer eigenen Armee. 

Transatlantiker wie EU-Zentralisten geraten in dieser Frage in eine Zwickmühle; die Transatlantiker wollen die Nato stärken, aber nicht auf Kosten der EU, die Zentralisten möchten sich selbstständig machen, aber im Einvernehmen mit den USA. Doch tatsächlich geht weder das eine noch das andere. Das sind so Sackgassen in die man geführt wird, wenn man die Wirklichkeit gering achtet und seine Politik nicht nach ihr, sondern nach seinen Illusionen ausrichtet.