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03.11.17 / Radium, der »flüssige Sonnenschein« / Im Kampf gegen den Krebs entdeckten Marie und Pierre Curie die Radioaktivität

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-17 vom 03. November 2017

Radium, der »flüssige Sonnenschein«
Im Kampf gegen den Krebs entdeckten Marie und Pierre Curie die Radioaktivität
Klaus J. Groth

Marie Curie erhielt als bisher einzige Frau zwei Nobelpreise, einen für Chemie und einen für Physik. Am 7. November 1867, vor 150 Jahren, wurde sie geboren.

Die Entzündungen und Wunden, die sich auf ihren Fingerspitzen und Armen bildeten, erfüllten Marie Curie mit Genugtuung. Sie und ihr Mann Pierre Curie experimentierten mit dem feinen silbrigen Pulver, das die Wissenschaftlerin in ihrem Pariser Labor aus dem Mineral Pechblende isolierte. Sie nannten es Radium, das Strahlende. Die schmerzhaften Verätzungen waren der Beweis dafür, dass die Strahlen des unbekannten chemischen Elements Gewebe angriffen und zerstörten. Überall auf der Welt suchten Mediziner nach einem Mittel gegen den Krebs. Das Ehepaar Curie war überzeugt, es gefunden zu haben. Von den Gefahren der Radioaktivität wusste es nichts. 

Marie Curie, eigentlich Marya Sklodowska, wurde 1867 in Warschau geboren. Ihr Vater war Lehrer der Mathematik und Physik. Die große Begabung der Tochter in Naturwissenschaften zeigte sich schon früh. Weil Frauen in Polen nicht zum Studium zugelassen wurden, zog sie in das fortschrittliche Paris. Sie studierte Physik und Mathematik an der Sorbonne. 1895 heiratete Marie den Physiker Pierre Curie. Die Eheleute forschten nun gemeinsam, als gleichberechtigte Partner. Die französischen Zeitung „Les Dimanches“ schrieb: „Der Fall von Monsieur und Madame Curie, die auf dem Gebiet der Wissenschaft zusammenarbeiten, ist gewiss nicht das Übliche. Eine Idylle im Physiklabor, das hat die Welt noch nicht gesehen.“

Zwei Jahre nach der Heirat begann Marie Curie mit Pechblende aus dem böhmischen Sankt Joachimsthal zu experimentieren. Fotos zeigen die 30-Jährige in weißer Rüschenbluse, neben ihr Pierre Curie im Gehrock, in ihrem Hinterhoflabor vor einer Anordnung von Apparaturen. Auf der Suche nach einem Thema für ihre Doktorarbeit war sie auf eine nahezu unbeachtete Entdeckung des französischen Physikers Antoine Henri Becquerel gestoßen. Er hatte ein Element isoliert, das Strahlen aussandte: Uran. Bei ihren Untersuchungen der „Becquerel-Strahlen“ entdeckte Marie Curie Polonium, benannt nach ihrer polnischen Heimat, und das am stärksten strahlende Radium. In ihrer Veröffentlichung „Sur une nouvelle substance, fortement radio-active contenue dans la pechblende“ (Über eine neue, stark radioaktive, in der Pechblende enthaltene Substanz) verwendeten Marie und ihr Mann zum ersten Mal den Begriff „radioaktiv“.

Die Akademie der Wissenschaften reagierte skeptisch, die Menge an Radium war noch nicht messbar. Marie Curie brauchte vier Jahre, um aus einer Tonne Pechblende das erforderliche Zehntelgramm zu extrahieren. 1903 erhielt sie zusammen mit ihrem Mann und Antoine Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik. Der geheimnisvolle Stoff, entdeckt von einer Frau, löste eine Hysterie aus. Bars, Hotels und Kinos wurden danach benannt. Die Industrie bemächtigte sich des Radiums. Uhren mit Ziffern, die durch Radiumpartikel im Dunkeln leuchteten, glitzernde Farben mit Radium und Radiumwasser zum Trinken, der „flüssige Sonnenschein“, wurden Verkaufsschlager. Erste Zweifel an der Unbedenklichkeit der Radioaktivität kamen auf, als Menschen, die häufig damit Kontakt hatten, die Haare ausfielen. Während die Hersteller von Radiumprodukten Millionen verdienten, verfolgte das Ehepaar Curie keinerlei finanzielle Interessen. 

1906 starb Pierre Curie bei einem Droschkenunfall. Die Sorbonne berief Marie Curie auf den Lehrstuhl ihres verstorbenen Mannes. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stand weiter die Erforschung des Radiums. Die Nutzung der Radioaktivität in der Krebstherapie, so wie es sich das Ehepaar Curie von Anfang an gewünscht hatte, begann 1907. Im neu gegründeten Institut Curie am linken Seineufer, heute eines der bedeutendsten Krebszentren der Welt, wurde die Curie-Therapie entwickelt. Eine radioaktive Quelle wurde am Körper des Kranken so platziert oder implantiert, dass ihre Strahlen den Tumor direkt angreifen. Die Wissenschaftlerin wurde mit Auszeichnungen und hoch angesehenen Preisen überhäuft. Als Privatperson geriet sie ins Zwielicht. 1911 berichteten Boulevardblätter, dass die Witwe eine Affäre mit dem Physiker Paul Langevin hatte. Langevin, ein Schüler von Pierre Curie, war verheiratet. Marie Curie wurde als skrupellose Ehebrecherin dargestellt, eine Ausländerin, die eine französische Familie zerstört. Die betrogene Ehefrau drohte ihr mit Mord, Pariser warfen ihr die Fensterscheiben ein. Der Skandal beeinträchtigte die Beratungen im selben Jahr zur Wahl des Nobelpreisträgers für Chemie. Marie Curie galt als aussichtsreichste Kandidatin. Nun erschien sie einigen Komiteemitgliedern nicht mehr würdig genug, ihn zu erhalten. Schließlich überwogen ihre Verdienste als Forscherin. Im November 1911 nahm sie ihren zweiten Nobelpreis, nun in Chemie, für die Isolierung des Radiums entgegen. 

Der Umgang mit Radioaktivität hatte die Gesundheit von Marie Curie geschwächt, vermutlich litt sie an einer fortgeschrittenen Anämie, aber ihre Kraft schien unerschöpflich zu sein. Im Ersten Weltkrieg konstruierte sie eine mobile Röntgenstation und fuhr damit in Lazarette nahe der Front. Nach Kriegsende waren die Radiumvorräte ihres Pariser Instituts durch die Behandlung der Soldaten aufgebraucht. Marie Curie konnte ihre Forschungen nicht fortsetzen. Radium war unerschwinglich teuer. Ein Gramm kostet 100000 US-Dollar. 1920 reiste sie in Begleitung ihrer Töchter nach New York. Amerikanische Zeitungen feierten sie als Heldin, die den Krebs besiegt hat, eine maßlose Übertreibung, welche die Forscherin zurück­wies. In einem Interview mit der Herausgeberin einer Frauenzeitschrift berichtete sie von ihren Geldnöten. Die Amerikanerin gründete das Marie Curie Radium Fund Committee, das die für ein Gramm Radium nötige Summe von 100000 Dollar aufbrachte. 

Die letzten Lebensjahre forschte Marie Curie gemeinsam mit ihrer Tochter Irène Joliot-Curie, die 24 Jahre nach ihrer Mutter ebenfalls den Chemienobelpreis erhielt. Marie Curie starb 1934 an der Strahlenkrankheit. Ihr Notizbuch, das für umgerechnet 70000 Euro versteigert wurde, ist so radioaktiv verseucht, dass niemand es lesen kann.