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03.11.17 / »Vorwärts! Aber wohin?« / Internationales Breslauer Theaterfestival greift in westeuropäische Klischeekiste

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-17 vom 03. November 2017

»Vorwärts! Aber wohin?«
Internationales Breslauer Theaterfestival greift in westeuropäische Klischeekiste
Chris W. Wagner

Das diesjährige Theaterfestival entstand als Antwort auf die Destruktion der bisherigen Ordnung in der uns umgebenden Welt und gleichzeitig als Kommentar dazu. Die Künstler verarbeiten ihre Ängste, um die Zukunft sowie ihre Zweifel, die Wirklichkeit einer ganz eindeutigen Interpretation zu unterziehen.“ Solche Sätze kennt man eher aus westeuropäischen Feuilletons, hier stammen sie jedoch vom Polen Tomasz Kirenczuk, dem Leiter des Internationalen Theaterfestivals „Dialog“, das am 21. Oktober in Breslau zu Ende ging.

„Vorwärts! Aber wohin?“ war das Motto der Veranstaltung. Das Wort Vorwärts soll, so die Macher, Maßregelungen aus der Politik, nach ihrem Befehl zu leben, versinnbildlichen. Die Frage nach dem Wohin wollen die Macher scheinbar jedoch selber beantworten und gebärden sich damit mindestens ebenso missionarisch. Breslau kommt so als letzte Bastion des Linksliberalismus der polnischen Kulturszene daher. Kirenczuk scheint in dasselbe Propaganda-Horn zu blasen wie seine westeuropäischen Künstlerkollegen, die er nach Breslau einlud. Der belgische Choreograph Alain Platel erzählt in „Nicht schlafen“ (der Titel steht im Original übrigens in deutscher Sprache) eine Geschichte über „die Welt nach einer Katastrophe, in der Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Weltanschauung die Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen wiederaufzubauen versuchen“. Der polnische Beitrag „Hymne an die Liebe“ passt sich dieser Philosophie an und zeichnet das Bild eines „stets nationalistischer werdendem Europas“, so Kirenczuk. Er stellt sein Festivalprogramm als einen Aufruf für Aktivismus zugunsten der Solidarität dar. Das ist seine Antwort auf die Frage nach dem wohin. Der Festival-Chef sagte dem Breslauer Kulturportal „Co jest grane?“, es gehe um die elementaren Grundrechte wie Meinungsfreiheit, die „Freiheit der Expression“ und das Recht, an Kultur teilzuhaben.

Kein Wunder also, dass Tomasz Kirenczuk für sein Festival mit keiner Finanzierung aus Warschau rechnen konnte. Aber es gibt genug namhafte und gut situierte Künstler, die ihm unter die Arme griffen. Die Regisseurin Agnieszka Holland ist nur eine davon. Nicht zu verachten ist ebenso das unermüdliche Engagement europäischer „Verfechter der Demokratie“ wie des Goethe-Instituts, des Maxim-Gorki-Theaters oder „l0es ballets C de la B“ und der „Toneelgroep Amsterdam“. Durch Internetaktionen wurden Zuschauer zum Spenden animiert. So konnte das Festival ohne Zuschüsse des Kultusministeriums doch noch stattfinden. Auch das sprichwörtliche Improvisationstalent der Macher trug dazu bei. Weil dies jedoch die Kosten nicht abdeckte, um auch das Theaterstück „Volksfeind“ nach Henrik Ibsen in Breslau aufzuführen, wurden die Theaterbesucher kurzerhand mit Bussen über 270 Kilometer nach Krakau kutschiert.

Dass das Dialog-Festival trotz des finanziellen Engpasses dennoch ein Erfolg wurde, liegt kaum am „Multi-Kulti-Programm“, wie ein Westeuropäer vermuten könnte. Vielmehr haben die Macher ihren Erfolg wohl dem polnischen Wesen zu verdanken, dass man aus Prinzip gerne gegen den Strom schwimmt.