Der Wanderer, der in den Dolomiten von der berühmten Felsformation „Fünf Türme“ kommend in 2400 Metern Höhe unterwegs ist, stößt unverhofft – auf ein Schlafzimmer. Berghütten, in denen man übernachten kann, sehen irgendwie anders aus. Nicht so wie diese winzige Hütte, die samt Dach rundum verglast ist, in der sich anscheinend nur ein Bett befindet, die dazu noch auf Kufen steht und darauf wartet, vom steilen Hang sofort herabzurutschen.
Eine Kunstinstallation, die an Schneewittchens gläsernen Sarg erinnert, macht in dieser Höhe und an diesem einsamen Ort, wohin sich außer Wanderern höchstens ein paar Gämse verirren, keinen Sinn. Wäre sie als futuristische Jägerhütte gedacht, in der man gut Kuscheln kann, würde wohl jeder sofort einen Jagdschein machen. Dann wäre die Hütte voll.
Jetzt ist sie leer. Durch die Panoramafenster ist nur ein gemachtes Bett zu sehen, dazu ein aufgeräumter Tisch mit zwei Bänken. Und ein Hinweis auf den Besitzer und Erbauer: Raniero Campigotto vom Rifugio Col Gallina.
Das Rifugio, wie die Berghütten hier in der Alpenregion Venetien heißen, liegt einige hundert Meter tiefer an der Talstraße nach Cortina d’Ampezzo, ist aber in den Dolomiten eine der höchstgelegenen, die man mit dem Auto erreichen kann. Auf dem Weg hinab stößt der Wanderer noch auf einen weiteren Glaskasten: etwas kleiner als der obere, aber ebenfalls mit einem Bett ausgestattet und ebenso auf Kufen stehend.
Zum Rifugio unten am Fuße des 2770 Meter hohen Berges Lagazuoi ist es nach dem langen Wandertag nicht mehr weit. In einem der höchst komfortablen Schlafräume ist nach einem köstlichen Drei-Gänge-Menü die Übernachtung geplant. „Sie können die Nacht auch oben am Berg in unserem Starlight-Raum verbringen“, schlägt Raniero, den wir Rainer nennen dürfen, vor.
Vor wenigen Jahren kam er auf die Idee, separate Schlafhütten oberhalb seines Rifugios zu erbauen. Die Gäste chauffiert er mit seinem Geländewagen nicht nur den steilen Berg hinauf – im Winter nutzt er dazu ein kettenbetriebenes Schneefahrzeug –, sondern er fährt auch ein mehrgängiges Abendessen hoch, das höchsten Ansprüchen genügt.
Der Clou aber ist, dass die Hütte langsam um die eigene Achse rotiert. Berge und Sternenhimmel scheinen sich wie bei einer Karussellfahrt zu bewegen. In der Dämmerung kann man vom Bett aus das berühmte Abend- sowie Morgenglühen der Dolomiten erleben. Es hat auch seinen Preis: 500 Euro kostet die Nacht im elf Quadratmeter großen Starlight-Raum, 300 Euro in der etwas kleineren Hütte darunter. Weil die Standorte an einer Skipiste liegen, zieht Rainer seine patentierten Hütten auf den Kufen im Winter an einen anderen Ort, wo Ruhe herrscht und wo man unbeobachtet ist.
Rainer plant bereits den Bau weiterer Glasrefugien, die natürlich auch eine Minitoilette haben und in denen es dank Solarheizung kuschelig warm ist. Das Konzept ist gefragt. Der Romantikfaktor kommt besonders bei jungen Paaren gut an, die hier flittern wollen. Bei den Wanderern aber auch, die in der totalen Stille einen erholsamen Schlaf finden.
Adresse: Passo Falzarego, 2, I-32043 Cortina d’Ampezzo (BL), Telefon (0039) 3394425105, www. rifugiocolgallina.com